Neue Formen für eine neue Gesellschaft

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Das Bauhaus - die Architekturbewegung, die Walter Gropius 1923 begründete, ist auch 90 Jahre nach ihrem Entstehen noch modern. Eine Werkschau in Weimar und Dessau.

Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutete nicht nur in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht eine historische Zäsur. Auch die Künste befreiten sich zu dieser Zeit endgültig von der Schwere des 19. Jahrhunderts. Selbst durch die Goethe-Stadt Weimar wehte der Geist der Reform. 1919 vereinigte der damals 36-jährige Architekt Walter Gropius zwei Kunsthochschulen zum "Staatlichen Bauhaus“ - einer Ausbildungsstätte völlig neuen Typs, die Kunst und Handwerk miteinander verbinden sowie eine humanere und sozial gerechtere Gesellschaft mitgestalten sollte. Dazu berief er Künstler aller Disziplinen und unterschiedlichster Nationalitäten ans Bauhaus, wo der Unterricht in sogenannten Werkstätten stattfand: Tischlerei, Holz- und Steinbildhauerei, Wandmalerei, Glas- und Metallwerkstatt, Töpferei und Weberei brachten in nur wenigen Jahren eine Fülle moderner Designs - insbesondere für Alltagsgegenstände - hervor, das zum Teil bis heute formgebend ist.

Vor 90 Jahren, 1923, präsentierte sich das Weimarer Bauhaus der Weltöffentlichkeit erstmals mit seiner Ausstellung "Kunst und Technik - eine neue Einheit“. Im Jahr darauf war die kurze Ära der Moderne in der Stadt der Deutschen Klassik jedoch schon wieder zu Ende. Die aufstrebenden rechtsnationalen Parteien im Thüringer Landtag erzwangen die Schließung der progressiven Kunstschule. So zogen die Bauhäusler 1925 nach Dessau, wo der sozialdemokratische Bürgermeister der Gruppe um Walter Gropius Bauland und Kapital für ein neues Schulgebäude angeboten sowie öffentliche Aufträge in Aussicht gestellt hatte. Zudem boten sich die Betriebe der aufstrebenden Industriestadt im heutigen Sachsen-Anhalt als Partner an, um das ehrgeizige Ziel des Bauhauses umzusetzen: die künstlerische Durchdringung des Alltags mit Produkten aus Industriestoffen und rationeller Serienerzeugung.

Neues Bauhaus Dessau

Bereits 1926 konnte das neue Bauhaus-Gebäude eingeweiht werden. 2.000 Gäste aus aller Welt kamen und staunten über den kompromisslos modernen und funktionalen Bau, errichtet nach Plänen von Walter Gropius. Die großen Glasflächen, teils über mehrere Etagen gezogen, und seine weißen Mauern lassen den vielgliedrigen Hochschulkomplex trotz seiner beachtlichen Kubatur beinahe schwebend erscheinen. Das Gebäude umfasste einen Werkstättentrakt, die Technische Lehranstalt, einen vierstöckigen Wohnturm mit Atelierwohnungen für Studierende, Mensa, Aula und Bühne sowie eine zweigeschoßige Brücke, die der Bauhaus-Verwaltung und zunächst auch dem Architekturbüro von Walter Gropius Platz gab.

Im Inneren des Gebäudes, das von 1996 bis 2006 mit großem Aufwand restauriert wurde, beeindruckten funktionale, technische Details wie etwa ausgeklügelte Fensteröffnungsmechanismen, neuartige Beleuchtungskörper oder die berühmte Stahlrohrmöblierung von Marcel Breuer. Ebenso faszinierten die - dem Klischee einer "weißen Moderne“ widersprechende - Farbvielfalt nach Entwürfen der Werkstatt für Wandmalerei sowie die Vielzahl unterschiedlicher Raumfolgen und Blickbeziehungen. Noch heute gilt das Bauhaus-Gebäude als das bauliche Manifest der Moderne - damals bildete es den Auftakt zu einer Reihe innovativer Entwürfe.

So schuf Walter Gropius im Auftrag der Stadt zwischen 1926 und 1928 insgesamt 314 ein- und zweigeschoßige Reihenhäuser im Stadtteil Dessau-Süd. Ziel der großangelegten Versuchssiedlung Törten war die Senkung der Baukosten durch neue Bauorganisation und Bautechnik, um das Wohnungsproblem der unteren Einkommensschichten zu lösen und auch weniger Begüterten der Erwerb eines Eigenheims zu ermöglichen. Normierung, Typisierung und Vorfertigung der Bauteile sowie serielle Montage durch Kräne machten die Siedlung Törten zum Prototyp des industrialisierten Wohnungsbaus. Ihr ursprüngliches Erscheinungsbild lässt sich heute allerdings nur noch erahnen. Schon wenige Jahre nach Bezug begannen die Bewohner mit dem Umbau der Häuser: teils, weil die Versuchsbauten Mängel wie etwa unzureichende Wärmedämmung aufwiesen; teils aber auch, weil viele die moderne Architektur als unpraktisch empfanden. Dabei betonen die Bewohner, dass die Siedlung, die viel zu spät - nämlich erst 1995 - unter Schutz gestellt wurde, auch über 80 Jahre nach ihrer Errichtung eine enorm hohe Wohnqualität bietet.

Reaktion auf Massenarbeitslosigkeit

Binnen weniger Jahre war in Dessau ein buntes Spektrum unterschiedlichster Bauten entstanden: etwa die Laubenganghäuser, fünf mit geringsten Baukosten errichtete mehrgeschoßige Wohnzeilen nach Entwürfen von Hannes Meyer; oder das streng funktionale Dessauer Arbeitsamt von Walter Gropius - ein damals neuer Bautypus als Reaktion auf die einsetzende Massenarbeitslosigkeit. Mit ihrem Stahlhaus, einem Experimentalbau aus den Jahr 1927, erprobten Georg Muche und Richard Paulick gar, inwieweit Stahl als Baustoff zur industriellen Produktion von Wohnbauten geeignet ist. Und das Kornhaus, eine Ausflugsgaststätte von Carl Fieger direkt am Ufer der Elbe, beweist durch seine gekonnte Einbettung in die Flusslandschaft, dass moderne Architektur auch ein Bauen in der Natur und mit der Natur sein kann.

Zeitgleich mit dem Bauhaus-Gebäude hatte Walter Gropius eine kleine Siedlung mit einem Einzelhaus für den Direktor und drei Doppelhäusern für die wichtigsten Meister des Bauhauses entworfen. Die ersten Bewohner waren - neben Gropius selbst - Laszlo Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Georg Muche und Oskar Schlemmer sowie Wassily Kandinsky und Paul Klee. Die sogenannten Meisterhäuser waren sehr großzügig angelegt und jahrzehntelang ein Modell für modernes Wohnen.

Trotz der international gefeierten Bauten sowie der hohen Reputation der künstlerischen Ausbildung am Bauhaus trat Walter Gropius - kaum zwei Jahre nach der Übersiedlung aus Weimar - von seinem Amt als Direktor zurück. Schon bald hatte auch in Dessau politischer Druck eingesetzt, was ihn ebenso zermürbte, wie interne Auseinandersetzungen mit manchen Meistern um die künftige Richtung des Bauhauses. Mit Gropius verließen auch Laszlo Moholy-Nagy und Marcel Breuer das Bauhaus.

Entpolitisierung durch van der Rohe

Neuer Direktor wurde der Schweizer Hannes Meyer, dessen Devise "Volksbedarf statt Luxusbedarf“ für das Bauhaus nicht nur einen programmatischen Wandel, nämlich die ausschließliche Hinwendung zu Entwürfen für die kostengünstige Massenproduktion, sondern auch eine eindeutige gesellschaftspolitische Positionierung bedeutete. Bald als Kommunist verrufen, wurde Meyer bereits 1930 durch die Stadt wieder entlassen und von Ludwig Mies van der Rohe abgelöst. Dieser strukturierte das Bauhaus zu einer völlig unpolitischen, ganz auf die Architektur bezogenen Ausbildungsstätte um, um so den Weiterbestand der Kunstschule zu sichern. Dennoch beschloss die neue nationalsozialistische Mehrheit im Dessauer Stadtrat 1932 die Schließung des Bauhauses. Kurze Zeit noch führte Mies es als Privatinstitut in Berlin weiter. Doch nach einer Durchsuchung durch die Gestapo löste das Lehrerkollegium das Bauhaus am 20. Juli 1933 auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Missachtung der progressiven Bauhaus-Architektur durch das DDR-Regime fort. Erst in den 1970er Jahren rang man sich zu einer notdürftigen Sanierung des arg zerstörten und verwahrlosten Bauhaus-Gebäudes durch. Doch sollten insgesamt knapp 60 Jahre vergehen, bis mit der Wende und Wiedervereinigung Deutschlands die Wertschätzung für die klassische Moderne an die historischen Bauhaus-Stätten zurückkehrte. 1996 erklärte die UNESCO das heute renovierte Dessauer Bauhaus-Gebäude, die wiederhergestellten Meisterhäuser sowie die Hinterlassenschaften des Weimarer Bauhauses zum Weltkulturerbe. Und in beiden Städten wurde inzwischen auch der Architektur-Unterricht wieder aufgenommen.

* Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung

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