Nationalitätenfasching

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"König Ottokars Glück und Ende": Dušan David Pařízek fokussiert in seiner Grillparzer-Inszenierung das im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalbewusstsein und dreht bisherige Lesarten um.

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"König Ottokars Glück und Ende": Dušan David Pařízek fokussiert in seiner Grillparzer-Inszenierung das im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalbewusstsein und dreht bisherige Lesarten um.

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Sieben Darsteller sind am Wiener Volkstheater in neun Rollen zu sehen, doch die Zuschreibungen sind ganz einfach: Wer die Papierkrone trägt, ist aktueller Herrscher, die Wappen auf den Pullovern zeigen an, wer wohin gehört. So ziert der weiße Löwe den Pulli von Böhmenkönig Ottokar II. Přemysl, während der Doppeladler - Wappen der Schweizer und Österreicher - dezent das Sakko von Rudolf von Habsburg schmückt. Der Prager Regisseur Dušan David Pařízek dreht bisherige Lesarten von Franz Grillparzers Nationalstück um: Zwar zeigt sich Ottokar auch bei ihm als ungestümer Herrscher, aber er ist ein Politiker mit Haltung und Verantwortungsbewusstsein. Rudolf hingegen zeichnet Pařízek als aalglatten, eiskalten Machtpolitiker, der sich zuerst jovial anbiedert, um sich dann, nach der Kaiserwahl in Frankfurt, als zynischer, verlogener und antisemitischer Stratege zu entpuppen.

Konsequenzen allzu ehrgeizigen Machtstrebens lassen sich oft nur in Parabeln und aus einer gewissen zeitlichen Distanz beleuchten. Nicht zufällig interessieren sich gerade in Zeiten des politischen Rechtsrucks mehrere österreichische Bühnen für Grillparzers Ottokar.

Dušan David Pařízek fokussiert besonders das im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalbewusstsein. Auch wenn hier alle Deutsch sprechen, so trifft man dennoch auf verschiedene Sprachen sowie unvereinbare Mentalitätsunterschiede: Der die Titelrolle verkörpernde und aus "Mission Impossible" bekannte Schauspieler Karel Dobrý ist Tscheche und "böhmakelt", wie man es sich eben vorstellt. Ottokars zweite Frau Kunigunde (Anja Herden mit paprikarotem Haar) spricht ein breites -wie sie selbst betont - auf der ersten Silbe betontes Deutsch, und Lukas Holzhausen beherrscht als Rudolf perfekt Schweizerdeutsch. (Was ebenfalls aufgrund seiner Herkunft nicht weiter verwunderlich ist.)"Nennʼ mich Ruedi", fordert er den jungen Seyfried Merenberg (Thomas Frank) auf und lässt sich drei Mal küssen, wie es sich in der Schweiz gehört. Doch das volksnahe Du hat alles andere als Wert, im Gegenteil, am Ende, nachdem Rudolf Ottokar in der Schlacht auf dem Marchfeld getötet hat, beschuldigt er Merenberg des brutalen Totschlags.

Aus Trauerspiel wird Groteske

Dieser Rudolf zeigt sich als Bundeskanzler-Parodie, doch kein verniedlichendes "Basti" oder verharmlosendes "Ruedi" täuschen über menschenverachtende Politik hinweg. Da präsentiert sich Ottokar, der rechthaberische König, der Margarethe aufgrund ihrer Kinderlosigkeit verlässt, immerhin als geradliniger Politiker, auch wenn er bald und buchstäblich von seinem hohen Ross fällt. Pařízek scheut keinen Aufwand, aus Grillparzers Trauerspiel eine Groteske zu bauen. Und so reitet Karel Dobrý auf einem echten Schimmel auf die Bühne. Doch hier kommt kein Märchenprinz, auch wenn er goldene Hosen trägt, sondern ein Berserker, der in Wirklichkeit nur sein Pferd liebt. Kleider machen Leute, Hans Christian Andersens Märchen bildet den eigentlichen Rahmen für Pařízeks Grillparzer-Nacherzählung. Das gilt auch für den Hermelin-Mantel: Wer ihn trägt, ist die Königin, und sei es einmal Rainer Galke und ein anderes Mal Anja Herden.

Nur Ottokar hat den weißen Löwen als Wappen am Oberkörper eintätowiert, er wechselt die Haltung nicht wie andere die Wäsche. Und auch der Wiener Alt-Bürgermeister bleibt konsequent, sowohl beim Spritzwein als auch bei seiner Leidenschaft für die Donauinsel. Mit überdimensionalen Stoff-Genitalien springt Rainer Galke als Häupl in einen Wassergraben. Ist es die Donau oder wohl eher die Leitha? In jedem Fall ein Grenzfluss, der in der Monarchie die Zugehörigkeit der Länder zu Transleithanien und Cisleithanien bestimmte.

Pařízeks Interpretation ergänzt die vor allem zu Staatsjubiläen ausgerichteten Inszenierungen auf besondere Weise. Auch wenn der Witz manchmal aus der tiefsten Schublade kommt und die Parodie zu oberflächlich ist, wenn der Mix an Akzenten und Dialekten ins Unverständliche geht und die Blödeleien nerven, bietet Pařízeks kritischer Blick auf die aktuelle österreichische Politik einen interessanten Beitrag zur Frage nach der österreichischen Identität. Die rotweiß-rote Fahne, am Ende auf die Gesichter der Schauspieler projiziert, ist manchen nichts anderes als ein Faschingsgewand, das opportunistischen, populistischen Politikern im Wahlkampf dient. Wie einst Österreich-Ungarn fiel auch der Premierenapplaus in zwei Hälften: tosende Zustimmung versus ratlose Gesichter.

König Ottokars Glück und Ende Volkstheater, 15., 17., 23., 28. Jänner

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