Muss Monotheismus gewalttätig sein?

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Die Verkündung des Gesetzes durch Mose hat bis heute Folgen für die Welt, meint der Kulturtheoretiker Jan Assmann auch in seinem neuen Buch: Der biblische Montheismus habe auch das Gewaltpotenzial der Religion hervorgekehrt.

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Die Verkündung des Gesetzes durch Mose hat bis heute Folgen für die Welt, meint der Kulturtheoretiker Jan Assmann auch in seinem neuen Buch: Der biblische Montheismus habe auch das Gewaltpotenzial der Religion hervorgekehrt.

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Jan Assmann geht in seinem neuen Buch "Totale Religion", dessen Inhalt in der FURCHE in dem Artikel "Die Kehrseite der Humanität" von Otto Friedrich dargelegt wurde (Nr. 36, Seite 13), nach wie vor davon aus, dass der Monotheismus die primäre Ursache des Gewaltpotenzials der drei Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam sei. Dazu sind einige kritische Bemerkungen angebracht. Vorweg ist aber zu betonen, dass mit den folgenden Überlegungen keineswegs über die einzelnen Menschen, die den verschiedenen Religionen angehören, etwas gesagt wird, sondern nur über Letztere als solche und die Auswirkungen ihrer Lehren. Dabei wird von den Gründungsdokumenten der einzelnen Glaubensbekenntnisse ausgegangen.

Der Autor unterscheidet nicht genau zwischen einem Henotheismus, der den eigenen Gott als den größten und mächtigsten unter vielen Göttern ansieht, einer Monolatrie, die nur einen von mehreren Göttern als den eigenen verehrt, und dem Monotheismus, der nur einen einzigen Gott als Schöpfer und Herrn der Welt und aller Menschen anerkennt. Auch die beiden ersten Formen des Theismus rechnet er dem Monotheismus zu, obwohl es sich um Arten von Polytheismus handelt.

Assmann differenziert zwar zwischen einem "Monotheismus der Treue" im Judentum, der Jahwe als seinem Befreier aus der Knechtschaft Ägyptens Gefolgschaft leistet und die Verehrung anderer Götter ausschließt (vgl. Deuteronomium 6,4: "Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig"; andere Übersetzungsmöglichkeit: "Jahwe ist unser Gott, Jahwe allein"), und einem "Monotheismus der Wahrheit, der dem universalen Schöpfer gilt", der sich im Glauben des jüdischen Volkes erst nach dem Exil in Babylon durchgesetzt hat; den ersten nennt er "partikular", den zweiten "universal". Er spricht sogar von einer "Evolution von Monolatrie zum Monotheismus". Aber er bezeichnet auch den Henotheismus und die Monolatrie in der Geschichte des Judentums als Monotheismus. Nur so kann er die Tatsache übergehen, dass Formen des Polytheismus mindestens ebenso zur Gewalt geführt haben wie der Monotheismus, und seine Kritik allein gegen diesen richten.

Entscheidend ist das Gottesbild

In Wirklichkeit bietet ein Monotheismus, der einen einzigen Gott als sinngebenden Grund der erfahrbaren Welt und der Menschen anerkennt und verehrt, von sich aus die viel größere Chance auf einen universalen sozialen Frieden als ein Polytheismus, in dem jedes Volk seinen eigenen Gott hat und diese Völker und ihre Götter untereinander in Konkurrenz stehen. Ob ein Monotheismus sich tatsächlich in positiver Weise auswirken kann, hängt allerdings vom betreffenden Gottesbild ab. Wenn ein Volk wie das jüdische daran glaubte und teilweise immer noch meint, dass dieser eine Gott es aus allen anderen Völkern auserwählt, ihm ein bestimmtes Land gegeben und es bevollmächtigt hat, dieses notfalls auch gewaltsam in Besitz zu nehmen, dann wird damit Gewalt zumindest in diesem Gebiet der Welt religiös legitimiert. Jan Assmann hat die Berichte von der Eroberung dieses verheißenen Landes angeführt.

Etwas ganz anderes ist es, wenn ein Mensch wie Jesus Christus unter Berufung auf eine von ihm in seinem Gewissen erkannte Sendung Gottes lehrt und vorlebt, dass Gott jeden Menschen als solchen liebt und prinzipiell alle Menschen einander lieben können und sollen, auch ihre Feinde, und zwar über die Grenzen des eigenen Volkes und über die in seinem Land lebenden Fremden hinaus. Hier wird die zwischenmenschliche Liebe nicht mehr von einer kollektiven Einheit des Volkes her begründet, die im Judentum aus der Erinnerung an das eigene Schicksal in Ägypten auch auf die Fremden im Land erweitert wurde, sie wird vielmehr auf die einzelnen Personen bezogen, die schon als solche zur Liebe fähig sind. Der jüdische Philosoph Martin Buber hat diesen Unterschied zwischen Judentum und Christentum so beschrieben: "Die zwei Glaubensweisen stehen einander also auch hier gegenüber. In der einen 'findet sich' der Mensch im Glaubensverhältnis, in der andern 'bekehrt er sich' zu ihm. Der Mensch, der sich darin findet, ist primär Glied einer Gemeinschaft, deren Bund mit dem Unbedingten ihn mit umgreift und determiniert; der Mensch, der sich zu ihm bekehrt, ist primär ein Einzelner, zu einem Einzelnen gewordener, und die Gemeinschaft entsteht als Verband der bekehrten Einzelnen"(Werke 1,654). Demnach verstößt es gegen das Wesen des Christentums, wenn in den christlichen Kirchen die Taufe bereits im Säuglingsalter nicht als Zusage der Liebe Gottes, sondern als fixe Aufnahme dieser Kinder in die Glaubensgemeinschaft verstanden und gespendet wird.

Es ist schon auf Grund dieses Unterschieds nicht richtig, sondern irreführend, dass die christlichen Kirchen das Alte und das Neue Testament als kanonische Schriften und damit das ältere ebenfalls als normgebende Quelle anerkennen. Die beiden Testamente sind auch in der Frage der Gewalt wesentlich verschieden. Zwar gibt es im Neuen Testament apokalyptische Strafandrohungen, die ein göttliches Gericht über die Feinde erwarten und herbeirufen, aber dieses wird Gott überlassen; ganz abgesehen davon, dass Jesus Christus am Kreuz wie auch Stephanus als der erste Märtyrer nach dem Zeugnis der Bibel Gott um Verzeihung für ihre Mörder bitten. Dass das Christentum in seiner weiteren Geschichte zum Teil eine unheilvolle Allianz mit weltlichen Mächten eingegangen ist und sich auf eine Art "Gottesstaat" eingelassen, dadurch sein ursprüngliches Wesen verraten und im Namen Gottes Gewalt ausgeübt hat, war ein Verstoß gegen seine Grundlagen.

Absolutheitsanspruch als Fehler

Hingegen ist es etwas anderes, wenn der Islam als monotheistische Religion unter Berufung auf eine durch ihren Gründer und Anführer Muhammad übermittelte wörtliche Botschaft Gottes davon ausgeht, dass alle Menschen von Natur aus Muslime oder Musliminnen sind, also nur durch eigene oder fremde Schuld nicht als solche leben. Demnach muss die Menschheit eigentlich in einer Einheit der muslimischen und der politischen Macht leben, zu der alle anderen als "Ungläubige" nicht gehören, in der nur die Anhänger der beiden anderen "Buchreligionen" Judentum und Christentum Platz haben, falls sie sich unterwerfen. Hier wird die "Determinierung" der einzelnen Menschen, von Geburt an einer bestimmten Religion anzugehören, von der Martin Buber spricht, von einem Volk auf die ganze Menschheit ausgedehnt. Damit wird eigentlich das angezielt, was Jan Assmann im Anschluss an die politischen Thesen von Carl Schmitt als "Totale Religion" bezeichnet. Gott, wie er im Islam verkündet wird, liebt die einzelnen Menschen nicht unabhängig von ihrem Glauben, und jene, die diese Religion nicht annehmen, können nicht in den Himmel gelangen. Das hat auch Konsequenzen für das Verhältnis der "Rechtgläubigen" zu jenen, die sich ihnen nicht anschließen wollen.

In seiner Kritik am Offenbarungsbegriff sieht Assmann nicht deutlich genug den gemeinsamen fundamentalen Fehler in allen drei großen monotheistischen Religionen, der auch Folgen für deren Gewaltpotenzial hat, allerdings nach ihren oben skizzierten unterschiedlichen Grundlagen nicht in gleicher Weise. Denn Judentum, Christentum und Islam gehen nach ihrer bisherigen, aber für unfehlbar und damit unveränderlich erklärten Lehre davon aus, dass ihre Wahrheit, weil sie auf einer göttlichen Offenbarung beruht, nicht hinterfragt und daher auch nicht korrigiert werden kann. Das ist nicht bloß "'fundamentalistisch' - im Sinne einer literalistischen Umsetzung als zeitlos verstandener Vorschriften", wie es Jan Assmann formuliert, und bedeutet nicht nur: "Im Prinzip Kanon gehen zwei Elemente, Schrift und Offenbarung, eine vollkommen neue Verbindung ein". Vielmehr gelten die in diesen Schriften enthaltenen Offenbarungen in sich als göttlich und damit als absolut wahr, wobei dieser Absolutheitsanspruch selbst wieder aus diesen Offenbarungen und somit durch einen Zirkelschluss begründet wird. Auf dieser Basis sind weder Korrekturen der Lehren dieser Religionen noch inhaltliche Annäherungen zwischen ihnen möglich, so auch nicht im Gottesbild und in dessen Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen.

Die Ringparabel ist keine Lösung

Da hilft es auch nicht weiter, dass sich Jan Assmann gegen Ende seines Buches auf die Ringparabel in Lessings Schauspiel "Nathan der Weise" beruft, um einen Weg zu einer gegenseitigen Toleranz der drei Religionen aufzuzeigen. Denn auch wenn dies das Ziel dieser Geschichte sein soll, kann es schon deshalb nicht erreicht werden, weil eine universale personale Liebe auch über die Grenzen der eigenen Religion hinaus gar nicht zum Inhalt aller drei Religionen gehört und daher auch nicht das von ihnen allen anerkannte Kriterium ihrer Wahrheit sein kann. Nathan sagt selbst über die von ihm erzählte Geschichte: "Das kann mich retten! Nicht die Kinder bloß, speist man mit Märchen ab." Vor allem aber rechtfertigt er in seiner Antwort auf den Sultan Saladin, der auf die deutlichen inhaltlichen Unterschiede der drei Religionen hinweist, deren je eigenen fundamentalistischen Absolutheitsanspruch, indem er über sie sagt: "Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben und überliefert? Und Geschichte muss doch wohl auf Treu und Glauben angenommen werden? - Nicht?"

Solange Offenbarungen Gottes nicht als Botschaften oder Erfahrungen verstanden werden, durch die deren Empfängern etwas "einleuchtet", sondern als nicht hinterfragbar zu glaubende göttliche Mitteilungen, besteht keine Chance für Korrekturen in ihren Inhalten, auch nicht bezüglich ihrer Einstellung zur Anwendung von Gewalt. Die drei Religionen haben es dann auch nicht nötig, im Sinn der Intention der Parabel ihre Wahrheit durch eine entsprechende universale Praxis der Liebe zu erweisen. Allerdings stehen sie alle unter dem Verdacht, "betrogene Betrüger" zu sein, wie es der Richter in Lessings Schauspiel ausdrückt. Erst ein Aufgeben des fundamentalistischen Absolutheitsanspruchs würde es ermöglichen, grundsätzlich jedes Gewaltpotenzial in den drei großen monotheistischen Religionen zu überwinden und zu einer gemeinsamen Haltung der Liebe und damit des Friedens zu gelangen.

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