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Die deutsche Saison am Teatro Colon
Buenos Aires, im November Zur jahrzehntelangen Tradition des größten Opernhauses Südamerikas — des Colön-Theaters in Buenos Aires — gehört die jedes Frühjahr, d. h. im europäischen Herbst, stattfindende sogenannte „deutsche Saison“, gewidmet deutschen Opernwerken und gekennzeichnet nicht nur durch das Mitwirken deutscher Sänger und .Pirigenten, sondern auch dadurch, daß die in den Nebenrollen mitwirkenden Solisten und der Chor den Text im Original singen. Das von Jahr zu Jahr immer knapper gehaltene Budget des „Colons“, das den Honorarforderungen ausländischer Künstler nicht mehr gerecht werden konnte, führte — nach glänzenden Leistungen der „deutschen Saisonen“ unter Stabführung von Prof. Karl Böhm in den Jahren 1951 und 1952 — so weit, daß die deutsche Saison von 1954 in vollem Sinne des Wortes durchgefallen ist. Das Ansehen' und der Ruf des Theaters selbst und der „deutschen Saison“ konnten in diesem Jahre nur dadurch wiederhergestellt werden, indem sich die Theaterleitüng zur Kürzung des Repertoires auf zwei Opern entschloß und die für die sonst üblichen vier Opern verhandenen Gelder zum Engagement von wirklich erstklassigen Kräften verwandte. Dies war um So notwendiger, als auf den Spielplan lediglich zwei Wagner-Opern, „Tristan und Isolde“ und „Parsifal“, gesetzt wurden.
Der überall fühlbare Mangel an erstklassigen Wagner-Sängern führte doch zu einer glücklich gelungenen internationalen Zusammenwürfelung des „deutschen Ensembles“: die schwedische Sopranistin Brigit Nilsson, die kroatische (in Oesterreich naturalisierte) Mezzosopranistin Georgine von Milin-kovic, beide von der Wiener Staatsoper, der deutsche Tenor Günther Treptow, der in Uruguay naturalisierte ungarische Bassist Dezsö Ernster mit argentinischen Kräften, an der Spitze Fritz Rieger
als Dirigent (München). Aber die heterogene Zu-s immenstellung tat der Ausgeglichenheit des Ensembles doch keinen Abbruch!
Die wohlbekannten politischen Ereignisse in Argentinien verzögerten den Beginn der „deutschen Saison“, und die anderweitig terminierten Verpflichtungen der ausländischen Gäste verursachten die Herabsetzung der „Parsifal“-Aufführungen von den ursprünglich geplanten fünf auf lediglich drei. .
Die auf den „Tristan-und-Isolde“-Aufführungen gebauten Hoffnungen auf das gleiche Gelingen des „Parsifal“ wurden weitgehend übertroffen. Günther Treptows Leistung in der Titelrolle war weit höher als jene im „Tristan“. Die Kundry, durch Georgine von Milinkovifi verkörpert, war darstellerisch auf der Höhe und stimmlich hochkultiviert und muß als blendende Leistung einer intelligenten, in Bayreuther Tradition aufgewachsenen Künstlerin gewertet werden. Diesen beiden Künstlern und Dezsö Ernster als Gurnemanz ist.der Erfolg des „Parsifal“ zu verdanken, da sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich konzentrierten und die manchmal erheblichen Mängel der übrigen Rollenträger deckten. Die Regie, für die der am „Colon“ jahrelang wirkende deutsche Regisseur Otto Erhardt verantwortlich zeichnete, hielt sich in „Tristan und Isolde“ an das bekannte Schema, dagegen waren die im „Parsifal“ eingeführten Neuerungen Stil- und auffassungsmäßig nicht die glücklichsten. Der Chor des „Colons“ war, wie immer, auf der Höhe.
Für die Eingeweihten war es kein Geheimnis, leider blieb es aber dem breiteren Publikum ziemlich unbekannt, daß sich für den Erfolg der nach jahrelanger Pause wiederaufgeführten Werke Wagners im „Colon“ gerade zwei Wiener Kräfte — Birgit Nilsson und Georgine von Milinkovic — von der Wiener Staatsoper einsetzten.
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