Mut zum Widerstand gegen die Naturzerstörung

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Der Kanadier Bernard Clavel schrieb einen Roman über die Hintergründe eines Dammbaues.

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Der Kanadier Bernard Clavel schrieb einen Roman über die Hintergründe eines Dammbaues.

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Überall auf der Welt gibt es riesige Staudamm-Projekte, die elektrischen Strom und damit Fortschritt für viele Tausende von Menschen bringen sollen, gleichzeitig aber die Lebensgrundlage mindestens ebensovieler Menschen durch großflächige Überflutungen zerstören und das ökologische Gleichgewicht ganzer Regionen empfindlich und langfristig stören. Die Vertreibung der Nubier in Ägypten aufgrund des Baus des Assuan-Staudammes oder der Kampf gegen den Narvada-Staudamm in Indien drangen bis in die europäische Presse. Viele andere kleinere und größere - meist von der Weltbank großzügig gesponserte - Projekte stoßen auf den erbitterten Widerstand der zur Absiedlung verurteilten Menschen, die gemeinsam mit Umweltschützern meist einen erfolglosen Kampf führen.

Der kanadische Autor Bernard Clavel hat die großflächige Umweltzerstörung im Norden Kanadas, die für den Bau riesiger Wasserkraftwerke in der "James Bay" in den achtziger Jahren für europäische Verhältnisse unvorstellbare Ausmaße erreichte, zum Inhalt seines Romans "Strom des Lichts" gemacht. Wobei ihm die technische Meisterleistung, die mit der kapitalintensiven Vergewaltigung der Tundra unter extremsten Arbeitsbedingungen gelang, einerseits einen gewissen Respekt abringt. Andererseits beschreibt er das durch den Bau zerstörte Leben der Indianer so detailgetreu und fesselnd, daß ganz klar ist, daß es diese im wahrsten Sinn des Wortes versunkene Welt ist, um die er trauert, weil sie als spirituelle, ideelle Kraft der ganzen Region verloren gegangen ist.

Was an diesem Roman ganz besonders fasziniert, ist die Eleganz und Klarheit, mit der Clavel, der viele Fakten aus der jahrelangen Bautätigkeit - bis hin zu politischen Beschlüssen und dem Briefwechsel zwischen Behörden - zitiert, das Projekt als unabwendbar darstellt. Zu groß ist die finanzielle Potenz dahinter und zu viele der umzusiedelnden Indianer träumen auch von sauberen Wohnungen und den Segnungen des internationalen Satellitenfernsehens. Gleichzeitig werden die wenigen verbliebenen "Fundamentalisten", die gemeinsam mit dem alten Häuptling aus Protest in ein Wigwam ziehen und demonstrativ nach den alten Regeln und Bräuchen leben, nicht als altmodisch, schrullig oder entbehrlich dargestellt. Vielmehr wird ihre Demonstration als letztes, leider nur kurzfristig erfolgreiches Aufbäumen gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes gewürdigt, das als Zeichen auch in der modernen Zeit in Erinnerung bleibt.

Ein großes Thema bildet die Kultur des Teilens, welche die Indianer untereinander und auch mit den Weißen pflegten, bis sie merkten, daß sie zunehmend betrogen wurden, was von ihren überheblichen Eroberern als Schwäche und als Form der Unterentwicklung betrachtet wurde, obwohl sie selbst davon profitierten. Auch das Leben im Einklang mit der Natur, die Jagdgepflogenheiten, der Umgang mit Nahrungsmitteln und die Unterweisung der Kinder über die Heiligkeit der Naturschätze war und ist den Weißen fremd und wurde vom Fortschritt überrollt. Daß auch verschiedene indianische Naturreligionen auf den absoluten Wahrheitsanspruch des Christentums treffen und der Missionierung zum Opfer fallen, bereitet ebenso den Boden für die schleichenden Zerstörungen wie die Junk-Food-Versorgung der Jugendlichen und die elektrischen Haushaltshilfen für die Frauen.

Der Roman zeigt, daß es vor allem die Ignoranz gegenüber dem "Anderen" ist - hier gegenüber manchen unverständlichen Umgangsformen und Bräuchen der Indianer -, die der Zerstörung Vorschub leistet. Nicht die vorsätzliche Zerstörungwut von Ingenieuren ist es, die es als technische Herausforderung sehen, dem Dauerfrostboden der Tundra ein gigantisches Bauwerk aufzuzwingen.

Es ist die Mißachtung der Individualität jedes einzelnen Menschen und des natürlichen Gleichgewichts in natürlichen Lebensräumen, die scheinbar Fortschritt ermöglicht, gleichzeitig aber Autonomie zerstört und neue, undurchschaubare Abhängigkeiten schafft. Bernard Clavel scheut sich nicht, die Politiker und die Wirtschaftslobbys als die echten Zerstörer beim Namen zu nennen, indem er ihre "indianerfreundlichen", höflichen Statements den brutalen juristischen Fakten gegenüberstellt.

Ein spannender, nachdenklich machender und durch viele Zwischentöne bereicherter Roman, der nicht nur an Umwelt und Indianern interessierten Lesern zu empfehlen ist, sondern weit darüber hinaus die zerstörerische Macht der multinationalen Konzerne, die Feigheit der Politik und den nur scheinbar erfolglosen Widerstand beleuchtet, der zwar diese ökologische Katastrophe nicht verhindern konnte, aber Mut macht, es beim nächsten Mal trotzdem wieder zu versuchen.

Strom des Lichts. Roman von Bernard Clavel.

Aus dem Frazösischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz.

Schneekluth Verlag, München 1999, 350 Seiten, geb., öS 277,-/E 20,13

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