Nach dem Terroranschlag

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Trauer um die Heimat Somalia prägt Nuruddin Farahs jüngsten Roman "Jenes andere Leben". Hoffnung geht wieder einmal von starken Frauen aus.

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Trauer um die Heimat Somalia prägt Nuruddin Farahs jüngsten Roman "Jenes andere Leben". Hoffnung geht wieder einmal von starken Frauen aus.

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Die Frauen sind diejenigen, die sich um die Kinder und die Kranken kümmern. Die Männer verbringen fast die ganze Zeit damit, nutzlos herumzustehen und über Politik zu reden", sagte der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah vor einigen Jahren einmal in einem Interview. "Deshalb würde ich sagen, dass die Frauen zum Rückgrat der Gesellschaft geworden sind. Ich begrüße das." Während aber die religiösen Eiferer seiner Heimat denken, dass die Frauen gefälligst am Rand der Gesellschaft Platz nehmen sollen, stellt der in Kapstadt lebende Autor starke und kluge Frauen in den Mittelpunkt seiner Werke. Im jüngsten Roman "Jenes andere Leben" fallen Männer vor allem durch Abwesenheit auf. Es sind die Frauen, die das Geschehen hier beherrschen und das Leben weitertreiben.

Mit einem Terroranschlag der al-Shabaab vor dem UNO-Büro in Mogadischu setzt der Roman ein und beweist damit traurige Aktualität. Unter den mehr als 30 Toten befindet sich auch der UNO-Mitarbeiter Aar. Sein Tod bringt im Folgenden jene Frauen zusammen, die in seinem Leben eine wichtige Rolle spielten, allen voran Bella, Aars Schwester. Sie arbeitet gerade als Fotografin an einem Buch, das die Migration der Somalier erzählen soll, immerhin haben drei Millionen Menschen innerhalb eines Jahrzehnts weltweit eine neue Heimat gesucht. Bella, selbst halb Italienerin, halb Somalierin, trifft auf Aars Geliebte Gunilla, auf seine Ex-Frau Valerie mit ihrer Lebenspartnerin Padmini und auf Aars Kinder, um die sie sich kümmern will.

Trauer um Verlust

In die Geschichte der Trauer um Aar, die sich bei jeder der Frauen anders zeigt und die auch zu einem Gerangel um die Kinder führt, webt sich die Trauer um das zerrüttete Somalia. Die Stadt Mogadischu hat "durch den mehrfachen Einfall der Milizen, die von den verschiedenen Clans aus Gemeinden im Süden Zentralsomalias rekrutiert wurden, ihren Charme eingebüßt." Sie ist keine Weltstadt mehr, stellt Bella fest, die schon lange nicht mehr in Somalia lebt. "Seit kurzem ist 'säkular', früher ein Ausdruck des Lobs, ein Schimpfwort." Der langjährige Bürgerkrieg hat Somalia verwüstet, die Korruption durch Clan-Mitglieder des Präsidenten gibt dem Land noch den Rest und wenig Hoffnung auf gute Zukunft.

Kulturelle Vielfalt

Durch die Leben, Beziehungen und Verwicklungen der einzelnen Familienmitglieder zeigt Farah auch die kulturelle Diversität, mit der im Exil lebende Somalier konfrontiert sind. Als Flüchtlinge sind sie in Kenia mit den Vorurteilen der einheimischen Bevölkerung konfrontiert, sie werden etwa beschuldigt, sie hätten Waffen ins Land geschleppt und zerbombten "unsere Kirchen und ihre Moscheen". Westlich geprägt und erzogen, aber mit moslemischen und somalischen Wurzeln, stehen sie zwischen vielen Kulturen, müssen sie erst ihren Platz in der globalen Gesellschaft finden. Lesbische Frauen haben es besonders schwer, angesichts der strengen Gesetze gegen Homosexualität in vielen afrikanischen Ländern.

Farahs Romane waren schon einmal kunstvoller gestrickt, komplexer, geheimnisvoller, deutungsoffener -etwa die Trilogie "Maps", "Duniyas Gaben","Geheimnisse". In "Jenes andere Leben" wird viel diskutiert, über Lebensart, über Vielfalt, über Moral, über kulturelle Prägung, und manche der Dialoge wirken so, als müssten mit ihnen nicht die Gegenüber, sondern die westlichen Leser belehrt werden. Aber Nachholbedarf gibt es hinsichtlich der besprochenen Fakten, Kulturen und Meinungen ja tatsächlich mehr als genug.

Jenes andere Leben

Roman von Nuruddin Farah

Aus dem Engl. v. Susann Urban

Suhrkamp 2016

382 S., geb., € 26,70

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