Mythen in Zeiten der Cholera

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Es ist so eine Sache mit Krisen. Wir wissen, dass sie uns helfen können, wenn wir entsprechend handeln. In der Zeit der Seuchen haben wir beispielsweise gelernt, dass wir unsere Hände waschen sollten. Aber diese positiven Lehren sind nicht immer offensichtlich. Manchmal passiert das Gegenteil. Dann suchen Menschen in Zeiten von Seuchen und Krisen nach Sündenböcken für das Elend. Realitäten spielen dabei keine Rolle, da ja die Mehrheit darüber entscheidet, woran man glauben soll. Griechenland, der Euro - alle spielen so ihre Rolle.

Es ist die Zeit der Mythen. Der Weltbank-Ökonom Indermit Gill spricht in diesem Zusammenhang von Fehlannahmen über Europa: Erstens, so Gill, glauben wir, dass wir einen Niedergang erleben. Tun wir das? Wenn es so ist, warum hat dann Europa in den vergangenen Jahren stabile 30 Prozent zum globalen Wirtschaftsprodukt beigetragen, während die USA von 31 auf 23 Prozent gefallen sind? Wir sprechen von zu großer Macht und zu großen Kosten des Staates. Tatsächlich kostet unser Sozialsystem, verglichen mit außereuropäischen Systemen, um 10 Prozent mehr, leistet aber auch unzählbar mehr. Wir leben in höchstem Wohlstand. Nehmen wir beispielsweise Frankreich: Die Menschen dort arbeiten im Vergleich mit den 60er-Jahren neun Jahre weniger und leben sechs Jahre länger. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt einer Perspektive, die einen historischen und weiteren Horizont berücksichtigt.

Natürlich ist es hart, in Krisenzeiten Begeisterung zu finden. Aber wir sollten nicht vergessen: Unsere Situation gleicht einem Spaziergänger, der geschützt durch einen Mantel in ein Gewitter gekommen ist, der aber weiß, dass er weitergehen muss, wenn er sein Ziel erreichen will und auch weiß, dass er dort ankommen wird, weil er in seiner Geschichte schon hunderte Gewitter überstanden hat.

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Der Autor ist Professor für Ökonomie an der Karlsuniversität Prag

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