Neue Dimension der Land Art

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Hundert Eisenmänner zieren derzeit die Vorarlberger Alpen. Der britische Künstler Antony Gormley will damit die Rolle des Menschen auf diesem Planeten hinterfragen und sich mit dem Individuum als sozialem und gesellschaftlichem Wesen künstlerisch auseinandersetzen.

Lech am Arlberg, für viele ohnehin schon Hochgebirge. Dann geht es aber noch weiter hinauf, mit der Bergbahn, und zu guter Letzt noch eine Wanderung zur Kriegeralpe, um überhaupt einmal an den Rand des Kulturgenusses zu kommen. Festes Schuhwerk ist unabdingbar. Da kommen so manche stadtgeeichte Kulturfreaks ins Schleudern und Schwitzen.

In den luftigen Höhen des Arlbergs und des Bregenzer Waldes hat der britische Künstler Antony Gormley hundert Eisenmänner, jeder 640 Kilo schwer, über ein Gebiet von 150 Quadratkilometern verteilt und wirft damit die Frage auf, wie die Pläne der Menschheit und die Evolution des Lebens auf diesem Planeten zusammenpassen, thematisiert aber auch den kulturellen, natürlichen und historischen Hintergrund einer Landschaft.

Einzeln wie auch in Gruppen faszinieren die lebensgroßen Abgüsse eines menschlichen Körpers mitten in der Gebirgslandschaft. Sie stehen auf grünen Almwiesen, an Abhängen oder in flachen Mulden und blicken quasi in weite Fernen.

Gormley arbeitet bereits seit den 1980er-Jahren mit Blei- und Eisenfiguren nach Abgüssen seines eigenen Körpers und hat damit die generelle Basis für sein Werk geschaffen – ein Werk, das er radikal weiter entwickelt und ständig in einen neuen, universellen Kontext stellt.

Es ist weit mehr als nur die bloße Suche eines Künstlers nach immer neuen Kapiteln formal-ästhetischer Erforschungen: Gormley beschäftigt sich mit dem Menschen als Individuum, als sozialem und gesellschaftlichem Wesen, er hinterfragt die Rolle des Menschen auf unserem Planeten, und nachdem einer der Hauptbestandteile des Erdkerns Eisen ist, ist es dem Künstler wichtig, dass seine Figuren ebenfalls aus Eisen sind.

2003 bevölkerten 51 Figuren Westaustralien, 2007 gab es „Event Horizon“ mit Fiberglas- und Gusseisenfiguren in New York, und 2009 wurde mit „One & Other“ ein Projekt in London realisiert. Aber „Horizon Field“ ist das erste Kunstprojekt dieser Art im Gebirge und wird im Laufe der zwei Jahre, die das Projekt bestehen wird, sehr unterschiedlichen Naturgewalten ausgesetzt sein.

Gormleys zentrale Frage dabei ist: „Welche Rolle spielt das Projekt Menschheit in der Evolution des Lebens auf diesem Planeten?“ – und er erzeugt durch seine Figuren, durch sein vervielfältigtes Ich, ein Feld, innerhalb dessen „Menschen mit aktivem Verstand aufgefordert sind, Raum und Distanz innerhalb dieses Feldes statischer Eisenfiguren zu messen“. Skifahrer und Wanderer werden so zu einem Teil des Projektes und „die Installation würdigt so die tiefe Verbundenheit zwischen dem sozialen und geologischen Raum, zwischen Landschaft und Erinnerung“, sagt Gormley.

Die einzelnen Figuren haben ganz unterschiedliche Abstände zueinander, manche stehen relativ eng beisammen, zwischen anderen wiederum liegen Kilometer. Was außerdem noch fasziniert und der Installation eine gewisse Distanziertheit gibt, ist die Tatsache, dass sich die einzelnen Skulpturen nie anblicken, nicht einmal auf größere Distanzen hinweg. Einige der Eisenmänner kann man nicht einmal direkt erreichen, man sieht sie bloß von einem entfernten Punkt einsam in der Landschaft stehen. Das Wandern bekommt somit einen ganz neuen Aspekt, mobilisiert die Wahrnehmung und die Fantasie. Sobald man in Beziehung zur ersten Figur getreten ist, entwickelt man eine Art Sucht und will alle anderen „Kollegen“ auch erwandern.

Wenn man im strahlenden Sonnenschein so neben einem komplett reduzierten, angerosteten Eisenmann steht und versucht, seinem Blick zu folgen, in das Grün der weiten Wiesen oder zu den entfernten Berggipfeln, dann beginnt man in des Künstlers Gedankenwelt einzutauchen, macht mit dem Blick in die Ferne eine Reise nach Innen; Raum und Distanz werden zu changierenden Faktoren und entwickeln die Spannung der Installation. Nebenbei fasziniert auch die banale Haptik jeder einzelnen Figur.

Gormley entwickelt mit seinen Figuren eine ganz neue Dimension der Land Art, stellt sie in einen Kontext, in dem zwar der Künstler die Basisregeln vorgibt, letztlich aber die Betrachter sehr vielschichtige Seh-, Denk- und Beziehungsebenen eröffnen können.

Antony Gormley: Horizon Field

Eine Landschaftsinstallation im alpinen Hochgebirge Vorarlbergs

presented by Kunsthaus Bregenz, bis April 2012

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