Nach einer halben Stunde bereits die erste Pause

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Das Wiener Volkstheater zeigt Maxim Gorkijs "Kinder der Sonne“ in der Inszenierung des Regie-Jungstars Nurkan Erpulat. Ihm gelingt eine angenehm unprätentiöse, leichtfüßige Aufführung des düsteren Stücks.

Es herrscht fröhliche Betriebsamkeit auf der Volkstheaterbühne: Zunächst fegt Inge Maux als Kinderfrau Antonowna noch den Theaterboden sauber, dann kommen die Schauspieler mitsamt Statisterie herbeigelaufen um Requisiten und Dekorationen aufzustellen, bis alles den richtigen Platz gefunden hat. In Nurkan Erpulats Inszenierung von Maxim Gorkijs "Kinder der Sonne“ werden die Hauptdarsteller von Statisten im Bühnenarbeiteroutfit umsorgt. Sie halten mit Seilen die Kronleuchter fest, schleppen das Mobiliar heran und bleiben dabei vom Rest des Ensembles nahezu unbemerkt. Im Glanz eines goldschimmernden Sonnenblechs, ebenfalls fast die gesamte Aufführungszeit über von eifrigen Arbeitern in die Höhe gehalten, beginnt so der heiter-tragische Abgesang auf die russische Gesellschaft um 1900.

Zu Zeiten der Cholera

Gorkij hat sein Stück 1905 unter dem Eindruck der grausamen Militäraktionen zur Niederschlagung der aufkeimenden Arbeiterunruhen geschrieben. Seine düsteren Vorahnungen über die Zukunft Russlands verlegt er aber in das Jahr 1892, zu Zeiten der Cholera. Während das Volk leidet und sich nach Veränderung sehnt, schwadroniert eine kleine elitäre Gruppe über ihre Vorstellungen von einer neuen Menschheitsgeschichte. Einer davon ist auch der Chemiker Pawel (Patrick O. Beck), der auf der Suche nach einer Formel zur Beherrschung der Natur die sozialen und persönlichen Konflikte um ihn herum aus den Augen verliert. Seine gelangweilte Frau (Heike Kretschmer) wirft sich in die Arme des geschwätzigen Bohemiens Dimitrij (Günter Franzmeier), die Schwester (Nanette Waidmann) verfällt aus Kummer über die tragische Liebesbeziehung zum Tierarzt Boris (Simon Mantei) dem Wahnsinn. Und den Avancen der Witwe Melanija (Claudia Sabitzer) begegnet er mit der gleichen Weltfremdheit, wie den Finanzspekulationen des Geschäftsmannes Awdejewitsch (Günther Wiederschwinger) rund um seine genetischen Forschungen.

Doch zunächst scheint im Haus des Wissenschaftlers noch ein harmonisches Zusammenleben möglich, Dienstpersonal und Herrschaft arbeiten geschäftig nebeneinander. Auch arbeitsrechtlich wirkt hier alles in Ordnung, nach gut einer halben Stunde Aufführungsdauer wird bereits die erste Pause eingelegt. Schauspieler und Bühnenpersonal machen Rast für eine Zigarette, verspeisen ihre mitgebrachten Jausenäpfel und halten stille Einkehr. Danach wird wieder in die Hände gespuckt und das Tagwerk aufs Neue aufgenommen. Während sich die betuchte Oberschicht aber vorwiegend in ihre persönlichen Katastrophen stürzt, müssen die anderen weiter malochen. Da kann auch das gemeinsam intonierte Volkslied "Fein sein, beinander bleibn“ nicht über die gesellschaftlichen Unterschiede hinwegtäuschen. Nach und nach verschwindet das Bühnenvolk aber und schließt sich dem Aufruhr an oder wird von der Cholera dahingerafft. Übrigbleibt ein wütender Mob, der den Professor und seine Familie als Schuldigen der Seuche zur Verantwortung zieht, wird doch der Krankheitskeim in einem der Reagenzgläser Pawels vermutet.

Historisches & Zeitgenössisches

Erpulat, der junge Regiestar aus Deutschland, inszeniert den Theaterklassiker in beschwingtem Tonfall und schafft dabei den Drahtseilakt, ohne angestrengte Aktualisierungsbemühungen Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Die unbekümmerte Mischung aus historischem und zeitgenössischem Material macht diese Inszenierung so sympathisch. Nur manchmal wirkt der bunte Mix etwas zu überladen. Insgesamt aber erstrahlt unter der rechteckigen Kupferblechsonne eine unprätentiöse und leichtfüßige Inszenierung mit wunderbarer Ensembleleistung, die es schafft, witzig und eindringlich gleichermaßen zu sein.

Weitere Termine

8., 14., 18., 22., 26., 30. Mai

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