Nacktscanner und Frieden

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Warum in Zukunft die Religion wichtig werden wird und warum sie sich deswegen auf neue Gleise wagen muss. Paradoxe Anmerkungen zum Beginn der Zehner-Jahre.

Man hatte es fast schon vergessen. Aber das Ende der Nuller-Jahre riss die Weltöffentlichkeit aus dem Schlaf der Sicherheit: Was anno 2001 die globalen Grundfesten erschütterte, ist anno 2009 längst nicht vorbei. Dass ein Flugzeugattentäter kurz vor der Landung in den USA beinahe erfolgreich war, hat die terroristische Verwundbarkeit schlagartig zurück ins Bewusstsein gebracht.

9/11 ist mitnichten vorbei. Die Fingerabdrücke im Reisepass, der gläserne Flugzeugpassagier – all das konnte die Gefahr nicht bannen. Doch wieder lautet die Antwort: Mehr an Kontrolle, Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen. All das ist längst geplant und muss bloß eingesetzt werden. „Nacktscanner“ stehen bereit und werden kaum mehr auf Widerstand stoßen, vergessen auch das Klagen über Flugverbotslisten, für die es keine rechtsstaatliche Kontrolle und gegen die es keine rechtsstaatliche Rekursmöglichkeit gibt: Trotz all dieser Antiterror-„Waffen“ verfing sich der potenzielle Attentäter von Detroit keineswegs im ach so engen Sicherheitsnetz.

Die Lehre der Nuller-Jahre

Man mag durchaus argumentieren, kurzfristig gebe es keine andere Möglichkeit, als schärfer zu kontrollieren, jede Flugreise noch ungemütlicher zu gestalten. Aber mittelfristig, so die Lehre der Nuller-Jahre, bleibt das Problem virulent. Glück gehabt: Mehr ist nicht zu sagen. Nichts ist zu beschönigen.

Muss es in den beginnenden 10er Jahren so weitergehen? Man hofft, dass es Auswege gibt, die andere Richtungen weisen als die alte Leier von der Kontrollverschärfung: Irgendwann mag es deren Verfechteren im Kleinen wie in der großen Welt dämmern, dass diese keines der Probleme löst.

Man sollte die Religion ins Spiel bringen und in die Pflicht nehmen. Denn am Anfang der terroristischen Katastrophe stand auch die Religion: Deren islamistische Spielart war der Hintergrund der Attentate von 9/11 und der Ereignisse von Madrid, London etc.

Wer die gesellschaftlichen Debatten der letzten Zeit Revue passieren lässt, wird der Diagnose zustimmen, hier sei Religion im Spiel – und zwar keineswegs nur bei den Gewalttaten im globalen Maßstab. Von der Kreuz-Diskussion bis zur Minarett-Debatte:übermäßig viele Themen dieser Tage lassen sich religiös konnotieren, und zwar durchaus mit unterschiedlichen Vorzeichen.

Um im von hierzulande überschaubaren Bereich zu bleiben: Da wissen sich die Angehörigen einer Religion im Aufwind; der Islam ist in Europa eine wachsende Gemeinschaft von Gläubigen. Da fühlen sich andere, europäische Christen, im Abwind. Und dazwischen lebt das Gros einer Bevölkerung, die von der abwärtsstrebenden Religion kaum mehr eine Ahnung und vor der aufstrebenden Angst hat.

Man sollte in dieser Lage auf die Religion setzen, so paradox das klingen mag. Allerdings auf eine Religion, die es wagt, sich aus eingefahrenen Gleisen wegzubewegen. Es nützt – etwa in der Debatte über Kreuze in öffentlichen Gebäuden – wenig, darauf zu pochen, dass das Christentum die traditionelle Religion des Landes sei. Tradition taugt kaum zur Bewältigung der Gegenwart.

Tradition bewältigt die Gegenwart nicht

Die Frage müsste vielmehr lauten: Welches Angebot haben die Christen, um verzagten Zeitgenossen eine Lebensperspektive zu eröffnen? Ähnlich steht auch dem Islam an, sich nicht vor der Unterscheidung zu drücken, wo er einen Ballast der Tradition mitschleppt und wo er Gläubigen in einer gegenwärtigen Gesellschaft lebbare Visionen anbieten kann.

Der verhinderte Attentäter von Detroit bezog seinen Antrieb aus einer verqueren, lebensfeindlichen Sicht von Religion. Es bleibt nichts anderes übrig, als dem die Lebensbejahung entgegenzusetzen, auf der die großen Menschheitsreligionen fußen. Dazu gehört – auch das ist keine neue Erkenntnis – der Einsatz für Gerechtigkeit, an der es lokal, regional und erst recht global krankt.

Nicht der Nacktscanner wird den Menschen Frieden und Sicherheit bringen, sondern Gerechtigkeit. In den heiligen Schriften der Religionen ist dies längst nachzulesen.

* otto.friedrich@furche.at

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