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Der neue Operndirektor und das neue Repertoire

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Sehr geeh. Herr Professor!

Sie werden inzwischen gehört und gelesen haben, mit welch einmütiger Zustimmung die Entscheidung unserer obersten Kulturbehötde begrüßt wurde, die Sie für die nächsten fünf Jahre zum Leiter der Wiener Staatsoper bestellt hat. Dieser Applaus von allen Seiten gilt zunächst Ihrer Person: dem ausgezeichneten Dirigenten und erfahrenen Opernpraktiker, dem Meisterinterpreten der Werke von Richard Strauß (dessen ganz besonderen Vertrauens Sie sich erfreuen durften) und dem Inaugurator jenes neuen Mozart-Stiles, der Weltgeltung erlangt hat. Vor allem aber freuen wir uns darüber, daß an der Spitze der Wiener Oper 'wieder ein Fachmann steht, der — wie es in dem von der Bundestheaterverwaltung veröffentlichten Kommunique heißt — „zur Lösung der ihn erwartenden verantwortungsvollen Aufgaben im neuen Haus mit ausreichenden Vollmachten in allen künstlerischen Belangen ausgestattet wurde“.

Von den zahlreichen Fragen und Aufgaben, die Sie zu lösen haben werden, möchten wir eine herausgreifen, die an dieser Stetle vor zwei Jahren recht lebhaft diskutiert wurde. Ein Artikel mit dem Titel „Das geistige Profil der Wiener Staatsoper" hat damals etwa ein Dutzend offene Briefe, Entgegnungen und Dupliken ausgelöst, die uns zeigten, wie sehr die Frage des Repertoires die Opernbesucher und alle kulturell Interessierten beschäftigt. Damals wurde der Terminus vom „Opernmuseum" geprägt, in das sich jedes Operntheater zu verwandeln droht, welches sich den zeitgenössischen Werken verschließt. Es war für viele daher eine wirkliche Freude und Beruhigung, daß Sie in der ersten Erklärung, die Sie unmittelbar nach Unterzeichnung Ihres Vertrages abgegeben haben, betonten, daß Sie vor allem das Repertoire zu erneuern ttriä Viel mehr Erst- und Uraufführungen als bisher zu bringen gedenken. „Es war immer mein Prinzip", sagten Sie, »neue Werke zur Diskussion zu stellen, selbst wenn ich mit der ,Richtung' nicht ganz einverstanden war. Das Publikum einer Großstadt darf auf keinen Fall den Anschluß an die Moderne verlieren.“

Nun, das Repertoire der beiden Häuser, des Theaters an der Wien und der Volksoper, macht — auch auf den anspruchsvollen Beurteiler — keineswegs den Eindruck eines Museumskatalogs. Wir haben an dieser Stelle bei anderer Gelegenheit unter dem Titel „Was die Staatsoper nicht spielt" eine langė Liste jener neueren Opernwerke zusammengestellt, die zur Aufführung empfohlen werden können. Im Laufe der nächsten beiden Jahre wurden dann auch tatsächlich mehrere dieser Werke (Alban Bergs „Wozzeck“, „Der Konsul" von Menotti und „Die Kluge" von Orff) aufgeführt, und man hat mit diesen Opern, die gut oder befriedigend besucht waren, keine schlechten Erfahrungen gemacht. Trotzdem verschwanden sie, zusammen mit einigen anderen Werken, immer wieder auf eine fast mysteriöse Art für längere Zeit aus dem Spielplan. Und da bis zur Eröffnung des großen Opernhauses am Ring noch fast zwei Jahre, das sind eineinhalb Spielzeiten, vergehen werden, erlauben wir uns, für die Zwischenzeit Ihre Aufmerksamkeit besonders auf diesen Punkt zu lenken:

„Jeanne d'Arc"von Honegger wurde 14mal aufgeführt, zuletzt am 2. November 1953; „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Prokofieff 18mal, zuletzt am 26. Mai 1952; „Der Konsul" von Menotti (Ausnahme!) 18mal, zuletzt am 28. Jänner 1954; „Die Kluge" von Orff 14mal, zuletzt am 30. November 1953; „Das Medium“ von Menotti 13mal, zuletzt am 30. November 1953; „The Rake's Progress“ von Strawinsky 7mal, zuletzt am 5. November 1952; „Wozzeck“ von Alban Berg 6mal, zuletzt am 16. Juni 1953; „Der Prozeß“ von G. von Einem 3mal, zuletzt am 9. Oktober 1953.

Vergleicht man mit den genannten Aufführungszahlen die der modernen Werken in früheren Jahren, so kann man — mit Ausnahme der zuletzt genannten Oper, die noch nicht richtig „zum Zug" gekommen ist — wohl zufrieden sein. Aber das Absetzen der neuen Stücke macht uns Sorge, weil es die kontinuierliche Wirkung, auf die jedes, besonders aber das schwierigere Kunstwerk, angewiesen ist, verhindert.

Wir schrieben im November 1950 an diese: Stelle; „Erfahrungsgemäß werden zeitgenössi sche Opernwerke nur dort gegeben und zum Erfolg geführt, wo sich ein .Dirigent oder ein verantwortlicher Leiter mit seiner ganzen Autorität einsetzt. Ein solcher Mann fehlt gegenwärtig an der Wiener Staatsoper, an der seit fünf Jahren ein Provisorium besteht, dem spätestens mit dem Einzug in das neue Haus ein Ende bereitet werden muß, und zwar nicht nur aus Gründen der Repräsentation, sondern vor allem im künstlerischen Interesse des Instituts." Nun haben wir die Hoffnung, daß Sie, sehr geehrter Herr Professor, auch auf diesem Gebiet der richtige Mann sind. Es käme also, unserer Meinung nach, zunächst darauf an, die bereits im Spielplan befindlichen neuen Werke zu „reaktivieren". Ob das eine oder andere sich zur Uebernahme ins neue-alte Haus eignet, bleibt späterer Entscheidung Vorbehalten. Da sich aber Ihre Tätigkeit während des nächsten Jahres — wie von der Bundestheaterverwaltung bekanntgegeben wurde — vor allem auch auf. die Vorbereitung des neuen Repertoires im Großen Haus erstrecken soll, so darf wohl angenommen werden, daß auch hier bald das eine oder andere zeitgenössische Werk zur Diskussion stehen wird. Bei dessen Auswahl gibt es zwei Wege: entweder man geht den des geringeren Widerstandes und wählt ein zwar zeitgenössisches, aber in seinem Stil und seiner Geisteshaltung gestriges Werk, oder man wagt es mit etwas wirklich Neuem und Repräsentativem. Für jede dieser Kategorien könnte man ein Dutzend Titel» anführen, die dem Fachmann zu neunen uns eine Vermessenheit schiene. Um es daher kurz zu sagen: wir sind für den zweiten Weg. Denn nur er rechtfertigt die Anstrengung und die Kosten, die damit verbunden sind, und führt zum Ziel.

Ein anderes Problem ist das der Inszenierung der älteren, klassischen Repertoirewerke, mit der wir während der letzten Jahre zum Teil recht schmerzliche Erfahrungen gemacht haben.' Der Grund dafür lag wohl zumeist in einer gewissen Unsicherheit, Unentschlossenheit und Inkonsequenz, was den Gesamtstil mancher Aufführungen betrifft. Man braucht nicht die vielzitierte Krise des heutigen Operntheaters zu bemühen, um doch einzusehen, daß man mit den alten Rezepten nicht mehr das Auslangen findet. Immerhin haben sich auch auf diesem Gebiet einige Erkenntnisse und Einsichten durchgesetzt und Gültigkeit verschafft. Man spielt an den besten Bühnen die Werke der Vorklassik streng stilisiert; man hat die Erfahrung gemacht, daß es den Meisterwerken der Hochromantik nicht gut bekommt, wenn man sie „entstaubt" (lies: modernisiert), man inszeniert die veristischen Opern konsequent in dem vorgezeichneten Stil; in Geste, Kostüm und Bühnenbild; und wir sehen, offen gestanden, für die Wagner- Opern kaum eine andere Möglichkeit, als sie in der Art zu spielen und zu inszenieren, wie' es Wieland Wagner während der letzten zwei Jahre in Bayreuth getan hat —: Als positives Beispiel kann auch auf den neuen Mozart-Stil hingewiesen werden, den Sie gemeinsam mit dem Regisseur O. F Schuh und dem Bühnenbildner Caspar Neher realisiert haben. Aehnliches wünschen und erwarten wir nun auch für die anderen älteren Werke, die ja immer die Stütze und den Grundstock jedes Repertoires bilden werden.

Das alles sind bescheidene Vorschläge und Gedanken, zu einem Zeitpunkt ausgesprochen, da mit Bezug auf das Große Haus auf dem Ring noch alles in Vorbereitung und im Werden ist. Für die kommenden Jahre aber, da Sie, sehr geehrter Herr Professor, Ihr Bestes geben werden und da es die Aufgabe der Kritik sein wird, das Geleistete mit Aufmerksamkeit zu verfolgen und sine ira et studio zu beurteilen, schlagen wir Ihnen ein Wort als Motto vor, das Hugo von Hofmannsthal nach einer langen Zeit fruchtbarster künstlerischer Zusammenarbeit an Richard Strauß schrieb: in künstlerischen Dingen unbeleidigbar zu sein." Unter dieser Devise empfiehlt sich Ihnen

Dr. Helmut A. Flechtner Musikkritiker der „Furche"

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