Mut zu Unterhaltung pur

Werbung
Werbung
Werbung

Nestroys "Kampl" im Theater in der Josefstadt.

Die Josefstadt lebt wieder. Mit Johann Nestroys "Kampl" bietet das Wiener Traditionstheater nach manchen Wechselbädern wieder das vom Stammpublikum des Hauses geschätzte Unterhaltungstheater auf hohem Niveau. Anhänger von Regieexperimenten seien gewarnt: Herbert Föttinger ließ sich bei seiner ersten Inszenierung nicht auf solche ein, sondern klugerweise den bewährten Nestroy-Haudegen Helmuth Lohner und Otto Schenk freien Lauf. Rolf Langenfass steuerte ein ebenso passendes wie konventionelles Bühnenbild bei.

"Kampl oder Das Mädchen mit Millionen und die Nähterin", ein höchst kompliziertes Stück nach dem Roman "L'Orgueil. La Duchesse" von Eugène Sue, 1852 uraufgeführt, zählte zu Nestroys Lebzeiten zu seinen größten Publikumserfolgen. Föttinger und Ulrike Zemme hatten zum Glück den Mut, eine stark gekürzte Fassung auf die Bühne zu bringen und sich auf den Kern zu konzentrieren: das Betonen der Standesunterschiede und der materiellen Güter bei der älteren Generation im Gegensatz zur idealistischen Liebe bei der jüngeren. Dem lebenserfahrenen Nestroy erschien zweifellos die Haltung der Alten realistischer, was ihn nicht hinderte, die der Jungen sympathischer wirken zu lassen.

Baron Felsbach, der wegen vermeintlicher Untreue seiner inzwischen verstorbenen Frau seine Familie verlassen hat, beauftragt seinen Freund Kampl, einen als "Chirurg vor der Linie" praktizierenden Mediziner, sich um das Glück seiner beiden Töchter zu kümmern. Die ältere Pauline wird als reiche Erbin von Glücksjägern umlagert, die jüngere, die Felsbach als Folge eines Fehltritts ansah und in Pflege gab, wächst als Netti beim Schlosser Bernhard Brunner auf. Während dessen Neffe Wilhelm die Liebe der sich arm stellenden Pauline gewinnt, erobert Netti das Herz von Ludwig, der ihr verschweigt, dass er der junge Baron Auenheim ist. Mit Kampls Hilfe kommen die Liebespaare zusammen. Dadurch, dass Föttinger die letzte Szene pantomimisch ausklingen lässt, erhält sie einen nachdenklich stimmenden Charakter - ein starker, Nestroys skeptischer Haltung gegenüber einem "happy end" gekonnt Rechnung tragender Schluss.

Worauf es bei Nestroy wirklich ankommt, das wird von Helmuth Lohner in der Titelrolle perfekt geliefert: brillanter Wortwitz, präzise gesetzte Pointen, effektvoll vorgetragene Couplets (mit textlich noch steigerungsfähigen Zusatzstrophen von Walter Müller). Diesem grandiosen Nestroy-Darsteller steht eine ausgezeichnete Besetzung zur Seite. Auf der bürgerlichen Seite glänzen der im Raunzen geübte Otto Schenk in der Wenzel-Scholz-Rolle des Gabriel Brunner, der wandlungsfähige Peter Scholz als unbeirrbar geradliniger Wilhelm, Franz Robert Wagner als aufrechter Schlosser und Ursula Strauss als liebenswerte Schein-Proletarierin adeligen Geblüts.

Unter den Aristokraten machen Siegfried Walther als naiver Pantoffelheld, Marianne Nentwich als seine dominante Gemahlin, Boris Eder als ihr idealistischer Sohn Ludwig, Therese Lohner als Mitleid erregende einsame reiche Erbin und Toni Slama als reuiger Baron Felsbach gute Figur.

Der lebhafte Premierenapplaus für Föttinger, Lohner und das ganze Ensemble war hochverdient. Die Josefstadt ist wieder die Josefstadt - sie macht Theater für das Publikum und für die Schauspieler, nicht für die Kritiker.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung