Nervendämon der Welt von gestern

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Zum 150. Todestag von Johann Strauß Vater, dessen Radetzkymarsch als wichtigste PR-Arbeit in Sachen Habsburger-Mythos empfunden wurde.

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Zum 150. Todestag von Johann Strauß Vater, dessen Radetzkymarsch als wichtigste PR-Arbeit in Sachen Habsburger-Mythos empfunden wurde.

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Er galt als "Walzertyrann", der seine Welt nicht gewonnen, sondern erobert hat: ein "Mohrenschädl" mit hartkantiger Stirn und glühenden Augen, ein herrischer Stratege seines Orchesters, ein Diktator seiner Kunst. Nicht von ungefähr hatte Richard Wagner ihn als "Nervendämon" empfunden, der den schwindelnden Taumel und das Dämonische in die Walzermusik gebracht hat und etwa die Sträußesäle in "Flammen setzte": Das war Johann Strauß Vater, der Revolutionär der Tanzmusik, der die Tanzenden "zu Paaren zu treiben verstand".

Ein moderner Musiker, der das blutige Finale der Freiheitsbestrebungen 1848 erlebt und das Biedermeier mit zu Grabe getragen hat, der aber mit allen Fasern seines Lebens am Althergebrachten, am altösterreichischen Kaiserstaat, an der k. k. Ordnung und am siegreichen Militär hing. Er hat seinem "österreichischen Jahrhundert" mit dem Radetzky-Marsch das bedeutendste musikalische Denkmal gesetzt. Ein Denkmal, das so dominierend war, daß es lange Zeit als wichtigstes, populärstes Vermächtnis an diese "Welt von gestern" empfunden wurde, oder modern ausgedrückt: als wichtigste Public-relations-Arbeit in Sachen Habsburger-Mythos, mit der sich alle Schichten der Bevölkerung identifizieren konnten.

Am 25. September gedenkt die Musikwelt des 150. Todestages Johann Strauß Vaters. Ein Termin, der vom 100. Todesjahr seines Sohnes, des 1825 geborenen, 1899 gestorbenen Walzerkönigs Johann Strauß, fast überlagert wird. Aber das war das Schicksal Strauß Vaters schon zu Lebzeiten. Einerseits mußte er die Konkurrenz seines Partners Josef Lanner, des "Mozart der Tanzmusik", gründlich erfahren - Lanner wurde ihm 1829 als Hofballmusikdirektor vorgezogen -; andererseits erlebte er teils mit Bitternis, teils mit Stolz die Konkurrenz seines eigenen Sohnes - wie der "Mistbub" gegen den Wunsch des Vaters Walzer komponieren wollte, obwohl "er davon keinen Dunst hat".

Am 15. Oktober 1844 errang der Sohn beim Dommayer in Hietzing einen vollständigen musikalischen Sieg über den Vater. Und dieser hat es zwar nicht mehr erlebt, aber doch geahnt, daß die eigene Tanzmusik neben den visionären Geniewalzern des Sohnes verblassen sollte. Johann Strauß Vater wurde plötzlich nur noch als Ahnherr jener Wiener Soldatentänze und -märsche mißverstanden, die den Ruhm der altösterreichischen Militärmusik begründeten und selbst bei Komponisten wie Rossini oder Otto Nicolai Begeisterung auslösten.

Vater Strauß kam väterlicherseits aus dem Wirtshaus "Zum guten Hirten" in der Leopoldstadt, einem Bierbeisel der Bratlgeiger aus Linz und Wien. Ihre Musik verzauberte den Jungen. Als er die Lehre bei einem Buchbinder antreten sollte, lief er davon. Seine ersten Erfahrungen sammelte er im Etablissement Sperl. Mit vierzehn lernte er Josef Lanner kennen: Eine Künstlerfreundschaft begann, die nur vorübergehend gestört wurde, als Johann auf eigenen Füßen stehen wollte.

Lanner schrieb einen "Trennungswalzer" und man versöhnte sich. In Hinkunft gab es aber eine eigene Lanner- und eine Strauß-Kapelle. Die Wiener lernten so den Walzer auf zweierlei Arten kennen, schreibt Alexander Witeschnik, der Biograph der Wiener Musik: "schwärmerisch oder feurig, sentimental oder sinnlich, lannerisch oder straußisch ..." Als Walzerdioskuren eroberten sie Wien, als Walzerdioskuren setzte man ihnen auch ein Denkmal im Rathauspark.

Lanner war der Vorstadt verhaftet; auch seinen Kompositionen, die in ihrer "blauaugeten" Treuherzigkeit dem Volkslied verbunden blieben, fehlte der Zug ins Weltmännische. Anders Strauß Vater: Er hat zuerst die Wiener und dann Europa unter seine musikalische Diktatur gezwungen - mit dem Doppelgriffspiel seiner schluchzenden Geige und mit seinen Einfällen. Und er eroberte - von Unternehmergeist und Rastlosigkeit getrieben - die halbe Welt. Berlin, Amsterdam und Brüssel jubeln ihm zu. In Paris begeistert er den Bürgerkönig Louis Philippe; der damals berühmte Komponist Auber wirft ihm Veilchen zu; Hector Berlioz nennt Strauß ein "Ereignis"; die sechzehnjährige Queen Victoria ist von seiner Musik bezaubert. "Strauß ist der populärste Musiker der Erde, schreibt 1849, knapp vor seinem Tod, ein Zeitgenosse. "Seine Walzer entzücken die Amerikaner, sie klingen über die Chinesische Mauer, sie tönen im afrikanischen Biwak ..."

Lanner, damals Kapellmeister des Zweiten Bürgergarderegiments, war sechs Jahre vor Strauß gestorben. 1849 folgte ihm Strauß. Er wurde an der Seite seines Freundes mit barocker Pracht und Festlichkeit bestattet. Doch da war der alles überstrahlende Komet Johann Strauß Sohn bereits aufgestiegen. Er galt nun als der wahre Verwalter, Erbe und Vollender der väterlichen Musik. Es bedurfte jahrezehntelanger Auseinandersetzung mit Strauß Vater, bis Originalität und Schönheit seiner Walzer, Märsche, Quadrillen, Polkas und Potpourris wieder voll anerkannt wurden.

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