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Salzburg in der Sackgasse

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Vor einem Jahr erschien an dieser Stelle ein Artikel mit dem Titel „Salzburger Perspektiven 1970“, dessen erster Satz lautete: „Man mag es wahrhaben oder nicht: Salzburg mit seinen Festspielen repräsentiert — viel mehr als die reichhaltigeren Wiener Festwochen — für Millionen Ausländer Österreich. Von diesem Ruf, mit dem nur noch der Bayreuths als Festspielstadt verglichen werden kann, leben zum großen Teil die Salzburger Festspiele heute. Aber dieses Renommee verpflichtet auch, besonders jetzt...“ Nachdem die damalige Programmierung kritisiert und, in sechs Punkten, auf Mängel, Fragwürdigkeiten und Schwächen hingewiesen war, schloß der Artikel (in Nr. 33 der „Furche“ von 1969) mit den Worten: „Aber man wird trotzdem volle Häuser zu registrieren haben. Gott sei Dank! Oder: Leider?“

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Vor einem Jahr erschien an dieser Stelle ein Artikel mit dem Titel „Salzburger Perspektiven 1970“, dessen erster Satz lautete: „Man mag es wahrhaben oder nicht: Salzburg mit seinen Festspielen repräsentiert — viel mehr als die reichhaltigeren Wiener Festwochen — für Millionen Ausländer Österreich. Von diesem Ruf, mit dem nur noch der Bayreuths als Festspielstadt verglichen werden kann, leben zum großen Teil die Salzburger Festspiele heute. Aber dieses Renommee verpflichtet auch, besonders jetzt...“ Nachdem die damalige Programmierung kritisiert und, in sechs Punkten, auf Mängel, Fragwürdigkeiten und Schwächen hingewiesen war, schloß der Artikel (in Nr. 33 der „Furche“ von 1969) mit den Worten: „Aber man wird trotzdem volle Häuser zu registrieren haben. Gott sei Dank! Oder: Leider?“

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Die Voraussage ist eingetroffen. Leider. Die Säle waren voll, die Kasse stimmte. Sonst aber stimmte sehr wenig bei diesen Jubiläumsfestspielen. — Bitter genug, daß hier eine einzigartige Gelegenheit verpaßt wurde. Noch bitterer ist, daß kein Silberstreif am Horizont zu erblik-ken ist.

Kurz noch einmal, zum letzten Male, ein “Wort über die verpaßte Gelegenheit: Kein Werk wäre au diesem festlichen Anlaß geeigneter gewesen — da man der Gründung der Festspiele und ihrer Gründer zu gedenken hatte — als eine von den beiden großen, weniger bekannten, aiber besonders festlichen Opern von Hof-mamnsthal und Strauss: „Die Frau ohne Schatten“ oder „Die ägyptische Helena“, für die das große Festspielhaus wie geschaffen ist.

Aber nein, es konnte nicht sein, denn Karajan wollte seinen „Othello“ haben — und er bekam ihn auch. Und dabei nämlich. — daß einer bei einem so wie bisher zusammengesetzten Direktorium seinen Willen durchsetzt, und wäre er durch nichts zu rechtfertigen — wird es vorderhand wohl bleiben. Wenn nicht etwa das Folgende geschieht:

• Die fast einhellige Kritik des Spielplanes der Salzburger Festspiele in ihrem Jubiläumsjahr sollte die Verantwortlichen aus ihrem Dämmerschlaf rütteln.

• Nachdem 1971 so gut wie vertan ist (weder ein „Wozzeck“, wie bereits vor zehn Jahren gehabt, noch ein „Unbestechlicher“ machen einen Festspielsommer) sind ab sofort Maßnahmen für 1972 zu treffen und die folgenden Jahre zu programmieren.

• Das gegenwärtige Direktorium, bestehend aus den Herren Poum-gartner, Karajan, Kaut und Haussermann — von denen jeder einzelne seine Qualitäten hat — ist kein gutes, initiatives Team. Denn hier wird alles auf amikale Weise geregelt, man arrangiert sich untereinander — aber die Festtafel bleibt unbestellt (oder ziumindest eintönigkonventionell).

• Bezeichnend für die Salzburger Verhältnisse ist, daß trotzdem zwei der Direktoriunwnitgiieder (Kaut und Häussermann) als mögliche Festspielpräsidenten genannt werden und daß der dritte, persönlich und fachlich am meisten befähigte Kandidat, nämlich Dr. Herbert Graf, derzeit die geringsten Aussichten zu haben scheint.

• Ein Reprisenprogramm, das nur mittels einiger Neuinszenierungen älterer Werke aufgeputzt ist, wird künftig nicht mehr genügen. Die Reihe der Opernuraufführungen, deren es von 1947 bis 1966 insgesamt elf gegeben hat, ist unter allen Umständen fortzusetzen. Sollte keine festspielwürdige Oper aufzutreiben sein, so möge man aufs Ballett ausweichen. Es kann aber auch eine Multimedia-Produktion sein, wozu wir bereits vor einem Jahr einen ganz konkreten, wohlüberlegten und realisierbaren Vorschlag gemacht haben.

• Aber hierfür — und gerade hierfür — braucht man einen Verantwortlichen. Voraussetzung für Verantwortung aber ist Entscheidungsfreiheit, das heißt: ein mit allen Vollmachten ausgestatteter Präsident. Die Salzburger Festspiele sind, ob man es bedauern oder begrüßen mag, ein Großbetrieb geworden. Dieser kann nicht mehr von einem Gremium geleitet werden, sondern erfordert einen Alleinverantwortlichen, zumindest eine „oberste Instanz“.

• Das bedeutet nicht, daß das Direktorium aufzulösen wäre. Im Gegenteil! Nicht nur der vakante 5. Platz ist zu besetzen, sondern man möge dem neuen Präsidenten auch das Recht einräumen, einen oder zwei initiative Männer vorschlagen zu dürfen, damit er seine Vorhaben durchsetzen kann. '

• Es würde dem Direktorium kein Stein aus der Krone fallen, wenn der offiziell niemals aufgelöste Kunstrat reaktiviert würde. In ihn wären Männer zu berufen, von denen neue Ideen zu erwarten sind, also Spezialisten vor allem für modernes Ballett, neue Oper und Musik sowie zeitgenössisches Theater. Die letzte Entscheidung fällt der Präsident. Aber er muß viele Vorschläge erhalten, um aus der Fülle das für Salzburg Richtige auswählen zu können.

• Die Mitglieder des Direktoriums sollen nicht „auf Lebzeiten“ ernannt werden, sondern höchstens für fünf, womöglich nur für drei Jahre. Vielleicht ist es auf diesem Weg möglich, der Routine und der Bequemlichkeit, der Verbindlichkeit und der Unver-binöüchkeit auszuweichen.

• Zum Schluß:'Das Verhältnis der Festspiele zur Kritik ist ungut. Es mag vielleicht nicht klug gewesen sein, daß vom ORF ein Team meist jüngerer Kritiker, darunter auch ein bundesdeutscher, beschäftigt wurde, die fast Abend für Abend die einzelnen Veranstaltungen „verrissen“ haben. (Denn so schlecht waren sie im einzelnen auch wieder nicht!)

Aber statt einen Kritikerpreis zu stiften (auf den wir noch zurückkommen werden), wäre es zweckmäßiger gewesen, die Fachkritik des jeweils vorausgegangenen Jahres genau zu studieren und die berechtigten und konkreten Einwände zu berücksichtigen.

Zu allerletzt die Frage: „Wer hängt der Katz' die Glocke um?“ Wer diese allmächtige Katze ist — das muß der geneigte Leser selber erraten.

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