Nachrichten aus der ProvinzProvinz

Werbung
Werbung
Werbung

Greißlersterben und Postamtschließungen, Verzicht auf öffentlichen Verkehr und Telefonzellen: Über das Sterbenlassen des ländlichen Raums durch Privatisierung und Anonymisierung.

Vor einiger Zeit war im verdienstvollen Kultursender Ö1 eine Diskussion über das Problem Provinz zu hören. So nannten es die diskutierenden Soziologinnen und Soziologen allerdings nicht, sie sprachen von der Notwendigkeit, regionale Strukturen zu schaffen, um der Landflucht entgegenzuwirken.

Das ist ein nicht untypisches Phänomen: Sind funktionierende Strukturen erfolgreich demontiert worden, egal ob der Übertitel Privatisierung, Liberalisierung oder manchmal auch schlicht #Modernisierung# heißt, tritt die Soziologie auf den Plan, registriert die entstandenen Leerstellen und macht sich Gedanken über Gegenmaßnahmen. Natürlich ist das verdienstvoll. Trotzdem könnte man sich fragen, weshalb es für die Gesellschaftswissenschaften offenbar weniger attraktiv ist, die Bedeutsamkeit existierender Einrichtungen zu erkennen und für ihren Erhalt zu plädieren. Postämter sind bzw. waren für den ländlichen Raum so eine flächendeckend funktionierende Struktur, mit dem schon Geschichte gewordenen Greißlersterben mutierten sie über ihr eigentliches Aufgabengebiet hinaus zu örtlichen Zentren.

#Gut vernetzt#-Sein ist wichtig

Nicht nur auf dem Land haben die letzten Jahrzehnte vieles hinweggerafft, meist werden die Folgekosten erst eine ganze Weile danach allen sichtbar: Was der Verzicht auf einen funktionierenden öffentlichen Verkehr mit praktikabler Taktfrequenz bedeutet, hat sich erst gezeigt, als auch in kleinen Orten die täglichen Verkehrskolonnen nicht mehr abrissen, und Kinder hier genauso wenig gefahrlos die öffentlichen Verkehrsflächen benutzen können wie am Gürtel in Wien. Eigentlich noch weniger, denn die Verbindungswege zwischen Orten und Ortsteilen sind am Land viel radikaler ausschließlich dem Autoverkehr reserviert, während sich in den Städten die Institution des Bürgersteigs aus dem 19. Jahrhundert erhalten hat, der allerdings zunehmend von Radfahrern okkupiert wird.

Als nächstes verschwanden die Telefonzellen, und jetzt sind es halt die Postämter. Die geplante neue Schließungswelle ist besonders radikal, da der bisherige Kahlschlag schon große Lücken in den Gemeindegebieten hinterlassen hat. Natürlich gibt es regionalen Widerstand, sogar vom Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, der sich offenbar nicht erinnern kann, dass er diese Maßnahme als ehemaliger Minister selbst (mit)verantwortet hat. Widerstand gibt es allerdings keineswegs überall und vor allem keineswegs koordiniert. In dem einen Ort ist es die Gemeinde selbst, die gern das Körberlgeld eines Postpartners hätte # oder diese Funktion schon ausübt und eigentlich gar nichts dagegen hat, dass das Postamt in der Nachbargemeinde auch noch fällt. In einem anderen spitzt der Betreiber eines noch verbliebenen Geschäftes auf die Funktion, und er sitzt im Gemeinderat oder ist mit dem Bürgermeister und seiner Fraktion #gut vernetzt#, wie der zeitgeistige Ausdruck für Protektionswirtschaft heißt. Deshalb muss auch die Transferdatenbank der Sozialleistungen eine Farce bleiben: Was auf Gemeindeebene an Transferleistungen für ortsansässige Unternehmen fließt, ist nirgends erfasst und schon für die Einheimischen schwer greifbar. Da wechseln Gemeindegrundstücke zu günstigsten, absolut ortsunüblichen Preisen den Besitzer, werden stillschweigend Erschließungskosten übernommen und Verkehrswege adaptiert.

Die sogenannte Liberalisierung hat auch eine grundlegende Versorgungsstruktur in die Krise gebracht; es entstanden private Zustelldienste, deren Mitarbeiter offenbar trotz Navigationssystemen dem komplizierten Nummernsystem hilflos gegenüberstehen, denn das ist unberechenbar, weil organisch gewachsen. Deshalb machte sich die Verwaltung vor einiger Zeit an die Neuordnung der Straßennamen und Hausnummern, jeder Weg, jede Zufahrt zu den wie Pilze aus dem Boden wachsenden neuen Eigenheimkonglomeraten wurde umsystematisiert. Im Alltagsleben sind solche Dinge freilich zählebig und lassen Klüfte aufbrechen zwischen dem regulären Ortsplan der Administration und dem mentalen in den Köpfen der Bewohner.

Die Damen vom Backstageoffice

Für ortsfremde Zustelldienste scheint es wenig gebracht zu haben, nicht selten hat der Empfänger den entnervten Fahrer minutenlang telefonisch einzuweisen, wie das jeweilige Grundstück zu erreichen ist. Das ist allerdings schon der Glücksfall eines Treffers. Wer hingegen vergeblich auf eine dringende Sendung wartet, muss beim Absender rückfragen, um den Namen des gewählten Zustelldienstes zu erfahren, und dessen Servicenummer recherchieren. Ruft man dann dort an, erfährt man, dass vor einigen Tagen ein vergeblicher Zustellversuch unternommen worden sei, der allerdings keinerlei Spuren hinterlassen hat. Mittlerweile lagert das Päckchen in der Zentrale, die ist nicht wie einst das zuständige Postamt gut erreichbar, sondern weit weg. Der Postbedienstete hat im Übrigen nie verabsäumt, einen auffälligen gelben Zettel zu hinterlassen, mit der Information, wann er da war, was er hätte bringen wollen und ab wann das leider nicht Zustellbare abzuholen ist. Oft kam es dazu aber gar nicht, weil der mit den regionalen Verhältnissen vertraute Postler einfach wusste, wer von den Nachbarn im Fall das Packerl gern entgegen nimmt # im Übrigen kein unwesentlicher Aspekt für das Lebendighalten von Sozialkontakten.

Das kann ein Bediensteter der so gar nicht schnellen privaten Zustelldienste natürlich nie wissen. Will man trotzdem in den Besitz des Poststücks gelangen, muss man sich einen neuen Zustellversuch ausmachen, und dafür sollte man sich zumindest einen Tag Urlaub nehmen. Die jungen Damen im Backstageoffice sind zwar freundlich, aber sie können nicht vorhersagen, wann der jeweilige Fahrer welche Route wie antreten wird, also wann mit seinem Kommen zu rechnen ist, das # trotz Vereinbarung # dann auch unterbleiben kann. Dafür erhält man ein paar Tage später einen Anruf, dass es morgen, irgendwann, wirklich soweit sei # also entweder ein zweiter Urlaubstag oder man verzichtet.

Metropole & Provinz

Das Schlagwort vom #globalen Dorf#, das durch die standortunabhängige Anbindung an die Weiten des World Wide Web entsteht, vergisst leicht, dass es nach wie vor Bedürfnisse nach #analogen# Kommunikations- und Versorgungsstrukturen in der Realwelt gibt. Die heimischen Qualitätszeitungen haben in diesem Punkt schon lange w. o. gegeben und auf die Landbevölkerung als potenzielle Leserschaft verzichtet. Die ist auf digitale Ausgaben verwiesen und kann bislang noch ein Abonnementservice nutzen, auch wenn dabei, vor allem im Sommer, mit Unregelmäßigkeiten stets zu rechnen ist. Die Sonntagsaushänger jedoch reduzieren sich auf die Boulevard-Varianten, lokale Trafiken wie Supermärkte meist ebenso. In Tourismusregionen ist die Situation # zumindest in der Saison # etwas besser, wo sich der Fremdenverkehr auf Tagesausflügler aus nahen städtischen Einzugsgebieten reduziert, hilft er gar nichts. Im tschechischen Marienbad /Mariánske Lázne freilich gibt es in jedem kleinen Souvenir- und Tabakladen nicht nur die deutschen Blätter, sondern auch Presse und Standard. In diesem Sinn sind Metropole und Provinz tatsächlich relative Begriffe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung