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NACHRUF AUF SALZBURG

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Bald nachdem sich im Salzburger Festspielhaus der Vorhang über der letzten Aufführung gesenkt hatte, wurde in zahlreichen in- und ausländischen Zeitungen Bilanz gemacht. Es war ein vielstimmiges Orchester kritischer Stimmen (über 700 Kritiker hatten die Veranstaltungen besucht!), aber man hörte fast nur eine Melodie. Der „cantus firmus“ der meisten Betrachtungen lautete: So kann und soll es nicht weitergehen. Am prägnantesten hat vielleicht der bekannte Münchner Kulturkritiker und langjährige Freund der Salzburger Festspiele, K. H. Ruppel, in der „Süddeutschen Zeitung“ das Hauptproblem dargestellt. Gilt noch die ursprüngliche, von Hofmannsthal und Reinhardt konzipierte Idee, kann sie zeitgemäß erneuert werden, und wenn nicht: Was soll an ihre Stelle treten?

Gewiß, die Hofmannsthalsche Konzeption ist schon lange durchbrochen, merkantile Ueberlegungen sind in sie eingedrungen (und haben die Peripherisierung des ursprünglich mit der Oper gleichgestellten Schauspiels bewirkt); aber so unbekümmert, wie im Falle „Vanessa“, wurde noch nie über sie hinweggegangen. Die Frage erhebt sich, ob ihr damit nicht eigentlich der Todesstoß versetzt wurde, desgleichen, da das Direktorium, obwohl noch auf die „alte“ Idee Salzburg verpflichtet, zu allem geschwiegen und nur genickt hat, die weitere an Herrn von Karajan zu richtende Frage, ob er seinerseits eine neue Konzeption für Salzburg hat, wie sie beschaffen ist, und ob er bereit ist, sie vor der Oeffentlichkeit zu vertreten. Was in diesem Jahr geschehen ist, ist nichts anderes als ein Verrat an der Idee Salzburg, wie sie bis jetzt gültig war. Dabei kann es nicht bleiben. Wenn Karajan der Meinung ist, daß eine bald vierzigjährige Herrschaft des Hofmannsthalschen geistigen Statuts die Gefahr einer künstlerischen Versteinerung heraufbeschwöre — wir sind dieser Meinung nicht —, so muß er ein neues Statut entwerfen. Das kostet Gedankenarbeit, Mühe und Zeit, die sich der Vielbeschäftigte, anders als einst Hofmannsthal, kaum wird abringen können. Aber als einen „Sekundärbetrieb“ in seinen weitverzweigten künstlerischen Unternehmungen kann er Salzburg auch nicht führen. Ob ihm ein verjüngtes Direktorium erwünscht wäre, mag man bezweifeln; aber neue Ideen, sofern Karajan sie hätte, könnten gerade auch von jüngeren Ohren günstig aufgenommen werden.

Und Ruppel beschließt seine Ausführungen mit den Worten:

Sicher ist: Ein Eintausch geistiger Gesichtspunkte durch geschäftliche begründet allenfalls eine neue Kassenordnung, kein neues Festspielstatut, wenn er nicht, wie der Fall „Vanessa“ gezeigt hat, sogar prinzipielle Zweifel an der künstlerischen Seriosität der Festspiele weckt, so reich an großen künstlerischen Eindrücken im einzelnen sie in diesem Jahr auch gewesen sind. Auch das nächste Jahr verspricht eine Reihe „künstlerischer Eindrücke“, ja, man kann sagen, daß das Programm, soweit es für Oper und Theater bereits fixiert wurde, besser ist als das für 1958. Aber 1960, mit der Eröffnung des neuen, größeren Festspielhauses, steht vor der Tür. Da wird man sich entscheiden müssen, welchen Weg man künftig zu gehen gedenkt.

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