Mythische Megastrukturen

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Eine umfangreiche Retrospektive widmet das Museum Moderner Kunst in Wien dem amerikanischen Künstler Cy Twombly. Seine Arbeiten sind Malerei und Dichtung zugleich, auch wenn er kein visueller Poet ist – denn dafür sind seine Werke zu geheimnisvoll.

Nicht jedem, der sich mit Mythen beschäftigt, gelingt es, auch für die eigene Person den Status zumindest eines informellen Mythos zu erreichen. Bei Cy Twombly, dem zurzeit im Museum Moderner Kunst in Wien eine umfangreiche Retrospektive gewidmet ist, geriert sich dieser Vergleich weniger überspannt, als es sonst derartigen Versuchen passiert. Cy Twombly zu treffen, ist kein leichtes Unterfangen. Es kann schon vorkommen, dass er sich bei einer Vernissage zu einer seiner Ausstellungen inkognito unters Publikum mischt, um rechtzeitig wieder ins Hotel zu verschwinden, bevor ihn irgendjemand vielleicht doch erkennt. Ähnlich herausfordernd stellt sich ein Treffpunkt mit seinem Werk dar, was aber keine Abwendung nach sich zieht, sondern aufgrund der allenthalben verstreuten einladenden Gesten vielmehr ständig neue Rendezvousversuche provoziert.

Wie ein Wirbelsturm

Cy Twombly, 1928 in Virginia geboren, gehört zu den ganz Großen im internationalen Kunstgeschehen der Nachkriegszeit. Vom Vater, einem professionellen Baseballspieler, „erbt“ er, der eigentlich Edwin Parker mit Vornamen heißt, den Spitznamen Cy, die Kurzform von cyclone – Wirbelsturm. Ob dies programmatisch gemeint war oder aus einer Laune heraus entsprang, bei vielen seiner gestisch-nervös vorgetragenen Bezeichnungen der Leinwand mit Bleistift oder Ölkreide kann diese Namensgebung durchaus Pate gestanden haben. Die Lehrjahre in New York und am legendären Black Mountain College in North Carolina brachten ihn nicht nur mit den wichtigsten Avantgardeströmungen in Kontakt, sondern auch mit Robert Rauschenberg, dem Ahnherrn der Pop-Art. Mit ihm unternimmt er 1952-53 eine ausgedehnte Reise nach Europa und Nordafrika. In Italien gefällt es ihm so gut, dass er beschließt, dort ansässig zu werden.

Die Arbeitsweise von Cy Twombly siedelt sich zwischen Malerei und Dichtung an. Die Leinwände und Farben ordnen sie der Malerei zu, die beständige Wiederkehr von schriftähnlichen Vermerken, die sich öfters als Zitate aus dem Dichterland entpuppen, lassen an Literatur denken. Und dennoch ist er kein visueller Poet, dazu sind die Relikte von Schrift einerseits viel zu unkenntlich und andererseits viel zu malerisch ausgeführt. Ähnlich wie bei Mythen, bei denen die historischen Fakten schon dermaßen abgeschliffen, will meinen, sich durch immer wieder erfolgte künstlerische Überarbeitungen zu palimpsestartigen Botschaften ausgewachsen haben, deren Bedeutungen längst die reine Historie an Intensität weit hinter sich lassen, verdichtet Twombly seine optischen und literarischen Fundstücke zu Megastrukturen seiner Weltbekanntschaft. Die einfachen Botschaften waren schon zu Zeiten der alten Mythen in Geschichten verschlüsselt und genauso wie das seinerzeitige Mythenpublikum sich entlang der feinen Fährten aus den großen Erzählungen durchs Leben hantelte, legt Cy Twombly seine „Köder einer Bedeutung“ aus, wie der Semiotiker Roland Barthes diese Buchstabenkonglomerate einzuordnen wusste.

Meister der (Un)Farbe

Viele dieser Schriftspuren sind bei Cy Twombly zurückentwickelt zu einem beinahe allmächtigen Weiß, das als Zusammenfassung aller Farben oder aber als Abwesenheit eben dieser auftreten kann. Als Meister dieser (Un)Farbe lässt Cy Twombly sie hin und her wechseln zwischen dem einfallenden Licht eines Fensters, das zur Lesbarkeit der Schriftrelikte führt, einem stabilen Untergrund, der wie eine Mauer als Bildträger auftritt, oder als Eröffnung einer Weite, die jede Leinwand in eine horizontlose Unendlichkeit weitertreibt. Dabei gelingt es Twombly, alles wie selbstverständlich erscheinen zu lassen, kein künstlerischer Kraftakt hinterlässt hier seine Spuren, sondern Lockerheit und Gelöstheit. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Twombly seine malerische Arbeit durch seine Fotografien überprüft und mit seinem skulpturalen Werk jenen Abstand gewinnt, der ihn selbst zu permanenter Weiterentwicklung herausfordert.

Cy Twombly, Sensation of the Moment

Museum Moderner Kunst

Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 11.10., Mo-So 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog: Cy Twombly, Sensation of the Moment, München 2009, 384 S., e 49,90

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