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Das „Überwintern“ der Oper

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Das vor kurzem im Rahmen der Grazer Akademie für Musik gegründete und von DDr. Harald Kaufmann geleitete Institut für Wertungsforschung hatte den bekannten Frankfurter Kulturphilosophen, Musikologen und Ordinarius für Philosophie, Theodor W. Adorno, eingeladen, über die Konzeption eines Wiener Operntheaters zu sprechen. Der Vortragssaal der Akademie war bis auf den letzten Platz besetzt. Unter den Zuhörern befanden sich auch acht Wiener Musikkritiker beziehungsweise Kulturredakteure, mehrere Kollegen aus Graz und Salzburg sowie als Delegierter des Unterrichtsmiinisters der Leiter der Bundestheaterverwaltung.

Adorno glaubte eingangs, eine Erklärung dafür abgeben zu müssen, daß er als Ausländer und Außenseiter, nämlich als Theoretiker, über ein so unmittelbar auf die Praxis zielendes Thema spreche. Aber Adorno hat, als Schüler Alban Bergs, viele Jahre in Wien verbracht und ist in der Praxis der Musik sehr erfahren, ohne jedoch die kritische Distanz verloren zu haben. Da es ihm — und den Einladenden — darauf ankam, über einen schwierigen und umstrittenen Gegenstand zu reflektieren, hätten die Ausführungen eines Praktikers sich in einem Circulus vitiosus bewegt, in dem das bereits den äußeren Verhältnissen Angepaßte sich als Konzept verkündigt.

Wir greifen im folgenden einige Kardinalpunkte des fast eineinhalbstündigen Vortrags heraus.

Der Hegelsche Weltgeist scheint der Oper in unserer Zeit nicht günstig zu sein: Dem Abbröckeln des Repertoires hält die Produktion neuer Werke, die sich auf dem Spielplan halten, keineswegs die Waage. Die Kompositionsaufträge führen nicht zu den erwarteten Ergebnissen. Eher wird die Gattung der Oper durch einzelne begabte junge Komponisten erneuert werden, deren Ansprüchen sich dann die äußere Form anzupassen haben wird.

Bei den gesteigerten Forderungen des Publikums an die Qualität der Reproduktion ist der Repertoirebetrieb kaum mehr aufrechtzuerhalten. Die Stagione hingegen erscheint nicht als wünschenswert, da hier die Marktideologie vorherrschend, ist und anstatt echter strukturgerechter Gestaltung die „Barbarei der Vollendung“, der bloße Schein, tritt.

Das gegenwärtige Wiener Repertoire, ungefähr 45 Werke umfassend, von denen man im Monat jeweils 20 bis 25 sehen kann, ist von überholten und veralteten Opern zu reinigen und durch zu Unrecht vernachlässigte repräsentative Werke des 18. und 19. Jahrhunderts sowie durch Gegenwartsproduktionen aufzufrischen. Also ein Opernmuseum, das es der Gattung ermöglicht, „zu überwintern“.

Die Wiener Staatsoper ist ein Hoftheater ohne Hof. Die für die Oper charakteristische traditionelle Haltung wird in Wien noch durch einen Traditionalismus besonderer Art verstärkt. Trotzdem dürfte man die Hoffnung speziell auf die nachrük- kende Generation nicht aufgeben, müsse man versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, ,s.ie — etwa durch Einladung zu Proben und Diskussionen — für die Oper als etwas Lebendiges zu interessieren und von ihrem Stimmenfetischismus abzubringen. Hier hat die Kritik eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Zu den Aktivposten zählt Adorno: Das Opernorchester, das große Sängerensemble, das Ballett und — trotz allem — das affektiv am Operngeschehen beteiligte Publikum.

Eine Gefahr ist die Beamtenmentalität mancher Mitglieder. Um zu einer intensiveren und längeren Probenzeit zu gelangen, müßten die gewerkschaftlichen Fragen neu durchdacht und geregelt werden. Ein höchster künstlerischer Anspruch ist unter den gegenwärtigen Arbeitsverhältnissen nicht zu realisieren. Es sei produktiver, den großen Apparat des Hauses nicht zur Gänze auszunützen und renitente Mitglieder besser mit vollem Gehalt zu pensionieren, als sie als Ballast mitzuschleppen.

Um unter diesen Umständen zu „überwintern“, braucht die Wiener Staatsoper einen fähigen, einsatzbereiten, voll verantwortlichen und mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteten künstlerischen Leiter, dem ein administrativer Direktor vom Typus des amerikanischen Monay-raiser beizugeben wäre. Dieser müßte aber nicht gegen, sondern mit und für den künstlerischen Leiter arbeiten und zusätzliche Geldquellen erschließen: durch Zusammenarbeit mit der Schallplattenindustrie, dem Fernsehen und durch Mobilisierung privaten Mäzenatentums.

Im TV ist die einzig legitime Form die ursprüngliche, nicht manipulierte, also das photographierte Operntheater, und nicht die „telegene“ Bearbeitung, wobei man einmal den aufgerissenen Mund des Sängers, dann das Liebespaar in Nahaufnahme, zwischendurch einen Posaunisten bei der Arbeit und immer wieder den Frack und die ausdrucksvollen Hände des Dirigenten zu sehen bekommt. Das ist Unfug.

Dem Ballett gebührt im Spielplan ein breiterer Raum, zumal eine Reihe der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten einen Großteil ihrer Produktion dem Ballett gewidmet haben (von Strawinsky allein gibt es deren zehn!).

Für die Heranbildung des Nachwuchses und die Erprobung avantgardistischer Werke ist die Gründung eines Opemstudios erforderlich. Gemeinsam mit einer in pädagogischem Sinne wirkenden Kritik wird es dazu beitragen, das Publikum künstlerisch mündig zu machen.

Nachdem ein fähiger jüngerer Dirigent gefunden ist, der der Wie ner Staatsoper sieben Monate im Jahr zur Verfügung stehen und 45 Aufführungen leiten wird, ist ein erster Schritt getan. Für andere Maßnahmen werden erst die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen sein, damit es nicht heißt, „da könne man halt nichts machen…“

Zu seinen eigenen Reformvorschlägen verhält sich Adorno ambivalent. Er spricht von der „ebenso reizvollen wie hoffnungslosen Unbelehrbarkeit des Wiener Publikums“ — und zeigt dennoch Mittel und Wege, wie ihm vielleicht beizukommen sei, wie man die Oper auch für Intellektuelle attraktiv machen könne (das war ja das „Wunder von Bayreuth“).

An dem darauffolgenden Vormittag fand in den Räumen des Instituts für Wertforschung eine dreistündige, sehr freimütige und kollegiale Aussprache über Wiener und allgemeine Opernprobleme zwischen Prof. Adorno, acht Wiener Kritikern und mehreren aus den Landeshauptstädten statt, wobei sich zeigte, daß der bekannte Philosoph und „Theoretiker“ in praktischen Fragen besser Bescheid wußte als mancher vom Bau.

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