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Der neue alte Boom

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dieFurche: Was ist „alte Musik“?

Ingomar Rainer: Ganz grob kann man zwischen drei Arten von Musik im abendländischen Repertoire unterscheiden. „Die“ Musik, von der man nicht spricht, dann die „alte“ und die „neue“ Musik. „Die“ Musik ist das begrenzte Repertoire des sinfonischen Orchesters, etwa von Joseph Haydn bis Richard Strauss. Die Musik davor gilt als „alte“, die danach als „neue“ Musik.

dieFurche: Welche zeitliche Abgrenzung kann man vornehmen?

Rainer: Es handelt sich um Musik vor 1800. Das Mittelalter kann man da-zuzählen, aber alte Musik ist kein geschlossener Rlock. Mit barocken Instrumenten ist Mittelalter-Musik nicht zu machen. Rein zeitlich gesehen ist die Musik von Dufay (15. Jh.) bis Bach weiter entfernt als Bach von uns!

dieFurche: Wann begann die ernsthafte Beschäftigung mit alter Musik?

Rainer: Sie begann um 1800 mit der Entstehung des bürgerlichen Konzertbetriebs. Das „Konzert“, so wie wir es heute kennen, wo man zwei Stunden still sitzt und nur Musik hört, ist eine recht neue Errungenschaft. Diese neue Vermittlungsform forderte auch eine neue Musik. Zu diesem Zweck setzte man sich wieder mit der alten Musik auseinander. In Wien gab es damals ein Projekt, wo wichtige Habsburger-Komponisten des 16. Jahrhunderts dem Publikum zugänglich gemacht werden sollten. Es gedieh sehr weit, scheiterte aber schließlich daran, daß aus den fertigen Stichplatten Kanonen gegen Napoleon gegossen wurden.

dieFurche: Welche Schwierigkeiten traten auf?

Rainer: Äußerlich waren die alten Notentexte den aktuellen sehr ähnlich. Es gab etwa das 5-Linien-System et cetera. Dynamik, Artikulation, Tempo oder Vortragsangaben sind in dieser Musik aber gar nicht oder unterbezeichnet. Daraus wurden zwei Schlüsse gezogen, die beide falsch waren. Die einen haben daraus geschlossen, daß alles gleich zu spielen ist. Ris in die fünfziger Jahre gab es eine Richtung der Bach-Interpretation, die gesagt hat: da steht nichts, also gibt es nichts! Die andere Richtung hat gesagt: da steht nichts, also kann man machen, was einem dazu einfällt. Rei-des ist falsch. Es ist eben nichts bezeichnet worden, weil es für einen Musiker der Zeitgenossenschaft Schützens einfach klar war, wie er mit diesen Noten umzugehen hat. Die Artikulation ergibt sich ganz organisch, wenn man die Noten richtig zu lesen versteht. Wesentliche Anregung ging auch von den Instrumenten aus: Was gibt denn so ein altes Instrument überhaupt her, war die Frage. Instrumente sind sehr gute Erzieher. Schließlich erfolgte die Aufarbeitung der Quellen und Lehrwerke. Es wurde also schon im 19. Jahrhundert die Rasis für die ernsthafte Reschäftigung mit alter Musik geschaffen.

dieFurche: Wurden damals schon alte Instrumente verwendet?

Rainer: Die Reschäftigung mit alten Instrumenten war eher Ausnahme. Lustig ist beispielsweise, daß sich De-bussy sehr für das Cembalo interessierte. Er war immer auf der Suche nach neuen Klängen und fand das Cembalo ein unglaublich aufregendes Instrument. Eine intensive Beschäftigung mit alten Instrumenten setzt erst in den zwanziger, dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts ein.

dieFurche: Wie erklären Sie den Boom für alte Musik?

Rainer: Ich sehe da gewisse Parallelen zur neuen Musik, um die sich auch ganz spezifische Gruppen scharen. Es zeigt für mich die Suche nach etwas Außergewöhnlichem, das außerhalb des Schemas des üblichen Konzertbetriebs ist.

Das Gespräch mit Ingomar Rainer, der an der IViener Musikhochschule historische Aufführungspraxis lehrt, führte Petra Carola Biermeier.

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