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G. F. Händeis „Messias“

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Wir bringen die nachstehenden Ausführungen, die ein wichtiges und interessantes Problem unserer Musikkultur und ihrer Auffüb-rungsweise beinhalten. Inwieweit des Verfassers Urteile über Mozart vollinhaltlich zu Hecht bestehen, ist schwerlich eindeutig zu entscheiden. Mozart wird immer der so fiberragende Genius bleiben, daß seine Bearbeitung eines Werkes stets höchsten Glanz ausstrahlen wird, wobei der Besondere Anspruch an unser ehrerbietiges Interesse für die Originalfassung eines Meisterwerkes unbestritten bestehen bleibt. „Die Furche“

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Wir bringen die nachstehenden Ausführungen, die ein wichtiges und interessantes Problem unserer Musikkultur und ihrer Auffüb-rungsweise beinhalten. Inwieweit des Verfassers Urteile über Mozart vollinhaltlich zu Hecht bestehen, ist schwerlich eindeutig zu entscheiden. Mozart wird immer der so fiberragende Genius bleiben, daß seine Bearbeitung eines Werkes stets höchsten Glanz ausstrahlen wird, wobei der Besondere Anspruch an unser ehrerbietiges Interesse für die Originalfassung eines Meisterwerkes unbestritten bestehen bleibt. „Die Furche“

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Wenn die Aufführungen großer religiöser Kunstwerke durch unsere ersten Chor- und Orchestervereinigungen in den letzten Wochen nicht immer den Erwartungen entsprachen, so findet dies nur zum Teil seine Erklärung in der bekannten Überlastung der Ausführenden. Werke von' der Größe einer Bachschen „Matthäuspassion“ verlangen eben mehr als andere neben einer gewissenhaften Vorbereitung ein tieferes Einfühlen aller Mitwirkenden, Dirigent] Solisten, Chor und Orchester müssen mehr als sonstwo eine organische Einheit bilden und nicht bloß musikalisch, sondern auch religiös irgendwie mit dem Kunstwerk verhaftet sein. Eine solche liebevolle Vertrautheit aller Interpreten mit dem Werk gab den beiden Aufführungen des Händelschen „Messias“ durch die Badi-Gemeinde unter ihrem Dirigenten Julius Peter ein besonderes Gepräge. Nicht allein für die Zuhörer, sondern sichtlich auch für die Mitwirkenden, gestaltete der Dirigent die beiden Konzerte zu einem Erlebnis. Ausführende waren Erika R o k y t a, Emmi Becker, Erich M a j-k u t und Tomislav N e r a 1 i c als stimmlich wie musikalisch' ausgezeichnete Solisten, das Kammerorchester und der trefflich geschulte Madrigalchor der Bach-Gemeinde. Nicht oft erlebt man im Konzertsaal ein so freudiges, hingebungsvolles Musizieren, nicht oft ein so begeistertes Singen vieler junger Stimmen, nicht oft auch eine solche Andacht und Ergriffenheit der Zuhörer, die letzten Endes die sichersten Gradmesser “für das Gelingen sind.

Noch in anderer Beziehung waren die beiden „Messias“-Aufführungen bemerkenswert: Der Zielsetzung der Bach-Gemeinde entsprechend brachte der Dirigent das Werk in der Händeischen Originalfassung zu Gehör und wich damit bewußt von der in Wien üblichen Tradition ab, den „Messias“ in der Mozartschen Bearbeitung zur Aufführung zu bringen. Damit ist die Bach-Gemeinde einen Schritt weitergegangen auf dem Wege, die Werke unserer alten Meister in der von ihnen gewollten Gestalt Klang werden zu lassen.

Um die Partitur des „Messias“ besteht eine gewisse Problematik. Händel hat für die zahlreichen Aufführungen des Werkes, die noch zu seinen Lebzeiten stattfanden, immer wieder Änderungen vorgenommen, er hat neue Arien hinzukomponiert, alte für andere Stimmlagen transponiert, so daß wir von einer authentischen Originalfassung nur mit einer gewissen Einschränkung sprechen können. Dieses rein textkritische Problem soll hier nicht näher erörtert werden. Was jedoch immer wieder Anlaß zur Kritik gegeben hat, ist das scheinbare Mißverhältnis zwischen der monumentalen Größe des Werkes und den - verhältnismäßig bescheidenen“ Ausdrucksmitteln, deren Händel sich bedient. Die Orchesterbesetzung besteht nach der Originalpartitur neben den Streichern nur aus zwei Trompeten und Pauken und auch diese werden höchst sparsam nur zu den größten Steigerungen, hauptsächlich in den Chorsätzen, herangezogen. Daneben dürften im praktischen Gebrauch . zur registermäßigen Verstärkung noch die üblichen Choroboen und Chorfagotte verwendet worden sein. Dazu tritt das Cembalo als Basso-Continuo und die Orgel als Füllstimme für die Chöre. In dieser Besetzung wurde der „Messias“ von der Bach-Gemeinde zur Aufführung gebracht und man darf sagen, daß in klanglicher Beziehung kein Wunsch offen blieb. Wohl klang der „Messias“ strenger, herber, asketischer als in dem farbigen Kolorit des klassischen Symphonieorchesters in der Mozart-Bearbeitung, aber auch echter und stilreiner.

Unter den zahlreichen Bearbeitern, die durch die scheinbare Divergenz zwischen Gehalt und Ausdrucksmittel auf den Plan gerufen wurden, sah sich als der bedeutendste auch Mozart veranlaßt, eine weitgehende Uminstrumentierung des „Messias“ aus dem Stilgefühl und den Instrumentationsgewohnheiten seiner Zeit heraus vorzunehmen. Wenn im folgenden an dieser Bearbeitung aus Mozarts Feder einige Kritik geübt wird, so sei vorweggenommen, daß sie musikalisch selbstverständlich einwandfrei ist und bis heute noch das beste Aufführungsmaterial bietet. Auch läßt sich das Händeische Original unschwer aus der Mozart-Partitur herausschälen. Immerhin erhebt sich aber die prinzipielle Frage, wie weit eine Zeit überhaupt berechtigt ist, sich mit den ihr eigenen Ausdrucksmitteln der Schöpfung einer vergangenen Epoche zu bemächtigen. Zweifellos bildet die Instrumentation einen wesentlichen Bestandteil der musikalischen Konzeption. Die vom Text ausgehende Inspiration wird bereits bestimmte Klangbilder in der Vorstellung des Komponisten hervorrufen und alles, was später in dieser Hinsicht in ein Werk hineingetragen wird, muß notgedrungen, wenn es nicht mit sehr viel Einfühlung geschieht, ein Fremdkörper bleiben. Die Mozartsche Instrumentation geht offenbar von dem Be~ streben aus, durch eine stärkere klangliche Differenzierung die musikalische Großartigkeit des Werkes noch zu erhöhen. Die verdoppelten Holz- und Blechbläser übernehmen in den Chorsätzen zum Teil die Aufgabe der Orgel, allerdings mit wesentlich veränderten Klangfarben. Erreicht wird

damit eine vom Komponisten gewiß nicht beabsichtigte Verschiebung des Schwergewichtes von dem bewußt dominierenden Chor auf das Orchester. Bei sechs Arien ist ferner in der Händel-Partitur zu dem begleitenden Cembalo nur eine Violinstimme notiert. Gewiß ohne innere Notwendigkeit — denn Händel folgt darin einer in der Barockmusik durchaus üblichen Gepflogenheit — hat Mozart in jedem Fall eine zweite Violin- und eine Violastimme, in fünf Fällen auch einen Holzbläsersatz hinzugefügt. Die wegen ihrer Höhe schwer ausführbaren Trompetenstimmen hat Mozart durchweg umgeschrieben, dadurch aber gerade den fünf Sätzen, in denen Händel dieses Instrument verwendet, das Charakteristische genommen. Völlig unmotiviert und geradezu störend ist es, wenn Mozart die beiden wundervollen, von Händel a capella notierten Chorsätze „Wie durch einen der Tod“ (44) von Holzbläsern und Posaunen begleiten läßt. Und wenn Mozart endlich in der Sinfonia pastorale als allzu beab-

sichtigte Unterstreichung des „Pastoralen“ die Piccoloflöte einführt und gedämpfte Streicher vorschreibt, so wird dadurch ein Sentiment in das Werk getragen, das in offenkundigem Widerspruch zu dessen ernster Größe steht. Die asketische Herbheit, das beherrschte Maßhalten in den Ausdrucksmitteln ist ein Charakteristikum der barocken Musik überhaupt, das im „Messias“ überdies in dem Verhältnis Händeis zu seinem Schöpfer und den letzten Fragen der Menschheit verankert ist.

Diesen für die Mozart-Bearbeitung rein negativen Feststellungen gegenüber steht aber doch die Tatsache, daß diese Bearbeitung namentlich für das Wiener Publikum seit Menschengedenken schlechthin der Händeische „Messias“ war. Seit vielen Generationen haben wir den „Messias“ immer in dieser Gestalt gehört, sein Klangbild ist uns vertraut geworden, wir haben ihn lieb gewonnen und kaum mehr empfunden, daß hier neben dem Komponisten noch ein anderer in einer anderen Sprache zu uns redete. Um so verdienstvoller war der Entschluß zu einer Aufführung des „Messias“ in der Originalfassung, weil sich uns dadurch erst die Möglichkeit zu einem Vergleich bietet. Und wir dürfen heute schon sagen: Der Vergleich ist keineswegs zugunsten der Bearbeiter, auch nicht des bedeutendsten unter ihnen, ausgefallen. Daß der „Messias“ in seiner ursprünglichen, unverfälschten Gestalt über Jahrhunderte hinweg imstande ist, die Menschen erlebnishaft zu beeindrucken, ist ein Beweis für seine Unvergänglichkeit. Auch andernorts haben Versuche ähnlicher Natur bewiesen, daß unsere alten Meister keiner Bearbeiter bedürfen und in ihrer Art

genau so unmittelbar zu uns zu sprechen vermögen, wie zu ihren Zeitgenossen. Und wenn wir in den nächsten Jahren vielleicht Gelegenheit haben, Original und Bearbeitung im Wechsel zu hören, so wird vielleicht auch einem größeren Kreis allmählich die Erkenntnis zuteil werden, wie in der Bearbeitung da und dort manches schal und überflüssig, ja vielleicht sogar störend ist und wieviel Gewolltes und Beabsichtigtes dem organisch Gewordenen des Händeischen Originals gegenübersteht.

Eine Tagung für evangelische Kirchenmusik in Wien

In der evangelischen Kirche Österreichs sind gegenwärtig zielstrebige Bemühungen im Gange, die im Laufe der Zeit verlorengegangenen Schätze der evangelischen Kirchenmusik für den Gottesdienst zu beleben. Im Oberkirchenrat A. u. H. B. in Wien wurde ein eigenes Referat errichtet, das ordnend auf die Entwicklung Einfluß nehmen soll. Mit der Leitung wurde Dr. Egon H a j e k betraut, Professor für evangelische Kirchenmusik an der Staatsakademie fiür Musik. In den Tagen vom 19. bis 24. Mai ist in Verbindung mit der Abteilung für Kirchenmusik der staatlichen Musikakademie diesen erfreulichen Bestrebungen eine eigene Evangelische kirchenmusikalische Woche mit Kursen und musikalischen Aufführungen gewidmet. Namhafte katholische Fachleute werden an den Kursen mit Referaten beteiligt sein, so die Professoren Dr. Franz K o s c h, Karl Walter, Dr. T i 11 e 1 und Dr. Lechthaler sowie Landesinspektor Robert Jindracek. Man darf in dieser Veranstaltung für den Ruhm religiöser Kunst eine Äußerung harmonischen christlichen Zusammenwirkens erblicken. Die Darbietungen auf dieser kirchenmusikalischen Woche werden interessante Wechselbeziehungen in Erinnerung rufen. Luther hat bekanntlich in die evangelische Kirchenmusik, wie es kaum anders sein

konnte, viel katholisches Gut mit hinübergenommen, so den gregorianischen Choral, etliche Kirchenlieder usw. Sein Ausbau war dann das deutsche Kirchenlied, das wieder viele Anregungen an den katholischen Volksgesang weitergegeben hat.

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