Nachwuchsforscher, allzeit umzugsbereit

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Befristete Verträge zwingen viele junge Wissenschafter, ihre Forschung aufzugeben. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft hat nun ein eigenes Zentrum eingerichtet, um ihnen Lust und Mut für neue Karrierewege zu machen. Ein Beispiel, das Schule machen könnte.

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Befristete Verträge zwingen viele junge Wissenschafter, ihre Forschung aufzugeben. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft hat nun ein eigenes Zentrum eingerichtet, um ihnen Lust und Mut für neue Karrierewege zu machen. Ein Beispiel, das Schule machen könnte.

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Harald Mahrer liest Yuval Noah Harari. Dass der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium dem israelischen Historiker und Autor einiges abgewinnen kann, liegt auf der Hand: Denn Harari beschäftigt sich in seinem jüngsten Buch "Homo Deus"(vgl. FURCHE Nr. 20) mit der atemberaubenden Zukunft der Menschheit, geprägt durch einen technischen Innovationsschub im bislang ungekannten Ausmaß. Und Innovation ist das erklärte Anliegen des österreichischen Staatssekretärs: "Wir befinden uns auf dem spannenden Weg ins 'Zukunftsland'. Denn eine Reihe von Technologien könnte unser Leben, unsere Wirtschaft und unsere Arbeitsweisen radikal verändern", sagte Mahrer letzte Woche bei der Eröffnung eines neuen Karrierezentrums der Ludwig Boltzmann Gesellschaft in Wien.

Eine Auswahl dieser Technologien wird etwa im Forschungsatlas (www.forschungsatlas.at) präsentiert: Diese reicht von medizinischen Nano-Robotern und Neuroprothesen über intelligente Materialien bis hin zu neuen Speichertechnologien wie den Memristoren. "Das sind die Transistoren des digitalen Zeitalters", so Mahrer. "Das Wissen aller europäischen Universitätsbibliotheken kann damit vielleicht schon im Jahr 2025 in der Größe eines Zuckerwürfels gespeichert werden."

Der "wilde Hazard"

Auch wenn das im Alltag mitunter rasch vergessen wird: Der Nährboden für Innovationen liegt in der Wissenschaft. Forscher, die die Grundlage für neue Technologien aufbereiten, sollten auch selbst eine gesicherte Zukunft haben - könnte man meinen. De facto sind Verträge an Forschungseinrichtungen heute oft zeitlich limitiert. An den außeruniversitären Ludwig Boltzmann Instituten etwa gibt es rund 200 Nachwuchswissenschafter, rund 70 Prozent davon sind befristet auf sieben oder maximal vierzehn Jahre angestellt. Internationale Daten zeigen, dass nur rund ein Viertel aller Nachwuchsforscher in der Wissenschaft bleiben kann. Eine dauerhafte Professorenstelle erreichen gar nur 0,5 Prozent. Die restlichen 75 Prozent sind gezwungen, das Wissenschaftssystem zu verlassen. Nach Abschluss eines Doktorats erfolgt dieser Schritt mitunter noch geplant, im weiteren Karriereverlauf von Post-Doc-Forschern aber oft ungeplant und unfreiwillig. Von einer "verlorenen Generation" im Wissenschaftsbetrieb ist sogar die Rede.

Dass das akademische Leben ein "wilder Hazard" ist, hat schon Max Weber 1919 in seiner Schrift "Wissenschaft als Beruf" festgestellt: Er kenne kaum eine Laufbahn, wo der Zufall eine solche Rolle spielt, so der berühmte Soziologe. Doch dem Zufall lässt sich stets auch Selbstbestimmung abtrotzen: Angesichts der heutigen Situation ist es für Jungforscher umso wichtiger, sich "nicht erst fünf Minuten vor oder nach zwölf" Gedanken über berufliche Weichenstellungen zu machen, betonte Verena Aichholzer bei der Veranstaltung der Boltzmann Gesellschaft im Wiener Semper-Depot. Die Betriebswirtin leitet das neu eingerichtete "Career Center", das nun als Anlaufstelle für die Nachwuchswissenschafter unter dem Dach der Ludwig Boltzmann Gesellschaft dienen wird -und ihnen Karriereoptionen auch außerhalb der Forschung eröffnen soll.

Unterstützung für "Plan B"

"Wir wollen die Jungforscher auf der Suche nach einem 'Plan B'unterstützen", erläuterte Aichholzer. Hier gilt es zu zeigen, was mit einer hoch qualifizierten Ausbildung noch alles möglich ist, sei es ein Umstieg in die Wirtschaft, in den öffentlichen Bereich oder auch in die Selbstständigkeit." Durch die Orientierung über alternative Karrierewege außerhalb der Wissenschaft sollen Nachwuchswissenschafter selbstbewusster auf dem Arbeitsmarkt auftreten.

Damit hat die Ludwig Boltzmann Gesellschaft in Österreich das erste strukturierte Angebot etabliert, das beim Wechsel vom Wissenschaftssystem in eine Karriere außerhalb der Wissenschaft unterstützen soll. Internationale Vorzeigeprojekte wie die Post-Doc-Initiative in den Niederlanden oder die National Postdoctoral Association in den USA dienen hier mitunter als Orientierung. Zu den individuellen Angeboten des österreichischen Zentrums zählen etwa Potenzialanalyse, Coaching und Karriereberatung. Auf institutioneller Ebene gibt es Jobportale, Workshops, Expertengespräche und "Skills"-Trainings.

Das Karrierezentrum wird vorerst für eine Projektdauer von drei Jahren vom Österreich-Fonds gefördert. Eine begleitende externe Evaluierung soll dann über dessen Fortführung entscheiden. "Wir müssen abwarten, wie die Zielgruppe auf dieses Angebot reagieren wird", sagt Aichholzer, die zuvor an der "Executive Academy" der Wiener Wirtschaftsuniversität tätig war. Mit der Entwicklung des Zentrums will die Ludwig Boltzmann Gesellschaft jedenfalls eine Art Inkubator-Funktion übernehmen, so dass die getesteten Angebote nach positiver Evaluierung auch für Universitäten und für andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen umsetzbar sind.

Das Pendel und der Mittelweg

Die Einrichtung einer Plattform, die Wissenschafter auch über den eigenen Tellerrand hinaus vernetzt und unterstützt, erscheint angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen als überfälliger Schritt. Flexibel zu bleiben, ist zur Notwendigkeit geworden: Die Garantie stabiler, vorgezeichneter Karrierewege ist heute in vielen Bereichen abhanden gekommen - insbesondere aber in der Wissenschaft. Junge Menschen, die sich für den Weg in die Forschung entscheiden, nehmen ein hohes Risiko des Scheiterns in Kauf. Dieses ist umso schmerzlicher, je mehr Zeit in die akademische Arbeit investiert wurde und je weniger das Wissen anderswo zu verwerten ist. Ein allzu unsicheres Umfeld ist auch politisch ein Problem, denn es könnte junge Talente auf die Idee bringen, ihre Karrieren besser im Ausland zu verfolgen.

"Früher gab es das Problem der mangelnden Evaluierung und Qualitätssicherung: Hatte man einmal eine Stelle im Wissenschaftsbetrieb, war sie meist unbefristet. Die akademische Leistung wurde dann so gut wie nicht mehr kontrolliert", bemerkt Verena Aichholzer. "Heute ist das Pendel in die Gegenrichtung ausgeschlagen: Die befristeten Verträge sorgen für mangelnde Planbarkeit und bergen ein Risiko für prekäre Verhältnisse. Gerade in der Phase der Familiengründung kann das abschreckend sein." Bleibt zu hoffen, dass sich diese Problematik zwischen den Extremen einpendelt, so Aichholzer. Das würde bedeuten, nach einem goldenen Weg der Mitte Ausschau zu halten.

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