Nazi-Hymne als Fuge

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Die erste Geschichte der Wiener Sängerknaben in der Zeit zwischen 1938 und 1945.

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Die erste Geschichte der Wiener Sängerknaben in der Zeit zwischen 1938 und 1945.

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Wiens Sängerknaben von 1938 bis 1945: Es ist so weit, letzte Bastionen des schlechten Gewissens und des Verschweigens fallen, in Trippelschritten nähern wir uns kurz vor der Jahrtausendwende der Normalität, fehlt nur noch die Geschichte der Lippizzaner in diesem immer wieder als dunkel umschriebenen Abschnitt unseres Landes. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ein Schlußstrich unter Mußmaßungen und Halbwahrheiten gezogen wurde. Mit dem vorliegenden Werk kann wohl kein endgültiges Ende der Debatte ausgerufen werden, aber trotz aller Schwächen ist dem langjährigen Lehrer und pädagogischen Leiter der Sängerknaben F. J. Grobauer eine umfangreiche Monographie gelungen, obwohl das Archiv der Sängerknaben bis heute als verschollen gilt.

Die Wiener Sängerknaben haben auch zwischen 1938 und 1945 nicht aufgehört zu bestehen, und neben dem Wiener Wappen auf der Brust trugen sie in diesen Tagen auch ein anderes Zeichen - wenn schon nicht das Hakenkreuz, so doch die "Jungvolk"-Siegrune am Ärmel. Der Autor ist um Objektivität bemüht und schreibt doch gegen unausgesprochene Vorwürfe an, um zu beweisen, daß alles seinen normalen Gang lief, sieht man eben von einigen Störungen und gewissen parteipolitischen Erweiterungen des Repertoires ab. Doch so einfach kann dieses im Selbstverlag erschienene Werk nicht abgetan werden. Denn angesichts des jahrzehntelangen Schweigens ist dieses Buch trotz allem ein mutiger Schritt, ein Versuch in Richtung einer Normalität im Umgang mit Geschichte.

Die Art und Weise, wie um die Sängerknaben 1938 gekämpft wurde, wie der langjährige Leiter Rektor Josef Schnitt, der unter widrigen Umständen und Vorurteilen der Nachkriegszeit der zwanziger Jahre (die Sozialdemokraten im Roten Wien sahen es nicht unbedingt als ihre Aufgabe an, kirchliche Lieder und deren Interpreten zu fördern) die Tradition fortgeführt hat, all das wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Kultur des Landes, auf das Unterfutter der Seele nicht weniger Österreicher.

Der ehemalige Kapellmeister der Sängerknaben, Georg Gruber, der mit den Nationalsozialisten bereits vor 1938 sympathisiert hatte, konnte Referenzen vorweisen, daß er auf seinen Konzerten stets für die "deutsche Kultur und nationalsozialistische Idee" geworben habe. Er sah im März 1938 seine Zeit gekommen. Auch Rektor Schnitt versuchte sich der Zeit anzupassen und präsentierte sich aus der Defensive heraus den Machthabern als der besserer Deutsche, sprich als der richtige Antisemit: Eines sei sicher, er habe doch nie Geschäfte mit Juden gemacht. "Niemals hat unser Institut einen jüdischen Angestellten besessen, niemals einen jüdischen Zögling, keiner unserer ständigen Lieferanten war Jude ... wir haben unseren Manager für Holland und den für Amerika, bei jüdischer Abstammung, abgebaut ..." Doch mit solchen Beteuerungen machte man in der Zeit der braunen Uniformen keinen besonderen Eindruck mehr.

Sieben Jahre später, als die Sängerknaben vor der anrückenden Front nach Hinterbichl verlagert worden waren, jene Sommerfrische, die mit dem Privatvermögen Schnitts aufgebaut worden war, meldete der Leiter der Sängerknaben vor 1938 die Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche wieder an und meinte, daß die musikalische Kultur im argen liege und die Knaben in den letzten Jahren nur Soldatenlieder gegrölt hätten. "Menschlich verständlich" nennt der Autor diese Reaktion. Natürlich haben die Sängerknaben nicht nur in Konzertsälen und Lazaretten, sondern auch vor Parteigrößen gesungen. Sängerknaben haben auch im Propagandafilm "Heimat" mitgespielt, doch immerhin standen die Knaben auch 35mal in der Zauberflöte auf der Bühne. Und wenn die Sängerknaben schon das Deutschland- und die stets unmittelbar darauf gesungene Nazi-Hymne, das Horst-Wessel-Lied, sangen, dann zumindest in den Altstimmen fugenartig durchkomponiert.

Nach dem Wechsel in der Leitung von 1938 dauerte es einige Monate, bis eine kontinuierliche Weiterarbeit möglich wurde, denn auf Dr. Gruber folgte Dr. Lorenz(i), für dessen Bestellung sich der Juliputschist Dr. Ernst Geutebrück stark gemacht hatte, bis Professor Ferdinand Großmann die Leitung bekam, der damals noch Wert auf die Feststellung legte, daß die Sängerknaben nun wieder einen "Führer" hätten. Der gute Kontakt zum Wiener Nazi-Vizebürgermeister Hanns Blaschke stellte eine Garantie für den Weiterbestand dar, sicherte aber auch kein neues Haus. Nachdem das Quartier auf dem Wilheminenberg zugunsten der "Österreichischen Legion" geräumt werden mußte, wurde als Notlösung das "Maria-Theresien- Schlößl" in der Langegasse 53 bezogen. Um die ideologische Ausrichtung zu garantieren, waren die Sängerknaben dem Hitlerjugend-Bann 501 unterstellt, "blieben aber bis auf die gleichförmige Pimpfuniform von den Aufgaben ihrer Formation (keine Zeltlager, keine Teilnahme an Geländeübungen, keine Gleichschrittmärsche) verschont."

Es ist ein Verdienst Grobauers, Material für eine differenzierte Bewertung der Sängerknaben während der Zeit des Nationalsozialismus vorzulegen, die sich eben nicht nur auf eine Schwarzweißzeichnung beschränkt. Daß die Dokumentation auch als Verteidigung der Handelnden geschrieben ist und die Protegierung der Sängerknaben durch Politiker direkt verglichen wird, ist als Wermutstropfen zu sehen und mag auch eine Folge der persönlichen Nähe des Autors zu Personen und zur Institution entspringen. "Wie früher Grossmann bei auftretenden Schwierigkeiten seinen ,lieben Hanns'", nämlich Blaschke als NS-Schutzheiligen anzurufen pflegte, trat jetzt dem Rektor Kulturstadtrat Viktor Matejka zur Seite.

Eine Liste der Sängerknaben zwischen 1938 und 1945 komplettiert das Werk und vermittelt einen Eindruck von der musikalischen Prägung. Die Palette reicht von Peter Weck bis Peter Kubelka, vom Pianisten Heinrich Hruza bis zum Dirigenten Günther Teuring, von Gerhard Track bis zu Walter Nettig. In der realistischen Bewertung der Leistungen der zwischen 1938 und 1945 Beteiligten bewiesen Männer wie Viktor Matejka bereits früh eine pragmatische Linie. Nicht allen war dies möglich, und so spielte Schnitt die Parteimitgliedschaft von Professor Grossmann "über Gebühr hoch und ignorierte dabei völlig, daß er als Rektor der Burgkapelle hätte bezeugen können, wie mutig und idealistisch Grossmann während des ,braunen Glücks' um das Daseinsrecht der Hofmusikkapelle und der geistlichen Musik ringen mußte."

Wiener Sängerknaben 1938-1945 Dem Gesang ich dien' meine Stadt heißt Wien Von Franz Joseph Grobauer Im Selbstverlag, Wien 1998 408 Seiten, geb., öS 450,-

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