Natur, Amour und Kunst - und Goethe

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Siegried Unseld huldigt Goethe, dem Ginkgo und seiner Frau.

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Siegried Unseld huldigt Goethe, dem Ginkgo und seiner Frau.

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Der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, der im September 75 wird, hat seiner schönen, 30 Jahre jüngeren Frau, der Schriftstellerin Ulla Berkewicz, ein beziehungsreiches Buch gewidmet: "Goethe und der Ginkgo. Ein Baum und ein Gedicht". 1815 schenkte der 66jährige Goethe der um 35 Jahre jüngeren Marianne von Willemer ein Ginkgo-Blatt und ein Gedicht: "Dieses Baums Blatt, der von Osten / Meinem Garten anvertraut / Giebt geheimen Sinn zu kosten / Wie's den Wissenden erbaut. Ist es ein lebendig Wesen / Das sich in sich selbst getrennt / Sind es zwey die sich erlesen / Daß man sie als Eines kennt. Solche Frage zu erwiedern / Fand ich wohl den rechten Sinn / Fühlst du nicht an meinen Liedern / Daß ich Eins und doppelt bin."

Das war der Beginn eines poetischen Austauschs, der in die schönste Gedichtsammlung Goethes mündete, den "West-östlichen Divan", die einzige, die er zu Lebzeiten veröffentlichte. Fernab der allgegenwärtigen Ginkgo-Vemarktung in Weimar - Ginkgo-Blätter aus Wachs und Schokolade, Gold, Silber, Platin - geht Unseld zunächst auf die Naturgeschichte der ältesten Baumart ein. Der Ginkgo ist ein lebendes Fossil, rund 300 Millionen Jahre alt. Aus Europa verschwand er während der Eiszeit, vor 250 Jahren brachten ihn Botaniker aus China zurück. Die Chinesen nennen ihn, wie die Japaner, Ginkyo - Silberaprikose. Ein Setzer dürfte das y mit einem g verwechselt haben. Das botanisch Besondere ist seine ungewöhnliche Blattform, die ihm auch zum Namen "Entenfußbaum" verhalf. Das ausgewachsene Blatt gleicht einem Fächer: Symbol des weiblichen und männlichen Prinzips, von Freud und Leid, Leben und Tod. Unseld erwähnt in seinem gelehrten Exkurs auch ein Wunder. Nach der ersten Atombombe trieb in Hiroshima im Frühling 1946 ein frisches Reis aus dem verkohlten Wurzelstock eines Ginkgo-Baums, der nur 800 Meter vom Zentrum der Explosion entfernt stand. Der Baum besitzt Heilkräfte: den Apothekern sind mehr als 70 Präparate bekannt, die besonders im Alter hilfreich sind.

Goethe beschäftigte sich ab 1814 intensiv mit den Dichtungen des persischen Lyrikers Hafis. In dieser überaus produktiven Phase, in der er selbst im Ton des mittelalterlichen Poeten schreibt, trifft er die junge Frau seines Freundes Johann Jakob Willemer. Marianne, 1784 als Demoiselle Jung in Linz geboren, Schauspielerin, war dem Geldmann, nun, von ihrer Mutter verkauft worden, war 18 Jahre seine Geliebte, bis er sie heiratete. Der alternde Goethe verliebt sich in sie, schreibt ihr Gedichte. Sie antwortet in Gedichten, die an Schönheit, Klang und Leidenschaft seinen nicht nachstehen. Wie immer, wenn es brenzlig wurde, machte sich Goethe aus dem Staub. Marianne, die sich in den Gedichten "Suleika" nannte, litt. Und schwieg, als Goethe 1819 einige ihrer Gedichte in den Band "West-östlicher Divan" aufnahm. Ihr Name tauchte nirgends auf. Goethe: "Gehört nicht alles, was die Vor- und Mitwelt geleistet, dem Schriftsteller de jure an? Warum soll er sich scheuen, Blumen zu nehmen, wo er sie findet?" Marianne vertraute das Geheimnis als alte Dame einem Germanisten an, mit der Auflage, erst zehn Jahre nach ihrem Tod - sie starb 1859 - den Schleier zu lüften.

Goethe nahm, so Unseld, in den letzten eineinhalb Jahrzehnten seines Lebens "wieder auf, was früher seine Übung gewesen war: Freunde und Bekannte zu bitten, ihre Tageserlebnisse aufzuschreiben und ihm diese Aufzeichnungen zu schicken". Herder reagierte wütend: "Hole der Henker den Gott, um den alles ringsumher eine Frage sein soll, die er nach seinem Gefallen braucht! Oder gelinder zu sagen: ich drücke mich weg von dem großen Künstler, der auch seine Freunde ... bloß als Papier ansieht, auf welches er schreibt."

Ein dicht und schön geschriebenes, reich illustriertes Büchlein. In einer mehrere Seiten langen Fußnote setzt Unseld Goethes Einverleiben fremder Kunst ins eigene Werk mit Bert Brechts Ausbeutung begabter Frauen gleich - "sex for text" nannte es ein amerikanischer Germanist. Ob Goethe und Brecht viel gemeinsam hatten - außer, daß beide von Siegfried Unseld verlegt wurden?

Goethe und der Ginkgo. Ein Baum und ein Gedicht. Von Siegfried Unseld Insel Verlag, Frankfurt/M. 1998. 106 Seiten, geb., öS 166,- / e 12,06

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