Neue Landkarte der Leistungssteigerung

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Forscher fahnden nach Genen, die sportlichen Erfolg begünstigen. Mit dem biotechnologischen Fortschritt wächst die Gefahr von Gendoping.

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Forscher fahnden nach Genen, die sportlichen Erfolg begünstigen. Mit dem biotechnologischen Fortschritt wächst die Gefahr von Gendoping.

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In der Türkei läuft derzeit ein ambitioniertes Projekt: Eine Landkarte des Erbguts von 10.000 erfolgreichen Sportlern soll dem genetischen Bauplan auf die Spur kommen, der für körperliche Höchstleistungen verantwortlich ist. Diese Karte soll etwa darüber Aufschluss geben, welche Trainingsmethoden besonders vielversprechend sind. Da ist zum Beispiel der türkische Fußballstar Emre - klein, wendig, ein großer Dribbelkünstler. Seine Gendaten könnten dabei helfen, um Kindern mit ähnlichen Aspirationen ein maßgeschneidertes Training anzubieten, glaubt Korkut Ulucan, Professor an der Marmara Universität in Istanbul. Experten schätzen, dass 50 Prozent der individuellen Unterschiede bezüglich Talent oder Ansprechen auf das Training genetisch erklärt werden können. Die Liste der "Sportgene", die mit außerordentlichen Leistungen verbunden werden, wird immer länger. Das von Ulucan mitinitiierte "Nationale Sport-Genom-Projekt" will hier einen Beitrag leisten - und Erfolge auf neuen Wegen, aber ohne Doping ermöglichen.

Doch die Möglichkeiten der "Genomchirurgie", wo Gene mittels Genschere CRISPR/Cas9 nun relativ einfach verändert, aus- oder dazugeschaltet werden können, sorgen mittlerweile auch in der Welt des Leistungssports für Unruhe. Gibt es womöglich schon Spitzensportler, die eine neue Form des Dopings betreiben, indem sie ihre genetische Ausstattung manipulieren? Der Berliner Mediziner Norman Schöffel, Autor von "Schwarzbuch Doping" (MWV, 2014), geht davon aus, dass gentechnische Methoden bereits Einzug im Sport gehalten haben. "Immer wieder gibt es Gerüchte", berichtet auch David Müller von der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) in Wien.

Sauerstoff, Blut und Muskeln

Es ist bekannt, dass sich manche Sportler und Trainer wegen genetischer Methoden zur Leistungssteigerung wiederholt an Forscher gewendet haben. Müller verweist auf den Skandal um den deutschen Leichtathletik-Coach Thomas Springstein, der sich bereits vor mehr als zehn Jahren bei einem spanischen Arzt nach einem einschlägigen Präparat erkundigt hatte. Im Jahr 2004 ist Gendoping in die Verbotsliste der Welt- Antidoping-Agentur (WADA) aufgenommen worden. Die WADA versteht darunter den nicht-therapeutischen Gebrauch von Zellen, Genen und Gen-Elementen sowie die Beeinflussung der Bildung von Genprodukten.

Beim konventionellen Doping werden etwa Epo-Präparate dazu missbraucht, die Ausdauer zu steigern. Auch Radprofi Lance Armstrong hat darauf zurückgegriffen. Das Hormon Erythropoetin (Epo) führt zur Bildung von roten Blutkörperchen, wodurch die Sauerstoffversorgung der Muskeln verbessert wird. Auch eine zufällige Mutation im Epo-Gen kann dazu führen, dass vermehrt rote Blutkörperchen gebildet werden. Eine solche natürliche Genveränderung wurde etwa beim erfolgreichen finnischen Skilangläufer Eero Mäntyranta (1937-2013) entdeckt. Beim Gendoping könnte nun die Ausstattung mit künstlichen Epo-Genen dafür sorgen, die körpereigene Produktion von Erythropoetin massiv anzukurbeln. Bei Experimenten mit Affen war zu beobachten, dass sich damit die Zahl der roten Blutkörperchen binnen zehn Wochen sogar verdoppeln lässt.

Ein weiterer Ansatzpunkt für das Gendoping wäre etwa das Protein Myostatin, das im gesunden Organismus das Muskelwachstum bremst. Es gibt Medikamente, die seine Wirkung blockieren und somit den Muskelaufbau begünstigen. Aus Tierversuchen weiß man, dass dieser Effekt auch durch einen gentechnischen Eingriff entstehen kann, wenn ein Virus mit entsprechendem Bauplan in den Körper eingeschleust wird. Da die Genschere in der Regel keine Spuren hinterlässt, kann oft nicht nachvollzogen werden, ob es sich um eine spontane Mutation oder um einen gezielten technischen Eingriff handelt. Der direkte Nachweis von Gendoping ist bislang schwierig. Wie also sollen gendopende Sportler überführt werden?

Doping-Nachweis als Indizienprozess

"In der Anti-Doping-Arbeit erleben wir seit einigen Jahren eine große Wende", sagt David Müller. "Sie ähnelt heute oft einem Indizienprozess." Man bemüht sich um einen "biologischen Athletenpass" mit klinischen Messungen und Laborbefunden. "Im Fall illegaler Methoden ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich medizinische Befunde im zeitlichen Verlauf auffällig verändern", so der Leiter für Information und Prävention bei der NADA. Gendopende Sportler müssten eigentlich ohnehin ihr Leben lang unter Stress stehen - denn es ist zu erwarten, dass neue diagnostische Entwicklungen die Nachweisbarkeit künftig stark verbessern werden.

Die gesundheitlichen Risiken des Gendopings sind bislang schwer überschaubar. Experten befürchten, dass genetische Veränderungen auch dort auftreten, wo sie gar nicht beabsichtigt sind, und zu unerwarteten Nebenwirkungen führen. Die modifizierten Viren könnten zu den Symptomen einer Virusinfektion führen. Oder es werden Reaktionen mit schädlichen Folgen ausgelöst: Im Epo-Tierversuch musste das Blut der Affen verdünnt werden, da aufgrund der starken Zunahme der roten Blutkörperchen ein Herzinfarkt oder Schlaganfall zu befürchten war. Genmanipulierte Mäuse, die ständig zuviel Epo produzieren, leiden an Leber-und Nierenschäden und versterben vorzeitig. Das dauerhafte Einschalten bestimmter Gene könnte somit schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.

Erfahrungen aus der DDR

Doch es finden sich auch Pro-Argumente. Langfristig sei das Gendoping ohnehin nicht zu verhindern, meint Wissenschaftsautor Michael Le Page, der für eine Freigabe plädiert: Bestimmte Formen des Gendopings unter ärztlicher Überwachung zu erlauben, würde das Risiko der Athleten mitunter auch reduzieren. So könnte eine Genbehandlung durchaus zu gesünderen Muskeln beitragen. Und der Sport könnte sogar fairer gemacht werden, denn heute haben manche Sportler eben von Geburt an einen genetischen Vorteil "eingebaut". Aber nur ein genetischer Unterschied führe bislang zum Wettkampf in separaten Kategorien - jener zwischen Mann und Frau. Wenn bei manchen Athleten durch Gendoping tatsächlich übermenschliche Fähigkeiten entstehen, sollte ebenso eine eigene Kategorie geschaffen werden, argumentiert Le Page.

"Das wäre ja so, wie wenn man Diebstahl erlauben würde, nur weil er nicht zu verhindern ist", entgegnet David Müller von der NADA. "Schon herkömmliches Doping ist stark gesundheitsgefährdend; umso mehr gilt das für Veränderungen am Erbgut. In der DDR wurden Kinder und Jugendliche unter ärztlicher Aufsicht systematisch gedopt. Heute wissen wir über gravierende Langzeitfolgen, von Skelettschäden, Herzund Krebserkrankungen, bis hin zu Fehlgeburten noch in der nächsten Generation. Selbst wenn ein Arzt dabei ist, kann das Risiko nicht minimiert werden."

Zudem stellt sich die Frage, ob mit einer Freigabe von Gendoping nicht generell eine Büchse der Pandora geöffnet werden würde. Denn das Bedürfnis nach Leistungssteigerung im Wettbewerb gibt es bekanntlich nicht nur im Spitzensport.

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