Muslime vis-à-vis den Christen
Der Blick auf die Muslime und den Islam ist gerade vom christlichen Blickwinkel aus durch Engführungen und Einseitigkeiten geprägt. Neue Bücher versuchen, dieses Bild zurechtzurücken.
Der Blick auf die Muslime und den Islam ist gerade vom christlichen Blickwinkel aus durch Engführungen und Einseitigkeiten geprägt. Neue Bücher versuchen, dieses Bild zurechtzurücken.
Ein russisch-orthodoxer Staatsgottesdienst hat mit einem Gottesdienst von Quäkern nahezu nichts gemeinsam, obwohl beides legitime christliche Gottesdienste sind. Religionen sind keine wohldurchdachten Systeme, sondern am ehesten eine große "Bricolage", also mit Bastelarbeiten zu vergleichen, die durch Jahrhunderte zusammengefügt wurden. Das kommunikative Gedächtnis reicht nur wenige Generationen zurück, und so müssen Traditionsbestände immer neu interpretiert werden, wodurch immer neue Formen der jeweiligen Tradition entstehen. Das gilt nicht nur fürs Christentum, sondern auch für die heute am meisten umstrittene Religion, den Islam.
Seine vielstimmige und vielschichtige Geschichte, die bedeutende Theologen, Mystiker, Denker und Kulturdenkmäler hervorgebracht hat, wird heute weitgehend ignoriert. Islamische Fundamentalisten möchten ihre eigene Kultur am liebsten zerstören, weil die Offenheit und Ambivalenz ihrer eigenen historischen Tradition nicht zu den engstirnigen Zwangskonzepten passt, mit denen sie sich Dominanz verschaffen wollen. Auch ihre Gegner, die im Namen der Aufklärung oder des "christlichen Abendlands" auftreten, wollen weder die Bedeutung und Vielschichtigkeit der islamischen Kultur zur Kenntnis nehmen, noch den unverzichtbaren Beitrag des Islam zur europäischen Kultur. Zu diesen beiden Extremen finden sich vielerlei Schattierungen und Varianten.
Stereotype über Muslime
Das ist kein Zufall. Viele Vorurteile, die heute über Muslime kolportiert werden, haben eine lange Geschichte. Die Darstellung von Muslimen als Monster reicht zurück ins Mittelalter. Die Stereotype, die Muslime in der westlichen Wahrnehmung dämonisierten, wirken bis in die Fantasy-Filme der Gegenwart. Doch auch die Folter und die Darstellungen der Folter von Muslimen in Abu Ghraib und Guantanamo ist ein Ergebnis dieser monströsen Phantasmen, wie die amerikanische Islamwissenschaftlerin Sophia Rose Arjana zeigt (Muslims in Western Imagination, Oxford University Press). Dass sich bei der "Gegenseite", die sich als Monster dargestellt sieht, Fundamentalisten die Monster-Position aneignen, zeigt das brutale Vorgehen des sogenannten "islamischen Staats".
Die christliche Theologie hat im Laufe der Jahrhunderte leider wenig zur Verständigung beigetragen -von wenigen Ausnahmen, Nikolaus Cusanus z. B., abgesehen. So ist es ermutigend, dass sich der renommierte Theologe Klaus von Stosch auf ein Gespräch auf Augenhöhe mit dem Islam einlässt. In seinem neuen Buch "Herausforderung Islam. Christliche Annäherung" spricht er mit jenen zahlreichen islamischen Theologen und Theologinnen, die ein Gespräch führen wollen. Schließlich akzeptiere er ja auch in der christlichen Theologie nicht jede theologische Richtung, so von Stosch.
Das führt zu Überraschungen. So zitiert von Stosch etwa eine Untersuchung der Universität Teheran, wonach die Scharia am besten in Neuseeland umgesetzt werde. Bei der Scharia handelt es sich ja nicht um einen juristischer Kodex, sondern um einen Komplex von Lebensformen, die fünf Grundprinzipien folgen, nämlich 1. Schutz von Religion und Religionsfreiheit, 2. Schutz der Menschenwürde, 3. Schutz der Vernunft, 4. Schutz der Familie und 5. Schutz des Eigentums.
Ähnliche Überraschungen ergeben sich bei der Sichtung der textkritischen Erforschung der Entstehung des Korans. Da zeigt sich, dass der Koran in derselben spätantiken Tradition steht, in der sich auch das Christentum geformt hat. Gleichzeitig ist der Koran aber eine eigenständige spirituelle Größe, deren Anspruch ernst zu nehmen ist. Für das islamische Selbstverständnis ist die Schönheit der koranischen Sprache, die Betonung der Mündlichkeit der Überlieferung und vor allem die Vieldeutigkeit des Korans wichtig.
Da in der arabischen Schrift nur die Konsonanten geschrieben werden, gibt es seit jeher eine Vielzahl von Lesarten des Korans. Diese Ambiguität und Offenheit des Korans ist für die klassische islamische Koranauslegung gottgewollt. Denn das Wort Gottes - der koranische Text - ist nichts ohne die Hörer des Textes.
In der Tradition der biblischen Propheten
Den Propheten Mohammed sieht von Stosch in der Tradition der biblischen Propheten. Dies kommt dem Verständnis muslimischer Theologen entgegen (nachzulesen etwa bei dem indischen Theologen Muhammad Hamidullah, "Muhammad, Prophet des Islam", und bietet für Christen eine Brücke für das Verständnis der Person und Rolle Mohammeds.
Oft wird gefragt, ob Christen und Muslime an denselben Gott glauben. Von Stosch weist zunächst auf das gemeinsame Bekenntnis zum einen Gott hin. Auch ist Barmherzigkeit im Koran die herausragende Eigenschaft Gottes: jede Sure beginnt mit "Im Namen Gottes, des Allerbarmers". Das christliche Bekenntnis zur Dreifaltigkeit Gottes dagegen ist dem Islam fremd. Man kann diese Unterschiede als belebende Möglichkeit des Gesprächs über Gott sehen; oder als grundsätzlich trennend wahrnehmen und den Konflikt suchen. Es sind nicht die Unterschiede, die den Konflikt machen, sondern die Bewertungen der Menschen. Im Fall des Islam mangelt es oft am Wissen um die Gemeinsamkeiten mit dem Christentum. Schade - macht doch die Kenntnis der Gemeinsamkeiten ein konstruktives Gespräch über die Unterschiede möglich und ein friedliches Zusammenleben.
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