Nach dem Warnblinken

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Bewirken Demonstrationen und Erklärungen gegen Fremdenfeindlichkeit und für Integration etwas? Die Antwort: Ja, wenn ...

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Bewirken Demonstrationen und Erklärungen gegen Fremdenfeindlichkeit und für Integration etwas? Die Antwort: Ja, wenn ...

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Schon bevor die Wiener City letzten Freitag von Demonstranten überflutet wurde, war die Frage beantwortet, ob das herbstliche Happening gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus etwas bewirken würde: Gut sechs Wochen - von den "Überfremdungs"-Plakaten der FPÖ im Wahlkampf bis zur endgültigen Organisation der Kundgebung vom 12. November - dauerte es, bis in die weitgehend erstarrte Gesellschaft Bewegung kam: Die Woche zwischen dem Jahrestag der Novemberpogrome 1938 (9. November) und dem Gründungstag der Republik (12. November) war - gesellschaftspolitisch betrachtet - eine der interessantesten des Jahres: Kaum eine gesellschaftlich relevante Gruppe ließ es sich nehmen, Bedenkenswertes über ein sinnvolles Zusammenleben im Staate zu äußern und Vorschläge zu machen.

An jenem 9. November stellte Kardinal König, moralische Autorität des Landes, im Gedenken an die Novemberprogrome die Frage: "Haben wir aus der Geschichte gelernt, wenn wir nicht erschrecken vor menschentrennenden Parolen, welche die Angst voreinander schüren?" Am 10. November gab die Synode der evangelischen Kirchen eine Erklärung gegen Fremdenhaß und Rassismus ab.

Tags darauf folgte die ÖVP, deren Obmann Wolfgang Schüssel ein "offenes Dialogforum" zu Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz propagierte. Am 12. November sprachen sich die katholischen Bischöfe für eine ähnliche Plattform aus und distanzierten sich von Fremdenfeindlichkeit, plädierten aber auch dafür, die Ängste aller ernst zu nehmen. Und Jörg Haider begab sich gar in die Hofburg, um eine Grundsatzrede zu halten und im Zusammenhang mit den Opfern des Nationalsozialismus davon zu sprechen, daß "Äußerungen, die mir zugeordnet werden" (warum muß der FPÖ-Chef mittels gewundener Sprache immer irgendein Hintertürl offenhalten?), "unsensibel und mißverständlich" waren.

Auch wenn speziell die FPÖ energisch bestritt, daß Kundgebung und Haider-Rede etwas miteinander zu tun hatten: Die zeitgleiche Häufung von Aktivitäten zu Toleranz und Integration allein war schon Argument, die Veranstaltung in Wien zu planen. Außerdem waren schon seit langem nicht so viele Menschen, die eine gemeinsame gesellschaftliche Sorge versammelt hatte, zusammengekommen. Diese Sorge war durchaus nicht nur gegen die FPÖ gerichtet: gerade bei der Hauptveranstaltung am Stephansplatz machten mehrere Redner klar, daß es um ein Problem quer durch Gesellschaft und Parteien geht (daß VP-Mandatarin Gertrude Brinek und SP-Stadträtin Brigitte Ederer im Kundgebungsteil vor dem Parlament ausgebuht wurden, scheint eine Facette in diese Richtung zu sein).

Der 12. November war aber auch keine "gesinnungsterroristische" Veranstaltung von "Gutmenschen", wie es vor allem aus der FPÖ tönte. Denn erstens war von Terror keine Spur - es ging so friedlich zu, daß im Nachhinein manch Journalist (Herbert Lackner, "profil": "Der Betroffenheits-Marathon") höhnte. Und zweitens: Warum versuchte Jörg Haider sich am gleichen Tag in der Hofburg dann selber als "Gutmensch", der - politisch korrekt - jedem "Anflug von Sympathie für rassistische und totalitäre Ziele" eine Absage erteilte, und: "Ich werde keine braunen Schatten dulden!"?

Aber erst die Tage und Wochen nach dem 12. November werden eigentlich entscheiden, ob das Land tatsächlich in Bewegung gekommen ist. "Österreich ist das einzige Land, in dem sich die Zivilgesellschaft derart mobilisiert", so einer der Redner am Stephansplatz, der Schweizer Ober-Alternative Jean Ziegler: Nach Wochen der Kritik aus dem Ausland klangen solch Worte wie Balsam für die wunde österreichische Seele. Doch anstatt Salben benötigt das Land Taten - handfest zupackend. Und schnell.

Das Warnblinken, das am Wiener Stephansplatz, 12. November 1999, stattfand, wird jedoch nur dann Folgen haben, * wenn die tatsächlich und die im Geiste dort Versammelten jenen Politikern, Kirchenleuten und so weiter, die in diesen Tagen Toleranz und Integration gepredigt haben, auf die Finger schauen und auf Einhaltung der Versprechen drängen; * wenn die Zivilgesellschaft - Pfarren, Parteisektionen, Betriebsräte, Hausgemeinschaften, Bildungseinrichtungen et cetera - selbst kreativ wird und Gespräche, runde Tische, Dialoge der verschiedenen Gruppen - Inländer wie Ausländer - initiiert; n wenn die Soziologen Daten erheben und die Sozialpolitiker daraus Konzepte zur Integration (von Wohnungs- und Schulfragen bis zur Bevölkerungsentwicklung) erarbeiten; * wenn das Agieren der Medien in dieser gesellschaftlichen Diskussion offen und scharf thematisiert wird (daß die "Kronenzeitung" nicht eine einzige Zeile über die Kundgebung berichtete, ist ebenso der Auseinandersetzung wert wie der "News"-Cover, der mit Jörg Haider in Teufelsgestalt geschmückt war); * wenn hierzulande ein klarer intellektueller Diskurs auch mit der rechten Reichshälfte geführt wird (der Theologe Jozef Niewiadomski, im kirchlichen Umfeld seit Jahren diesbezüglich unterwegs, geht solches auf Seite 3 dieser Furche an; er ortet problematische Gemeinsamkeiten zwischen alten Linken und neuen Rechten).

War der 12. November, der Tag der Republik 1999, eine Wegmarke für Österreich? Schwer zu sagen. Vielleicht: Ja - aber nur dann, wenn der Wille zum Engagement (siehe oben) bald spürbar ist.

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