Musikvernichtungskrieg

Werbung
Werbung
Werbung

Wieder entdeckt: Die Wiener Volksoper veranstaltete ein Symposium über die von den Nazis verfemte Musik und führt wichtige vergessene Werke auf.

Eine berauschende Musik, von der ein unwiderstehlicher Sog ausgeht. Schlichte und eingängige Tonfolgen, die sich dem Zuhörer trotz des komplexen Klanges ohne den beschwerlichen Umweg über den Verstand erschließen. Eine packende Story über unterdrückte oder jäh hervorbrechende Triebe, endend in einer gewaltigen Feuersbrunst, die den kommenden Weltenbrand vorwegnahm. "Irrelohe", uraufgeführt 1924, gilt als der Höhepunkt im Schaffen des österreichischen Opernkomponisten Franz Schreker. Obwohl Schreker, zeitweise der meistaufgeführte Komponist im deutschsprachigen Raum, in der Publikumsgunst auf einer Stufe mit seinen Zeitgenossen Richard Strauss oder Giacomo Puccini stand, ist er heute so gut wie vergessen. Bei der heftig und anhaltend bejubelten "Irrelohe"-Premiere letzten Samstag an der Wiener Volksoper handelte es sich um die szenische Erstaufführung in Österreich.

Die Auslöschung der Erinnerung an den einstigen Erfolgskomponisten begann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933. Denn Musik von Komponisten jüdischer Herkunft, von Komponisten, die sich politisch engagierten oder die im weitesten Sinn der musikalischen Moderne zuzurechnen waren, wurde in Deutschland verboten. "Entartete Musik" nannten das die Nazis - ein willkürlicher Begriff, der Operetten ebenso umfasste wie Zwölftonmusik.

"Entartete Musik"

Trotz aller Bedenken hat sich außerhalb des deutschen Sprachraums der Begriff "Entartete Musik" für die so vielfältige Musik der im Dritten Reich verfemten Komponisten etabliert. Als das Musiklabel Decca in den 1980er Jahren eine Reihe von Aufnahmen unter diesem Titel herausbrachte, wurde eine breitere internationale Öffentlichkeit erstmals mit Namen wie Franz Schreker, Erich Wolfgang Korngold oder Walter Braunfels bekannt gemacht. In Österreich, woher die meisten der präsentierten Künstler stammten, wollte hingegen niemand den Vertrieb der Reihe übernehmen. Mittlerweile aber stehen die Vergessenen immer häufiger auf den Spielplänen der Opernhäuser, auch hierzulande. Die "Entartete Musik" feiert ihre Renaissance.

Gleich vier Werke verfemter Komponisten sind in den nächsten Monaten in der Volksoper zu sehen. Neben "Irrelohe" sind dies "Die Vögel" von Walter Braunfels, seinerzeit nicht minder populär wie Schreker, "Der König Kandaules" von Alexander Zemlinsky sowie die Premiere der "Herzogin von Chicago" von Emmerich Kálmán. Hinzu kommt noch an der Wiener Staatsoper die Premiere der von Salzburg übernommenen "Toten Stadt" von Korngold, dem melodischsten aller musikalischen Neuerer. Auch Ernst Kreneks "Jonny spielt auf", für die Nazis Inbegriff der "entarteten" Oper, wird seit knapp zwei Jahren regelmäßig im Haus am Ring gespielt. Der Saxophon spielende "Neger" aus Kreneks Jazzoper zierte das Plakat der berüchtigten Ausstellung "Entartete Musik" aus dem Jahr 1938.

Der kulturelle Kahlschlag war jedoch nicht das alleinige Verdienst der Nazis. "Der Musikvernichtungskrieg wurde nach dem Ende der Dritten Reiches nahtlos fortgesetzt", erklärt Michael Haas, der für das von der Volksoper anlässlich der "Irrelohe"-Premiere veranstaltete Symposion "Entartete Musik - Wieder Entdeckt" nach Wien gereist war.

Zum einen lag es natürlich daran, dass nach 1945 noch immer dieselben Leute an den Schlüsselpositionen des Musikbetriebs saßen wie in der Nazizeit. Haas, verantwortlich für die Decca-Reihe "Entartete Musik", spricht von einer "Fortsetzung der nationalsozialistischen Kulturpolitik mit anderem Vokabular". So durfte der angehende Musikwissenschaftler Gösta Neuwirth in Wien keine Arbeit über Schreker schreiben. "Über einen Juden können Sie bei mir nicht promovieren", beschied ihm Erich Schenk, der damalige Ordinarius für Musikwissenschaften an der Universität Wien. Das war 1962. Neuwirths Dissertation, die er schließlich in Berlin einreichte, wurde von keiner einzigen Fachzeitschrift rezensiert. Dabei gilt diese Arbeit heute als der Beginn der Wiederentdeckung Schrekers.

Zum anderen verteufelte die musikalische Avantgarde der Nachkriegszeit all jene, die sich in der Zwischenkriegszeit nicht von der Tonalität abgewandt hatten. Wer sich nicht in die Entwicklungslinie Schönberg-Stockhausen einordnen ließ, wurde als "reaktionär" gebrandmarkt. Schreker galt als "Lachnummer" (Haas), Korngold als "Filmkitschkomponist", Zemlinsky wurde allein deshalb geduldet, weil er Schönbergs Schwager war. "All jene, die in ihrer Tonsprache an der Tonalität festgehalten hatten, wurden nach 1945 zum zweiten Mal vertrieben", resümiert Peter Blaha, Chefdramaturg der Wiener Staatsoper. Die Vielfalt der Musik vor 1933/1938 verschwand so endgültig aus dem Bewusstsein des Publikums.

Modern ist nicht nur atonal

Diese bornierte und undankbare Haltung - schließlich hatten bis 1938 "Reaktionäre" so manchen ihrer kommerziell erfolglosen avantgardistischen Kollegen durch finanzielle Unterstützung über Wasser gehalten - hatte auch verheerende Auswirkungen auf den Musikbetrieb, die bis heute andauern. In der Zwischenkriegszeit fand zeitgenössische Musik, die zwar modern, aber nicht atonal war, ihr begeistertes Publikum. Nach 1945 bedeuteten "modern" und "zeitgenössisch" ausschließlich Zwölfton- und serielle Musik. Damit wurde ein großer Teil des prinzipiell an moderner Musik interessierten Publikums verjagt und die Vorurteile gegen zeitgenössische Musik ("zu schwierig") zementiert. Volksopern-Dramaturgin Birgit Meyer berichtet von den durchwegs begeisterten Reaktionen jener Zuschauer, die sich in Braunfels' "Vögel" wagen: "Eine wunderbare Musik! Und gar nicht modern!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung