Nestroy unter den Kannibalen

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"Krähwinkelfreiheit": eine der entbehrlichsten Produktionen der zu Ende gehenden Saison.

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"Krähwinkelfreiheit": eine der entbehrlichsten Produktionen der zu Ende gehenden Saison.

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Der Titel lautet "Krähwinkelfreiheit", der Untertitel "Karambolage nach Nestroy". Genauso könnte die neueste Produktion des Wiener Burgtheaters "Kas von Castorf" oder "Albanische Albernheiten" heißen. Mit Nestroy hat das Stück weniger zu tun als St. Pauli mit dem heiligen Paulus. Legte sich Nestroy mit dem Zeitgeist an, so badet dieser Abend (in einer Szene in Badekleidung im wahrsten Sinn des Wortes) in permanenter zeitgeistiger Effekthascherei.

Ein gewisser Thomas Martin hat drei Nestroy-Stücke (das Revolutionsdrama "Freiheit in Krähwinkel", das Volksstück "Der alte Mann mit der jungen Frau" und die Kannibalen-Burleske "Häuptling Abendwind") kannibalisch zerfleddert und mit viel eigenem Senf eine zweifelhafte "Uraufführung" herausgebracht. Der berühmt-berüchtigte Frank Castorf legte beim Inszenieren noch einige Schäuferln nach, um das Chaos perfekt zu machen und setzt dafür alle möglichen Mittel ein: eine Babypuppe quängelt, unerträgliche Disco-Musik sprengt einem fast das Trommelfell, Maschinengewehre rattern, Plastiksessel oder Steinbrocken fliegen durch die Luft et cetera.

Den spärlichen, noch am besten ankommenden, Nestroy-Resten werden Texte hinzugesellt, die Fremdkörper bleiben oder sogar für das mutmaßliche Anliegen kontraproduktiv sind. Der Einbau einer Passage aus einer Jörg-Haider-Rede zeigt, daß sich der FPÖ-Obmann auf Peymanns Haus verlassen kann: Wenn es ihm politisch schlecht geht, wertet ihn das Burgtheater umgehend wieder auf.

Von den Mitwirkenden ziehen sich Branko Samarovski, gefolgt von Nicholas Ofczarek, und mit Abstand auch Hanno Pöschl und Sam Brisbe am besten aus der Affäre. Bert Neumanns Bühnengestaltung gelingt, wenn auch etwas plakativ, das Kunststück, die richtige Stimmung für die Teile eines nicht vorhandenen Ganzen zu schaffen.

Denn Castorf reißt so viele Probleme an und verbindet sie zugleich mit so viel "action", pubertärem Klamauk und Slapstick, daß jeder tiefere Sinn verloren geht, der Abend bald harmloser als jeder Biedermeier-Nestroy wirkt. Wahrscheinlich genügt es Regisseuren wie Castorf, wenn eine Inszenierung viel im Gerede ist, weil ihnen die Form wichtiger ist als der Inhalt. Als eine Aussage dieses Abends läßt sich herausschälen, daß Revolutionen keine bleibenden Erfolge haben. Auch die Revolution gegen Nestroy wird folglich scheitern. Vom großen Johann Nepomuk wird man noch reden, wenn Frank Castorf und Thomas Martin längst vergessen sind.

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