Neue Versprechen auf ZukuNft

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Christliche Tradition, Gegenwart, Zukunft und Kunst: Die ausstellungen zum Grazer Diözesanjubiläum sind nicht im Jubelmodus. sie stellen Fragen.

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Christliche Tradition, Gegenwart, Zukunft und Kunst: Die ausstellungen zum Grazer Diözesanjubiläum sind nicht im Jubelmodus. sie stellen Fragen.

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Gut geschützt hinter Glas liegen im Grazer Priesterseminar in einer Schatulle aus Goldblech zwei getrocknete Frauenfinger, darunter ein Blatt, das Auskunft gibt über ihre Besitzerinnen. Ein skandalträchtiges Werk zeitgenössischer Kunst zum steirischen Diözesanjubiläum? Aber nein. Die Finger befanden sich an der Hand Maria Annas von Bayern, Gemahlin von Erzherzog Karl II. von Innerösterreich-Steiermark. Nach ihrem Tod 1608 gingen sie ans Grazer Klarissinnenkloster, denn die Nonnen hatten sich ein Körperteil als Memento gewünscht -kein ungewöhnlicher Wunsch damals. Die Klarissinnen waren 1602 auf Betreiben der Erzherzogin, einer vehementen Vertreterin der Gegenreformation, in die ehemalige evangelische Stiftsschule eingezogen, in der Johannes Kepler bis zur Schließung durch die Gegenreformation unterrichtet hatte. Bücher der Protestanten hatte man zwei Jahre davor verbrannt.

Stichwort Gegenreformation

Gegenreformation: ein unvermeidliches Stichwort für "800 Jahre Diözese Graz- Seckau", unangenehm und ökumenisch ein schwieriges Thema nach dem Lutherjahr 2017. Immerhin war das Land im 16. Jahrhundert fast völlig protestantisch, und doch verweigerte Erzherzog Karl II. die Unterschrift unter die Brucker Erklärung, in der die Landstände ihm Unterstützung zusagten für das Privileg, protestantisch bleiben zu können. Wer bleiben wollte, musste zwangskonvertieren. Zum Großphänomen Religion gehört die Verquickung von Macht und Religion. So hält in der Ausstellung "Last & Inspiration" der steirische Panther eine goldene Monstranz aus dem 17. Jahrhundert, über der sich wie ein Dach der steirische Herzogshut befindet.

Doch das ist nur die eine Schwierigkeit mit dem Diözesanjubiläum. Die andere betrifft die Gegenwart, und geht über den Anlass des Jubiläums hinaus: Wie lassen sich Fragen und Themen der säkularen zeitgenössischen Gesellschaft mit der christlichen Tradition und Kunst in Beziehung setzen?

Antworten finden sich zehn Gehminuten vom Priesterseminar entfernt, im Kunsthaus. Hier trifft die Besucherin der Ausstellung "Glaube Liebe Hoffnung" etwa auf eine Art Knochengebilde, an dem noch Sehnen und Muskelfasern zu kleben scheinen. Das Ganze steht unter einem Glassturz wie ein naturwissenschaftliches Präparat. Ein ambivalentes, fast unheimliches Gebilde, diese Arbeit der Belgierin Berlinde De Bruyckere, die man als modernes memento mori lesen könnte -oder genauer als Hinweis auf Inkarnation, die Fleischwerdung Gottes, die Verletzlichkeit und Sterblichkeit miteinschließt. Diese Thematik findet sich vielfach in der Ausstellung - etwa in dem berührenden Video "The Art of Loving" von Artur Z mijewski. Die Frage nach Gott findet sich auch in der abstrakten Bild-und-Klang-Installation des in Frankreich lebenden algerischen Künstlers Abel Abdelsemed "God is Design" - ein Titel, den man besser versteht, wenn man um das Bilderverbot in der jüdischen und islamischen Tradition weiß. Zudem sind Abstraktion und Körperlichkeit ein Gegensatz, der für das Gottesbild der "Abrahamsreligionen", also der jüdischchristlich-islamischen Tradition, konstitutiv ist.

Überhaupt muss man viele Zeichen und Symbole in der Ausstellung erst wieder lesen lernen: etwa das Bild der Schutzmantelmadonna. Wer im Mittelalter "jemanden unter den Mantel nahm", gab diesem Menschen legalen Schutz. Wer nimmt heute Schutzbedürftige unter den Mantel? Iris Andraschek legt der Schutzmantelmadonna eine Zeichnung zu Füßen, die aus Gesprächen mit Frauen in der Notschlafstelle der Caritas entstand. In hingestrichelten Sätzen und Bildern findet sich unter anderem der Bericht einer jungen Afghanin vom schlimmsten Moment ihrer Flucht: als sie an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien im Wald 15 Männern gegenüberstand. Es ist der Bericht einer Überlebenden, passend zum Titel der Ausstellung. "Glaube Liebe Hoffnung" - es ist ein Versprechen auf Zukunft, dieses Paulus-Zitat.

Doch die alten Bilder dafür funktionieren nicht mehr bruchlos. Die "Smartphonemadonna" im Gemälde von Anna Mayer -zu sehen im Kulturzentrum bei den Minoriten, einem weiteren Ausstellungort - hält ein Tablet in der Hand. Die "Fumaria" von Kris Martin -im Kunsthaus -ist eine kopflose kleine Porzellanmadonna mit Pfeifenkopf. Hannes Priesch zeigt Fahnenartiges zu Sünde und Opferzwang. Klassische Arbeiten wie die von Ulrike Rosenbach "Glauben Sie nicht, das ich eine Amazone bin" hinterfragen das traditionelle christliche Frauenbild. Rosenbach ersetzt das Gesicht der Stefan-Lochner-Madonna mit ihrem und schießt Pfeile darauf ab. Valie Export wechselt das paradiesische Bild Boticellis "Maria mit Granatapfel" in die harte Währung des Hausfrauendaseins um: statt dem göttlichen Kind, in dessen Hand sich ein Granatapfel befindet, hält Valie Export einen Staubsauger.

Erstaunlich aktuellen Stellenwert haben Wunder, Berührung und Übertragung. In dem Film von Harun Farocki treffen aufeinander die Reliquienfrömmigkeit des Mittelalters und die Heutigen auf der Suche nach Berührung des Besonderen, Sakralen. Da stehen sie in München in der Fußspur des Teufels oder berühren in St. Peter in Rom die Zehe des heiligen Petrus. Im Priesterseminar wiederum ist neben zahlreichen Gewändern der Mariazeller Madonna auch ein ganz zeitgenössisches zu sehen, ein von einer steirischen Schulklasse in Dankbarkeit gefertigtes Kleid.

Kontakt mit dem Heiligen

Der Kontakt mit dem Heiligen ist ein tiefes Bedürfnis von Menschen. Die Mirakelbücher belegen die ökonomische Seite: um Wallfahrende anzuziehen, wurden die Wundergeschichten der wundertätigen Madonna medial mittels Druckverfahren verbreitet. Das Wunderbuch aus Mariazell stammt allerdings erst aus dem 19. Jahrhundert. Denn Josef II. verbot diese Bücher -doch am Wunsch nach Wundern und physischem Kontakt mit dem Heiligen hat auch der Aufklärer Josef II. nichts ändern können.

Die Kontinuität des althergebracht Römisch-Katholischen belegt berührend die Fotoserie von Inge Morath "Grenz.Räume", ihre letzte große Arbeit. In Schwarzweiß-Fotos zeigt sie das traditionelle Leben im Land ihrer Kindheit im Jahr ihres Todes 2002. Wie aus der Zeit gefallen macht ein kleines Mädchen unterm Herrgottswinkel Hausaufgaben, hängen Kreuze aus Palmzweigen an der Stalltüre, stehen Wegkreuze in der steirischen Landschaft.

Der weiße Blumenstrauß von Willem de Rooj im Entreé der Ausstellung im Kunsthaus zeigt die ökonomischen Bruchlinien der Idylle auf: die echten importierten Blumen müssen jede Woche gewechselt werden. Weiß ist nicht mehr einfach die "Farbe der Unschuld".

Die Ausstellungen zum Grazer Diözesanjubiläum -von Johannes Rauchenberger in Zusammenarbeit mit anderen kuratiert - sind nicht im Jubelmodus. Sie stellen Fragen -auch im Stift Admont, der Abtei Seckau und dem Schloss Seggau in Leibnitz. "Glauben wir an unsere Zukunft?" lautet die Überschrift des Gesamtprogramms. Eine bedeutsame Antwort gibt das Video von Artur Z mijewski "Gesangsstunde 2". In der Thomaskirche zu Leipzig singt eine Gruppe schwerhöriger Jugendlicher Bach-Kantaten mit Freude, Hingabe und Inbrust -in Glaube, Liebe und Hoffnung.

800 Jahre Diözese Graz-Seckau Last &Inspiration Priesterseminar, Diözesanmuseum, Mausoleum, QL-Galerie, Stadtpfarrkirche Graz. Bis 14. Okt. Di -Fr: 10-17 Uhr; Sa, So und Fe: 11-17 Uhr

Glaube Liebe Hoffnung Kunsthaus Graz, KULTUM -Kulturzentrum bei den Minoriten. Bis 26. Aug. Di -So, Feiertag: 10-17 Uhr www.800-jahre-graz-seckau.at

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