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Ein Weg aus der Opernkrise

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Immer noch und immer wieder steht die Wiener Staatsoper im Brennpunkt des öffentlichen Interesses, wird diskutiert und kritisiert und beschäftigt sogar jene, die das Haus noch nie von innen gesehen haben. Während der letzten acht. Jahre war das Schicksal dieses Hauses mit der Person Herbert von Karajans verknüpft. Von jeher umgab den Wiener Operndirektor ein besonderer Nimbus. Wie sehr erst in einer Zeit der Ersatzidole, da es keinen „Führer“ mehr gibt und Farah weit ist; in einer Stadt, die nicht einmal eine Romy und einen Alain in ihren Mauern beherbergt, an deren wechselvollen Beziehungen man genußvoll Anteil nehmen könnte. So konzentriert sich begreiflicherweise das Interesse — auch jener, die ihn noch nie am Pult erlebt haben — auf Karajan: den Operndirektor und Weltstar, den Sportsmann und Flieger, der seine Bewunderer auch freigiebig mit teils wohlgezielten, teils unfreiwilligen Skandalaffären versorgt.

All das tut dem Ansehen des Künstlers Karajan keineswegs Abbruch. Es verstärkt vielmehr seinen Glanz und Ruhm, zumal seine stets perfekten und bewunderungswürdigen Leistungen unter diesen gelegentlichen Extravaganzen nie zu leiden haben. Wir meinen, daß man diese Imponderabilien nicht unterschätzen soll. Im Gegenteil: um so ernsthafter und nüchterner muß die Situation geprüft werden, die infolge der Demission Karajans als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper enstanden ist. In Parenthese: Die während der letzten Wochen wiederholt gezogene Parallele zwischen dem „Fall Karajan“ und dem von Mahler und Strauss hinkt auf beiden Beinen. Aber sie erhellt den erschreckenden Niveauverlust während der letzten 50 Jahre ebenso wie die Trübung des kulturkritischen Denkens.

Die Frage, ob Karajan auf diesen Posten wieder zurückzukehren gedenkt, wollen wir zunächst ausklammern. Gegenwärtig geht es darum, ihn auch künftig als Dirigenten für Wien (und die Salzburger Festspiele) zu erhalten. Die Argumente, daß ein Künstler wie Karajan unter allen Umständen an Wien zu binden sei, wurden vom Großteil der Wiener Tagespresse mit aller wünschenswerten Eloquenz vorgebracht. Von dem Zustand, den Schwierigkeiten und der Zukunft der Wiener Staatsoper war kaum die Rede. Auch nicht da-

von, daß auch Karajan die Wiener Staatsoper braucht.

Die Frage lautet also: Wie ist der Ruf und Anspruch des Hauses mit den Ansprüchen und Forderungen des Dirigenten halbwegs auf eine Linie zu bringen? Andeutungen des Dirigenten lassen darauf schließen, daß er auch gewisse personelle Wünsche berücksichtigt zu sehen wünscht, das heißt, daß er nicht jeder Direktion zur Verfügung steht. Gesetzt nun den Fall, diese Forderungen würden erfüllt. Wird das eine Lösung auf Dauer sein?

Blicken wir zurück ohne Zorn:

• Als Generalsekretär und Konsulenten fand Karajan, nach der Demission Dr. Karl Böhms, Dr. See-fehlner im Haus am Ring vor. Einen hochkultivierten, umgänglichen und seinem neuen Arbeitsbereich zuge-tanenen Mann, der aber nicht lange zögerte, als man ihn an die Deutsche Oper nach Berlin auf etwa den gleichen Posten berief — obwohl er sich von Wien schwer getrennt haben mag.

• Hierauf folgte, nachdem sich herausgestellt hatte, daß Karajan die Direktionsgeschäfte allein nicht zu führen imstande ist, die so vielversprechende Ko-Direktion mit dem Stuttgarter Intendanten Prof. Doktor Schäfer, der aber Wien in gesundheitlich schlechtem Zustand bald wieder verließ, um — wir hörten es mit aufrichtiger Freude — in seiner schwäbischen Heimat rasch zu gesunden und in alter Frische seine Intendantengeschäfte zu führen.

• Fast genau vor Jahresfrist holte sich Karajan als „zweiten Mann“ Sektionschef Dr. Hilbert, den ehemaligen Leiter der Bundestheaterverwaltung und Intendanten der Wiener Festwochen. Aber bald war auch dieses Verhältnis getrübt, und zwar beträchtlich... In der Zwischenzeit wurde — ein bedenklicher Schritt! — die Staatsoper budgetär aus dem Verband der Bundestheater herausgelöst, ein spezieller Verhandlungskommissär für Karajan eingesetzt und der dem Operndirektor ungenehme Leiter der Bundestheaterverwaltung auf einen anderen Posten abgeschoben: Man wird dem damaligen Unterrichtsminister, der auf alle diese Vorschläge und Forderungen Karajans eingegangen ist, nicht den Vorwurf machen können, er habe sich dem großen Dirigenten gegenüber hart und bürokratisch verhalten.

Am Rande — und doch nicht am Rande! — gab es einen Konflikt mit dem technischen Personal und die Affäre um den italienischen Maestro suggeritore, die man beide ad acta legen könnte, wären sie nicht Symptom und Ausdruck eines latenten Mißbehagens im Haus, von Differenzen, die sich keineswegs nur auf das technische Personal beschränken.

Wie also soll das in Zukunft weitergehen? Wie soll all dies zerschlagene Porzellan wieder geflickt werden?

Bei den Bemühungen, Karajan auch weiterhin der Wiener Oper zu erhalten, wird man sich sicher elastisch verhalten und jedes mögliche Entgegenkommen zeigen. Aber weitere Konzessionen zu machen, scheint uns nicht empfehlenswert. „Je mehr man die Katze streichelt, um so höher hebt sie den Schwanz“, sagt ein altes Bauernsprichwort. So

Phänomen und Phantom der Oper

sehr ein Teil der Wiener Presse, die seinerzeit die Berufung Dr. Hilberts lebhaft akklamierte, nun plötzlich gegen diesen Front macht: die österreichische Öffentlichkeit würde es nicht begreifen, wenn dieser durch Karajans Demission in Mitleidenschaft gezogen würde. Um so weniger, als man während der letzten Wochen den unangenehmen Eindruck hatte, daß diese Anti-Hilbert-Kampagne, wie sie vor allem in den Wiener Mittagsblättern geführt wurde, ferngelenkt war, und daß mit der künftigen Position Karajans auch noch andere, sehr persönliche Interessen verknüpft sind.

Wie also ist der Weg aus der Opernkrise zu finden? Ganz bestimmt, wie meistens im Leben, nicht durch radikale Lösungen. Vielleicht wird man, ohne die Position des gegenwärtigen Direktors anzutasten und ohne diese wesentlich einzuschränken, für die Aufführungen, die Karajan als Dirigent und Regisseur zu betreuen gedenkt und die sich vermutlich jeweils auf eine bestimmte Periode innerhalb der Spielzeit konzentrieren werden, eine „dritte Kraft“ einschalten, so daß, rebus sie stantibus, unnötige Reibereien vermieden werden. Diesem Adlatus, Mittelsmann oder Sub-direktor wünschen wir aufrichtig, daß ihm nicht das Schicksal von Ritter Blaubarts vierter Frau beschieden sein möge. Karajan aber wird vielleicht, als Revanche für soviel Entgegenkommen, der Wiener Oper auch weiterhin seine weltweiten Kenntnisse des künstlerischen Potentials und seine Beziehungen beratend zur Verfügung stellen. Auf

diese Weise würden alle berechtigten Ansprüche befriedigt und die verschiedenen Menschlichkeiten geschont. Und die Direktion der Wiener Staatsoper könnte wieder aktionsfähig werden, vorausgesetzt, daß das runde Dutzend Neuinszenierungen, die Karajan als „seine Opern“ betrachtet, freigegeben, das heißt, nicht ausschließlich ihm als Dirigenten reserviert bleiben.

Denn gerade diese Produktionen haben sehr viel Geld gekostet, Summen, die man vor allem in den Bundesländern nur mit Staunen, ja mit Unwillen zur Kenntnis genommen hat. Werden solche Prunkinszenierungen entsprechend ausgenützt, so amortisieren sie sich bis zu einem gewissen Grade. Sperrt man sie aber und läßt sie in den Depots liegen, so ist das nicht nur im höchsten Grade unrentabel, sondern sie veralten auch. Nicht von1 heute auf morgen, aber schon im Lauf von zwei bis drei Jahren.

Zu den Freiheiten, die der Operndirektion gesichert werden müssen, gehört auch das nach rein sachlichen und künstlerischen Gesichtspunkten zu erfolgende Engagement guter, erstklassiger Dirigenten und Regisseure. So kann man zum Beispiel kaum eine Erklärung dafür finden, daß Wieland Wagner noch nie für eine Neuinszenierung am großen Haus am Ring gewonnen wurde.

Es wird also für die nächste Zeit wohl nur ein Kompromiß im oben angedeuteten Sinn möglich sein. Weniger eine endgültige Lösung, als ein Provisorium. Aber vielleicht ein gutes, das für spätere Regelungen alle Tore offen läßt

Denkmal?

Sehr geehrter Herr Präsident Bruno Marek!

Als einer der Proponenten des Vereins, der sich die Errichtung eines Dr.-Karl-Renner-Denkmals zum Ziel setzen will, haben Sie an mich die freundliche Einladung zur konstituierenden Generalversammlung und damit zum Beitritt gerichtet. Ich fürchte, Sie enttäuschen zu müssen, da ich mich außerstande sehe, Ihrem Ruf Folge leisten zu können. Ich gestehe es gleich offen: Ich bin nämlich gegen ein Renner-Denkmal. Sie werden es mir gewiß zubilligen, daß nicht politische oder persönliche Voreingenommenheit gegen den ersten Bundespräsidenten unserer Zweiten Republik oder kleinlicher Parteigeist meinen Standpunkt bestimmen.

Ich enttäusche Sie und die anderen Proponenten, die sich die Errichtung eines Standbildes Dr. Karl Renners zum Ziel gesetzt haben, ich werde aber auch ebenso alle künftigen Proponenten eines Leo-pold-Kunschak-Denkmals oder eines Julius-Raab-Denkmals enttäuschen. Ich bin nämlich nicht nur gegen ein Renner-Denkmal, ich bin gegen jedes neue Denkmal für eine Person, da ich diese Form, verdiente Männer unseres Vaterlandes zu ehren, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts — und hier glaube ich mit meiner Einstellung keineswegs allein dazustehen — für unzeitgemäß, ja für überlebt halte.

Es mutet den Historiker einigermaßen erstaunlich an, wenn gerade Sozialisten heute immer wieder nach dieser einst von ihnen belächelten und mitunter auch mit grimmigem Spott bedachten „bour-geoisen“ Form der „Verewigung“ verlangen. Seitz und Körner, brav nach dem „gesunden Volksempfinden“ in Bronze vor dem Rathaus! Und jetzt Renner? Ein republikanisch-österreichisches Gegenstück zu der Hohenzollern-Galerie im Berliner Tiergarten? Nein, das sollte man Dr. Renner nicht antun.

Verzeihen Sie, Herr Präsident, es war nicht meine Absicht, polemisch zu werden. Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück: Das Denkmal ist eben keine, mehr noch, es ist — auch zumeist künstlerisch — die schlechteste Form, in unserer Gegenwart hochverdiente Männer unseres Gemeinwesens zu ehren und das Andenken an sie wachzuhalten. Die Denkmäler unserer Zeit heißen Stiftung; sie finden ihren Ausdruck in Preisen, die für Leistungen vergeben werden, die in der Nachfolge des Mannes, mit dessen Namen sich der Preis verbindet, vollbracht wurden. Hier hat Bundespräsident Renner schon bereits einige — zuletzt durch den von der Bank für Arbeit und Wirtschaft gestifteten Preis für Publizistik — Denkmäler gesetzt bekommen, die schwer zu überhöhen sind. Statuen aus Bronze oder Stein, möglichst in Lebensgröße, in heroischer Haltung oder in leutseliger Geste — nein: überlassen wir das den Diktatoren.

Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn ich Ihnen hier meine Ablehnung, mich Ihrem Denkmalkomitee anzuschließen, ausführlich und öffentlich begründet habe, so möchte ich jedoch gleichzeitig, ohne inkonsequent zu sein, versichern, daß ich mich schon lange einem anderen Dr.-Renner-Denkmal-Komitee zugehörig fühle. Allen jenen Österreichern, die, gleichgültig, ob sie Links stehen oder ob sie sich der Rechten zugehörig fühlen, ihre Aufgabe darin sehen, über den Streit der Tagespolitik hinweg das Fundament zu sichern, damit das schönste Denkmal, auch für Dr. Renner, nicht auf Sand gebaut war: unsere Republik Österreich.

Ihr ergebener KURT SKALNIK

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