Naturstücke versus Kunststücke

Werbung
Werbung
Werbung

Betritt man derzeit das Kunsthaus Bregenz, glaubt man sich in der Adresse geirrt zu haben, scheint man in einem Naturkundemuseum gelandet zu sein. Liegt doch im Zentrum der großen Halle des Erdgeschosses das 15 Meter lange Skelett eines Wals. Es ist allerdings kein reales, sondern ein vom mexikanischen Künstler Gabriel Orozco bis ins kleinste Detail naturgetreu aus Kunstharz nachgebildetes. Bereits vor sieben Jahren hat der inzwischen 51-jährige Künstler in der Londoner Tate Modern mit dieser monumentalen Skulptur für Furore gesorgt. Angeregt wurde er zu dieser Arbeit durch die Meldung, dass ein Grauwal an der Südwestküste Spaniens gestrandet ist.

Stabil labil

Sein Skelett ließ Orozco zuerst konservieren, bevor die Knochen einzeln in Kunstharz gegossen und dann wieder zum kompletten Skelett zusammengesetzt wurden. Auf das anschließend mit dunkelgrauer Farbe konzentrische Kreise übertragen wurden, das Muster von Wellen suggerierend, wie sie durch das Werfen eines Steins ins Wasser entstehen: um auf diese Weise voller Poesie das Kreatürliche in den Kontext der Kunst zu hieven. Und der Besucher weiß nun wieder, dass er doch am richtigen Ort ist.

Dieser gestrandete Riese ist an Stahlseilen befestigt. Als ebenso stabiles wie labiles skulpturales Gebilde, das sich wie ein Bogen aufbäumt, unter dem man durchgehen kann. Herumgehen muss man dagegen um Orozcos bereits vor 20 Jahren kreierte Version des legendären Citroën DS. Hiebei hat er als augenzwinkernde Neuinterpretation von Duchamps Idee des Readymade die chromblitzende französische Nobelkutsche zum skurrilen Zweisitzer verschlankt. Sogar der Zündschlüssel steckt in dieser halben Portion eines Autos.

Einen Stock tiefer hat Orozco kleine Terrakotten auf niedrige Sockel gelegt. "Meine Hände sind mein Herz“, sagt der Künstler, der die Spuren seines Tuns im weichen Material mehr oder weniger direkt hinterlässt, um bisweilen wie ein abgeworfener Gips daherzukommen, an reale Dinge zu erinnern oder auch gar nicht. Ein reizvolles Spiel mit Volumina vorführend, mit Offenem und Geschlossenem, Labilem und Stabilem, mit Spitzem, Rundem, Kegeligem oder undefinierbar Amorphem. Oft erinnert das an Relikte einer geheimnisvollen untergegangenen Kultur. Ein lustvoller, fast spielerischer Fabulierer ist hier zugange, kreisend um die Möglichkeiten des Minimalen innerhalb der Spielregeln des Skulpturalen, die mit mexikanischen Traditionen genauso zu tun haben wie mit dem Wissen um die Bildhauerei der westlichen Moderne.

Wieder eine völlig andere Facette von Orozcos Werk zeigen die Steine, die er wie zufällig auf den Boden des ersten Geschosses des Kunsthauses gelegt hat. Gefunden hat er sie an der Küste Mexikos, bevor er sie geschliffen, Muster in sie gekerbt hat. Reizvoll spielt er da mit dem Gegensatz der Rauheit der erodierten Oberflächen und der zarten Künstlichkeit seiner Eingriffe. Diese Interventionen sind im Gegensatz zu den Spuren, die Orozco im Ton einen Stock höher hinterlassen hat, alles andere als zufällig.

Rhythmisierte Muster

In der lateinamerikanischen Tradition verwurzelte uralte Motive variiert er hier auf seine ganz spezifische Art und Weise. Tierisches, Pflanzliches und Atmosphärisches wird zu wunderbar in der Fläche rhythmisierten Mustern, zu oft doppelbödigen Artefakten. Die durch mühsame Handarbeit zu Objekten der Kunst geadelten Ausspeiungen der Natur tragen Namen wie "Fächer-Wellen“, "Dreifach-Tropfen“ oder "Stein-Fußball“. Fotografisch ins Großformat übertragen zieren diese Steine auch die entlang der Seestraße aufgestellten Billboards des Kunsthaus Bregenz.

Gabriel Orozco: "Natural Motion“

Kunsthaus Bregenz, bis 6. Oktober

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung