Nachzulesen bei Otto von Habsburg: Ziele der CSA

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Das 36. Buch liefert wertvolle Aufschlüsse über Karl Waldsteins Christlich-Soziale Allianz.

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Das 36. Buch liefert wertvolle Aufschlüsse über Karl Waldsteins Christlich-Soziale Allianz.

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Viele Österreicher fragen sich, ob Karl Habsburg von allen guten Geistern verlassen sei. Leute, die dem einstigen Kaiserhaus Sympathien entgegenbringen, ebenso wie solche, denen die dynastische Vergangenheit Österreichs gleichgültig ist oder die noch immer Rot sehen, wenn sie Habsburg hören. So mancher, der noch vor einem Jahr angesichts eines in den Tod abgeschobenen Häftlings spontan gesagt hätte: "Unter Kaiser Franz Joseph hätte der Innenminister sofort den Hut genommen, dafür hat damals doch bereits der geringste Anschein eines schiefen Lichts genügt!" schweigt heute, peinlich berührt von einem Kaiserenkel, der seinen Hut nicht finden will. Selbst in Adelskreisen, so kann man hören, seien Karl Habsburgs Sympathiewerte abgestürzt, als bekannt wurde, daß er bei den Wahlen fürs Europa-Parlament als Kandidat einer neugegründeten "Aristo-Partei" auftritt.

Wofür steht so eine Partei? Man darf wohl annehmen, daß Karl Habsburg die Ideen und Ziele seines Vaters teilt. Daß das, was er von Otto Habsburg übernommen hat, das Kernstück seiner Vorstellungen bildet, wenn wir einmal vom ganz Persönlichen absehen wollen. Daß die vom Papa stammenden Ideen auch das Beste im Inventar seines Denkens sind. Denn das besagte ganz Persönliche ist weniger erfreulich: Da mischt sich die menschlich begreifliche, eher allzu menschliche Hoffnung eines Mannes, eine attraktive Funktion behalten zu können, mit Ressentiments gegen jene, die ihm den Hut in die Hand drückten, und wohl auch dem Wunsch, "es ihnen zu zeigen".

Unter dieser Voraussetzung kam das Buch "Die Paneuropäische Idee - Eine Vision wird Wirklichkeit" von Otto von Habsburg gerade zur rechten Zeit. Es ist legitim, dieses nunmehr 36. Buch Otto von Habsburgs als wichtige Informationsquelle zur Bewertung der von Karl Albrecht Waldstein gegründeten Christlich-Sozialen Allianz (CSA) zu lesen, in deren Wahlkampf ja auch Otto von Habsburg eingebunden war. Der am 20. November 1912 geborene älteste Sohn Kaiser Karls, der 1916 als Kleinkind hinter dem Sarg seines Großonkels, des Kaisers Franz Joseph ging (das Bild zählt zu den photographischen Ikonen des 20. Jahrhunderts), hat sich immer mit voller Energie für Österreich eingesetzt. Er war in der NS-Zeit eine ganz wichtige Figur der österreichischen Emigration in den USA und ein unermüdlicher Promotor der Bemühungen um eine österreichische Exilregierung, wenn diese auch vergeblich bleiben mußten: Die Gräben zwischen Rechts und Links waren auch unter den Exil-Österreichern zu tief, und jene, die Brücken bauen wollten, waren auf beiden Seiten zu schwach.

In der Nachkriegszeit wurde Otto Habsburg zu einer treibenden Kraft der von Richard Coudenhove-Kalergi gegründeten Paneuropa-Bewegung. Er war seit 20 Jahren Abgeordneter und zuletzt Alterspräsident des Europäischen Parlaments, für das er diesmal nicht mehr kandidiert. Auch sein jüngstes Buch bestätigt: Von restaurativen Hoffnungen - die zwischen 1934 und 1938 und später während des Zweiten Weltkrieges wohl noch ausgeprägt vorhanden waren - ist nichts mehr zu merken. Er verläßt das politische Leben als demokratischer Politiker, freilich am erzkonservativen Rande des politischen Spektrums. Man tut ihm vielleicht nicht unrecht, wenn man ihn als Pluralisten wider Willen bezeichnet. Der Rezensent hat beim Lesen des neuen Buches Otto von Habsburgs fast auf jeder Seite einmal heftig zugestimmt und dann wieder mindestens ebenso heftig widersprochen und sich selbst immer wieder ratlos gefragt, ob nicht die Zustimmung auf die Selbstverständlichkeit des Gesagten zurückzuführen sei, während der Widerspruch oft genug Standpunkte betrifft, die Otto Habsburg mit der Mehrzahl der europäischen Politiker teilt. Die sozialdemokratischen ausdrücklich eingeschlossen.

Wenn irgend jemand, dann ist wohl aufgrund der Geschichte seiner Familie gerade dieser Autor zum Anwalt der südosteuropäischen Völker berufen. Wer könnte ihm also guten Gewissens widersprechen, wenn er leidenschaftlich für die Staaten eintritt, die derzeit in die EU drängen. Für die wirtschaftlichen Fragen, für die Krisen, die ausgelöst werden können, wenn "moderne", sprich: hochrationalisierte Industriestaaten mit weniger produktiven zu einem Wirtschaftsraum vereinigt werden, hat er kein Sensorium. Aber haben es jene, die den mehr Wohlstand versprechenden, jedoch hochriskanten Integrationsprozeß auf Teufel komm raus im Blindflug vorantreiben? Die Frage, ob man nicht - wie in der ehemaligen DDR - eine gigantische Arbeitslosigkeit produziert, wenn weniger produktive Betriebe in kurzer Zeit ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren, findet bei Otto von Habsburg wenig Verständnis. Immerhin lesen wir bei ihm auch klarsichtige Worte über die Grenzen des Wachstums, über den ökologischen Wahnsinn unseres Wirtschaftens. Was ihm dagegen einfällt, zeugt aber nicht unbedingt von Verständnis für die Mechanismen einer Marktwirtschaft.

Für Otto von Habsburg war, wie für jeden vernüftigen Menschen, nach dem Zweiten Weltkrieg die europäische Integration gleichbedeutend mit der Hoffnung auf den europäischen, wenn schon nicht den Weltfrieden. Kann man es dem Vorkämpfer der Paneuropa-Bewegung wirklich verübeln, wenn er die Umfunktionierung des Integrationsprozesses zu einem Werkzeug der Ressourcen-Ausbeutung und der Bereicherung Weniger auf Kosten der Vielen nicht begreift? Oder - denn er ist ein scharfer Denker - lieber nicht im vollen Ausmaß erkennen will, was aus seinen Idealen gemacht wurde und immer weiter gemacht wird?

Es deutet einiges darauf hin, daß es beim politischen Denker Otto Habsburg eine Art magischer Grenze gibt. Wo er aus seinen Beobachtungen Schlüsse ziehen müßte, die ihn in eine unerwünschte Nachbarschaft mit der Linken brächten, und sei sie noch so demokratisch, dort schlägt er gerne Haken und hebt ab. Ungerechten Zuständen wie jenen, gegen welche einst die Sozialdemokratie die Arbeiterschaft mobil machte und die heute in anderer Form wieder drohen, versucht er lieber ideologisch beizukommen, man könnte auch sagen: mit dem Rekurs auf die abendländischen Werte.

Ein Kapitel, in dem diese Selbstbegrenzung deutlich wird, trägt die Überschrift: "Ohne Gott ist alles erlaubt". Die Rede ist darin von der Zunahme der Kriminalität, dem angeblich ständigen Wachsen der kleinen und der großen Räuberei der Staaten: "Der Kommunismus hat vielen jungen Menschen jedes transzendente Ideal geraubt. Sie glauben, keinen letzten Richter über ihr Tun zu haben." Damit reißt Otto Habsburg wohl eines der größten Themen unserer Zeit an. Der Appell an die Angst vor der Kleinkriminalität, unabhängig von deren tatsächlichem Ausmaß, gehört freilich zum eisernen Fundus der CSU, die Otto Habsburg für die beste aller Parteien hält, aber auch andersfärbiger, nicht gerade konservativer Rechter, die ebenfalls die Angst des kleinen Mannes vor der Kriminalität schüren.

Was er jedoch über die Inhumanität der Staaten schreibt, würde denn doch zumindest ein Streiflicht auch auf die Frage erfordern, wie es denn vor dem Verlust unserer transzendenten Ideale, und trotz der Angst vor dem letzten Richter, zu den Blutbädern der abendländischen Geschichte kommen konnte, zu den Metzeleien zwischen den christlichen Konfessionen und christlichen Herrschern, den Blutbädern des Antisemitismus, den Blutbädern aus Machtgier und Habsucht? Hier macht es sich der Autor leider viel zu einfach. Flucht in eine gewisse Simplizität, die an vielen Stellen dieses Buches in Erscheinung tritt?

Kennen wir die Gedanken des Vaters, können wir leichter abschätzen, wo der Sohn steht, ob und in welchem Ausmaß er, sie weiterentwickelnd, vielleicht darüber hinausgelangen mag. Die Antwort lautet: Wohl eher nicht. Die Idee des Juniors, Eltern das stellvertretende Stimmrecht für ihre minderjährigen Kinder einzuräumen, ist offenbar eins zu eins dem Buch des Vaters entnommen, der Kinderlose immer noch als "Elemente in der Gemeinschaft" betrachtet, "die nur die Lust, aber keine Kinder wollen".

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