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Schatten über dem Musikleben

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Die Nachricht, daß sich die Wiener Konzerthausgesellschaft mit der Gesellschaft der Musikfreunde in der kommenden Konzertsaison 1949 50 zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschilossen habe und daß ab Herbst 1949 alle großen Konzertveranstaltung der Konzerthausgesellschaft im Musikvereinssaal abgehalten werden sollen, hat nicht nur in den Kreisen der Wiener Musiker, sondern darüber hinaus auch beim Konzertpublikum Überraschung und Erstaunen hervorgerufen. Diese Tatsache wurde in breitesten Kreisen zum Gegenstand einer mehr oder weniger temperamentvoll geführten Debatte, und es war sehr interessant, die verschiedenen Meinungen aneinanderprallen zu hören.

So sehr auch dieser bereits vertraglich vollzogene Zusammenschluß der beiden größten und führenden Konzertgesellschaften Wiens im Sinne der Konzentration des seriösen Konzertlebens der österreichischen Bundeshauptstadt zu begrüßen ist, muß man es andererseits, ungemein bedauern, daß die Musikstadt Wien nicht die Kraft hat, gleichzeitig zwei große, in Bedeutung und Rang fast ebenbürtige Konzertgesell- schäften hinlänglich dauernd zu beschäftigen, denn es fiel allgemein die Tatsache auf, daß der schlechte Geschäftsgang des Konzerthauses mit ein Anlaß zu dieser Kräftekonzentration gewesen ist.

Es dürfte nun interessant ein,. festzustellen, inwieweit das große Wiener Konzertpublikum diesen schlechten Geschäftsgang des Konzerthauses bedingte, denn durch die Tatsache der kommenden Arbeitsgemeinschaft wird blitzartig in ein Problem hineingeleuchtet, das schon seit geraumer Zeit das Wiener Konzertpublikum beschäftigt. — Warum gingen denn die seriösen Veranstaltungen des Konzerthauses um so vieles schlechter als die des Musikvereins? Sind die Säle daran schuld? Sticht das warme, rotgoldene Interieur des Musikvereinssaales so sehr von der etwa kühlen Eleganz des Konzerthaussaales ab? Sind die, allerdings wiederholt korrigierten Mängel des Konzerthaussaales im Gegensatz zu der wundervollen Akustik des Musikvereinssaales noch immer so hervorstechend, daß man aus diesem Grunde den Musikvereinssaal bevorzugt, oder spielen die Größenverhältnisse der beiden Säle eine so ausschllagebende Rolle, wobei man doch nicht vergessen darf, daß der Konzerthaussaal mit seinen 2002 Sitz- und Stehplätzen den Fassungsraum des Musikvereinssaales mit 1985 Plätzen nur um ganz weniges hinter sich zurückläßt? Liegt der Musikvereinssaal verkehrstechnisch vielleicht günstiger als der Konzerthaussaal? Nein! Alle diese Argumente spielen bei der Frage nach dem schlechteren Geschäftsgang des Konzerthauses fast gar keine Rolle, ausschlaggebend ist einzig und allein die so ganz verschiedene Programmgestaltung dieser beiden Konzertgesellschaften.

Es ist eine bekannte und nicht wegzuleugnende Tatsache, daß die Gesellschaft der Musikfreunde in der Zusammenstellung ihrer großen Konzertzyklen immer eine gewisse konservative Linie bevorzugt, während die Konzerthausgesellschaft offensichtlich die modernen und modernsten Musikschöpfun gen propagierte und es sich anerkennenswerterweise zur Richtlinie gemacht hat, der Musikstadt Wien die neuesten Produktionen der zeitgenössischen Musik zu vermitteln. Und darin liegt wohl der Grund für „den schlechten Geschäftsgang“ der Konzerthausgesellschaft.

Es ist allgemein bekannt, daß Wien sich seit eh und je der modernen, etwas radikal anmutenden Musikproduktion gegenüber, wenn schon nicht ganz ablehnend, so doch immerhin sehr reserviert und kühl abwartend verhalten hat, was sich ohne weiteres durch viele Beispiele aus der Vergangenheit in der Wiener Musikgeschichte beweisen läßt. Zu erinnern wäre da nur an Richard Wagner, an Bruckner und Hugo Wolf, an Gustav Mahler und andere mehr, von jüngeren und jüngsten Meistern ganz zu schweigen. Wien hatte zwar immer den Takt, mißfallende Kompositionen nicht durch einen großen und sensationell aufgezogenen Theater- oder Konzertskandal abzulehnen, aber es reagiert sofort und sehr deutlich darauf durch Nichtbesuch dieser betreffenden Konzertveranstaltungen, mag der Komponist im Ausland noch so sehr gefeiert und seine Werke von den zünftigen Musikern anerkannt worden sein- Den Wienern gefiel es eben nicht, und lie gingen daher einfach nicht hin! Wie die

Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen, und wer heute unbeeinflußt die großen Veranstaltungen der beiden führenden Konzert häuser Wiens besuchte, mußte die Feststellung machen, daß gewisse Konzerte und gewisse Werke von Komponisten modernster Richtung im Konzerthaus halbleer waren, während die konservativen Programme der Gesellschaft der Musikfreunde begeisterten Anklang fanden und der Musikvereinssaal schon im Herbst „ausabonniert“ war. — Gewisse Konzerte im Konzerthaus aber, die dem Geschmack des Wiener Konzertpublikums entgegenkamen, waren genau so gut besucht wie die Veranstaltungen im Musikverein. Ich erinnere nur an das trotz hochsommerlicher Hitze überfüllte Jeritza- Konzert, an die IX. Symphonie von Beethoven, an das „Buch mit sieben Siegeln“ oder an die Chopin-Abende unseres jungen Gulda und andere mehr.

Ob diese allgemein bekannte, konservative Musikeinstellung des Wieners ihm schlecht angeschrieben werden muß oder nicht, das steht hier nicht zur Debatte, darüber können auch unsere Musikkritiker und schaffenden Musiker nicht allein urteilen, denn die fernere musikalische Entwicklung wird dem Wiener einmal recht oder unrecht geben. Der Sinn und Zweck dieser Betrachtung aber ist der, an der Hand von nicht abzuleugnenden Tatsachen die Gründe und tieferen Ursachen aufzuhellen, warum die Veranstaltungen der Konzerthausgesellschaft so schlecht, die des Musikvereins trotz allgemeiner Wirtschaftskrise und Geldknappheit weiterhin so gut besucht sind. Diese Feststellungen sollen auch keineswegs ein Werturteil über moderne Kompositionen beinhalten, die der Schreiber dieser Zeilen gar nicht zur Diskussion stellen will, sondern sie sollen nur ein Beitrag sein, um die Hintergründe des schlechten Geschäftsganges der Wiener Konzerthausgesellschaft bei seriösen Konzerten dem Leser zu verdeutlichen und eine Diskussion über diese im Wiener Konzertleben eigenartig anmutende Erscheinung anzuregen.

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