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Unsere jungen Komponisten

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Ein von der Stadt Wien veranstaltetes Konzert „Junge Wiener Komponisten“ machte mit einer ganzen Reihe junger Künstler bekannt, die — wie der Leiter des Musikreferats der Stadt und Theorielehrer an der Staatsakademie, Professor Friedrich Wildgans, bezeugte — sich das handwerkliche Können in bemerkenswertem Ausmaß angeeignet haben und in ehrlichem Streben um ihren Eigenstil ringen. Es handelte sich bei den aufgeführten Komponisten, um Studierende der Kompositionsklassen an der Staatsakademie, welche — mit einer Ausnahme — im dritten Lebensjahrzehnt stehen (Kurt Schmidek: Klaviersonatine, Paul Kont: Tryptichon für Violine und Klavier, Josef Garai: zwei Sonatinen für .Klavier, Walter Nußgruber: drei Kammerlieder, nach Gedichten von E. Danneberg mit Instrumentalbegleitung, Karl Heinz Füßl: Kammermusik für fünf Bläser). Das Werk zweier weiterer junger Künstler, Paul Angerer und Anton Heiller, wurde in der „Furche“ bereits gewürdigt; die nicht gerade zahlreichen Aufführungen und die Einsicht in ihre unaufgeführten Manuskripte machten uns mit einer Reihe weiterer Talente bekannt, welche es verdienten, gefördert zu werden.

Der junge schaffende Künstler hat es in mehrfacher Hinsicht schwerer als seine übrigen Alterskollegen, welche sich auf einen „bürgerlichen“ Beruf vorbereiten. Hand in Hand mit der Erlernung des musikalischen Handwerks geht die kritische Auseinandersetzung mit dem musikalischen Milieu, in das er hineingestellt ist, mit der musikalischen Tradition sowie mit dem Schaffen der älteren Generation des Iri-und Auslandes. Er wird von diesem oder jenem älteren oder zeitgenössischen Meister Anregungen empfangen und beeinflußt werden. Diese Eindrücke aber müssen organisch verarbeitet werden, denn das Ziel ist ja, zum Eigenstil vorzustoßen. Während nun bei jeder anderen Berufsausbildung, auf allen übrigen Lebensgebieten,* jeder „Fortschritt“ begrüßt und gebilligt zu werden pflegt, wird es dem jungen Komponisten, der Neuland betreten hat, nicht erspart bleiben, daß sein Werk von der Umwelt, von einem Teil der Kritik,1 ja von seinen nächsten Angehörigen angezweifelt und nicht ernst genommen wird. Pausenlos steht er so im Widerspruch zwischen dem durch das Urteil seiner Lehrer gestärkten Vertrauen auf seine Begabung und dem Zweifel, ja dem Unverständnis der Umwelt.

Äußere Schwierigkeiten treten hinzu. Unsere jungen Komponisten haben kein Nqtenpapier, ihre Werke aufzuschreiben, und nur selten bietet sich — durch den gleichen Mangel bedingt — die Möglichkeit, ihre Kompositionen drucken zu lassen. Einzelne stellen sich ihr Notenpapier in mühevoller Arbeit selbst her oder bemühen sich

— wie zu Johann Sebastians Zeiten — die Linien und Notenköpfe in Metallplatten zu ätzen.

Ist es nun — trotz dieser Schwierigkeiten — einem jungen Künstler gelungen, seine Inspiration zu Papier zu bringen, so. ist nur ein Teil der Aufgabe gelöst. Denn

— und in dieser Hinsicht befindet sich ja der Musiker seinen Kollegen, den Dichtern und Malern gegenüber in einer weit schwierigeren Situation — seine Musik muß ja zum Klingen kommen, .wenn sie wirken soll, und erst durch die Aufführurg hat der junge Musiker die Möglichkeit, sich selbst zu kontrollieren und jene praktischen Erfahrungen zu sammeln, die kein noch so gründlicher und ausgedehnter Instrumentationsunterricht ersetzen kann. Und hier türmen sich neue Schwierigkeiten. Erfahrungsgemäß Setzen sich nur die wenigsten ausübenden Künstler, Orchester und Konzertveranstalter für neue Musik ein. Sie gilt zumeist als „undankbar“ und „zieht“ nicht; und in der Tat kann man beobachten, daß Konzerte mit, neuer Musik — insbesondere mit Werken unbekannter junger Komponisten — wesentlich schwächer besucht sind als klassische Konzerte. Zwar gibt es immer rühmliche Ausnahmen: Solisten, Dirigenten und Gesellschaften, so zum Beispiel die „Internationale“ Gesellschaft für neue Musik“ oder die Mozart-Gemeinde, aber ihre Mitte! und ihr Aufführungsapparat sind begrenzt, und 'der Hörerkreis, der sich um sie geschart hat, ist klein. Für den schaffenden Musiker kommt aber der Augenblick, wo er auf breitere Schichten zu wirken das Bedürfnis hat, um sich in seinem Streben verstanden und bestätigt zu sehen. Und nur von Aufführungen in größerem Rahmen kann er sich auch jene finanzielle Hilfe erhoffen, die er — wie jeder andere Mensch — nun einmal zum Leben braucht. Die Autorengesellschaft (AKM) plant nun, um ihren Mitgliedern zu helfen, für die Aufführung, insbesondere für die Uraufführung neuer Werke, höhere Gebühren einzu-heben. Das kann zur Folge haben, daß die wenigen Förderer zeitgenössischer Musik durch die hohen Aufführungsgebühren abgeschreckt werden. Damit aber wäre der Zweck dieser Maßnahme der Autorengesellschaft sehr in Frage gestellt. Zweckmäßiger wäre es wohl, jene Sparten und Veranstaltungen, denen von vornherein ein größeres Publikum und damit ein größerer Gewinn sicher ist, zu einer kleinen Abgabe — etwa von 1 bis 2 Prozent — zu veranlassen, Sie der Förderung ernster Musik und ihrer Schöpfer zugute zu kommen hätte. Daß diese Mittel in erster Linie unseren eigenen, einheimischen Künstlern zugewendet werden sollen, versteht sich von selbst.

Wird dem jungen Musiker von sehen des Staates nicht geholfen, so bieten sich ihm im wesentlichen zwei Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt zu fristen. Entweder er ergreift einen Nebenberuf — oder er schreibt leichte Musik: von der gehobenen Unterhaltungsmusik und der Filmmusik bis hinunter zum Schlager und Wienerlied. Liegt der Nebenberuf in der Nähe seines' Schaffensgebietes, so ist der Schaden verhältnismäßig gering. Hat er sieb aber einmal damit abgefunden, Gebrauchsmusik für Geld zu schreiben, so gerät er sehr leicht auf eine schiefe Bahn, und es bedarf einer gereiften Persönlichkeit, um von der handwerklichen Herstellung von Unterhaltungsmusik wieder zurück zu sich selbst, zur echten Kunst zu finden. Man wende nicht ein, daß in vergangenen Jahrhunderten große und größte Meister es nicht verschmähten — und es habe ihnen auch nicht geschadet —, Musik auf Bestellung zu komponieren, Weshalb dies heute nicht oder kaum mehr möglich ist: dies zu beweisen, würde eine eigene Abhandlung erfordern.

Als wichtigstes Förderungsmittel empfiehlt sich daher Mie laufende und guthonorierte Erteilung von Kompositionsaufträgen: durch den Staat, durch die Stadt, durch größere Musikverleger und Konzertunternehmungen. Die Gesellschaft, der Musikfreunde ist mit gutem Beispiel voransegangen. Alle wichtigen Gattungen müßten dabei berücksichtigt werden: Kammermusik, Orchesterwerke, Oratorien und Opern. (Weniger kommen Aufträge für Film- und Begleitmusik zu Dramen in Frage, da sie gerade für den jungen Künstler nicht“ unerhebliche Gefahren mit sich bringen.) Kompositionsaufträge der erwähnten Art sind um so notwendiger, als durch die Verarmung der hiefür in Betracht kommenden Kreise das private Mäzenatentum fast ganz ausgefallen ist. Ein weiteres Mittel zur Förderung unserer jungen einheimischen Komponisten wäre auch die Schaffung von Staatsstipendien. Wenn so viel davon gesprochen und darüber geschrieben wird, daß Wien eine Musikstadt und Österreich ein Musikland ist, so muß man auch dafür Sorge tragen, daß sie es bleiben. Und zwar nicht nur dadurch, daß wir unser großes musikalisches Erbe verwalten und für den Nachwuchs der reproduzierenden Künstler sorgen, sondern vor allem auch durch die Pflege und Förderung der produktiven Kräfte. Für die zeitgenössische Musik gilt das gleiche, was ein Fachmann in einer der letzten Folgen der „Furche“ über unsere Bundestheater geschrieben hat: Das alte Österreich konnte Reichtum, Glanz, Macht zu seinen Gunsten in die Waagschale werfen; das neue Österreich in seiner Armut legt auf die Waagschale nicht als kleinstes Gewicht... die Werke seiner jungen Komponisten.

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