Mystik und Vision in der UNO

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"Der Weg zur Heilung geht in unserer Zeit notwendig über das Handeln“: Vor 50 Jahren starb Dag Hammarskjöld, UN-Generalsekretär, bei einem Flugzeugabsturz in der Kongo-Krise. Christliches Leben für eine Weltinnenpolitik.

W enn wir sein Tagebuch "Zeichen am Weg “ nicht hätten, wäre er kaum so aktuell. Gewiss: Dag Hammarskjöld ist eine feste Größe in der jüngeren Weltinnenpolitik, und die postume Verleihung des Friedensnobelpreises 1961 an ihn ist ein Signal dafür. Aber das bleibend Aufregende an seinem Leben ist das Zusammenspiel von Innen und Außen. Was Hammarskjöld als UN-Generalsekretär politisch tut und was meist öffentlich wird, wird von seiner spirituellen Innenseite her erst aus dem Tagebuch deutlicher. Als er am 7. April 1953 als UN-Generalsekretär eingeführt wird, zitiert er in seinem Tagebuch aus der "Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempen - jenem christlichen Klassiker, den ihm früh schon die Mutter schenkte und der ihn noch auf seinem letzten Flug begleitete.

Im Spiegel dieses Zitates wird deutlich, wie er sich und sein Amt verstand: "Ihr Leben ist gegründet und getragen von Gott, und fern liegt ihnen jeglicher Stolz; sie vergelten IHM, was ER ihnen Gutes getan; sie rühmen sich nicht, und all ihr Tun geschieht zum Ruhme Gottes allein.“ Als 1955 der chinesische Außenminister nach mühsamen Verhandlungen doch aus Respekt vor Hammarskjöld just zu seinem 50. Geburtstag gefangene US-Piloten freigibt, schreibt Hammarskjöld aus dem Psalm 115 auf: "Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre.“

Die politische Leidenschaft für Frieden in der Welt und für Gerechtigkeit gerade unter den armen Völkern und Menschen lebt ersichtlich aus einer Gottespassion der besonderen Art (und Passion heißt ja beides: Leidenschaft und Leiden): "Mich durchwebt die Vision von einem seelischen Kraftfeld, geschaffen in einem ständigen Jetzt von den vielen, in Wort und Taten ständig Betenden, im heiligen Willen Lebenden.“ An diese mystisch-politische Doppelstruktur seines Wirkens ist zu erinnern.

Gründer des Modells Sozialstaat

Aus altem schwedischen Adel stammend - der Vater war während des Ersten Weltkrieges Ministerpräsident - wächst Hammarskjöld in äußerlich behüteten Verhältnissen auf. Nach erfolgreichen Studien der Literatur-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften ist er schon mit 30 Jahren Staatssekretär im Finanzministerium. Zusammen mit seinem älteren Bruder Bo, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, entwickelt wesentlich er die Grundzüge des schwedischen Sozialstaats-Modells. 1951 schließlich wird Hammarskjöld stellvertretender Außenminister Schwedens.

Als die Großmächte USA und UdSSR mitten im Kalten Krieg eine möglichst graue Maus als UN-Generalsekretär suchen, kommen sie auf den ebenso erfahrenen wie unscheinbaren Schweden. Kaum aber im Amt, verbietet Hammarskjöld der CIA und dem FBI den Zutritt zum Gelände der Vereinten Nationen. Schlaglichtartig wird deutlich, dass hier ein unbestechlicher Geist ein höchst schwieriges und schwaches Amt antrat. Zunehmend geriet Hammarskjöld zwischen die Mühlsteine der Großmächte, aber unbeirrt war er nicht nur Krisenmanager, sondern Anwalt der armen Völker und kleineren Nationen. Die China-Mission mit der Freigabe der US-Piloten, dann die Suez-Krise mit der Gefahr eines Atomkrieges, und die Ungarn-Krise 1956 waren dramatische Höhepunkte seiner Diplomatie.

Schließlich die Krise im gerade selbständig gewordenen Kongo. Hammarskjöld wollte dort die Abspaltung der rohstoffreichen Provinz Katanga verhindern, die von westlichen Kreisen forciert wurde. Was in der Nacht vom 17. auf den 18. September 1961 wirklich geschah, wurde nie ernsthaft untersucht und aufgeklärt. War es eine Intrige, ein Unfall, oder wahrscheinlich doch ein Attentat? Jedenfalls fand man den Leichnam Hammarskjölds, äußerlich fast unversehrt, aus dem Flugzeug herausgeschleudert. Sein letztes Gespräch vor dem Abflug in Kinshasa drehte sich um mittelalterliche Liebesmystik, und noch auf dem Flug war er dabei, Martin Bubers "Ich und Du“ ins Schwedische zu übersetzen.

Hammarskjölds Tagebuch-Eintrag von Pfingsten 1961, im Todesjahr also, liest sich als geistliches Vermächtnis: "Ich weiß nicht, wer - oder was - die Frage stellte. Ich weiß nicht, wann sie gestellt wurde. Ich weiß nicht, ob ich antwortete. Aber einmal antwortete ich Ja zu jemandem - oder zu etwas. Von dieser Stunde her rührt die Gewissheit, dass das Dasein sinnvoll ist und darum mein Leben, in Unterwerfung, ein Ziel hat.“

Ob Hammarskjöld in seinem politischen Wirken ein Mystiker war, ist eine müßige Frage, denn Worte und Begriffe waren ihm nicht wichtig: "Doch mich durchschwebt die Vision von einem seelischen Kraftfeld, geschaffen in einem ständigen Jetzt von den vielen, in Wort und Tat ständig Betenden, im heiligen Willen Lebenden.“ Sein Bemühen um Weltinnenpolitik hatte diesen spirituellen Glutkern. Ziel aller Weltinnenpolitik war und ist dieses "göttliche Milieu“.

Mystik trifft ganze Wirklichkeit

Mystik, wenn wir den Begriff nun doch gebrauchen, meint eben nie nur inneres Erleben oder Ergriffensein. Die ersehnte Gemeinschaft, ja Vereinigung der Seele mit Gott führt nicht aus der Realität heraus in eine gar bloß private Innerlichkeit oder Jenseitigkeit. Nein, sie führt mitten hinein in die ganze Wirklichkeit.

Aber auch jedes bloße Agieren und Reagieren hätte kein Recht und keine Chance mehr, simpler Aktivismus schon gar nicht. Die ersehnte Heilung der Verhältnisse kommt einzig durch jenes Handeln, das absichtslos und sachgemäß ist, den Willen Gottes erspürend in dem, was dran ist und nottut: "Das Mysterium ist ständig Wirklichkeit bei dem, der inmitten der Welt frei von sich selber ist.“

Diesen Satz darf man wohl auch biografisch lesen: "inmitten der Welt frei von sich selbst“ - das ist Dag Hammarskjöld wirklich geworden, auf einem aufregenden Lebens- und Todesweg. Das machte viele seiner Bemühungen damals fruchtbar. Die UNO heute stünde anders da ohne Dag Hammarskjöld.

"Wirklichkeit in ruhiger Reife unter des Bejahens hinnehmender Aufmerksamkeit“: Das ist eine Kurzfassung von Hammarskjölds Leben und der Notenschlüssel zum Weißbuch seiner Verhandlungen mit sich selbst und mit Gott.

* Der Autor, katholischer Priester, ist theologischer und spiritueller Schriftsteller sowie Experte für Mystik(er)

Zeichen am Weg

Von Dag Hammarskjöld. Das spirituelle Tagebuch des UN-Generalsekretärs. Hg. von Manuel Fröhlich. Überarb. Neuausgabe. Urachhaus 2011.

240 Seiten, 15 Fototafeln, geb., e 20,50

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