NEUES AUS BUCHHAIM

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WALTER MOERS, NEIN: HILDEGUNST VON MYTHENMETZ HAT EINEN WEITEREN LITERATUR-BETRIEBSROMAN GESCHRIEBEN.

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WALTER MOERS, NEIN: HILDEGUNST VON MYTHENMETZ HAT EINEN WEITEREN LITERATUR-BETRIEBSROMAN GESCHRIEBEN.

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Die Fans sind enttäuscht, nur drei Sterne bei "Amazon"! Und das, obwohl Moers seinen bisher populärsten Roman fortsetzt. Der neue war entsprechend angekündigt, auch Titel und Umschlag könnten nicht deutlicher an "Die Stadt der Träumenden Bücher" anknüpfen. Dabei ist der neue Roman vielleicht sogar Moers' bisher bester.

Gründe für die Enttäuschung gibt es vor allem zwei: Der neue Roman hat, vom Schluss abgesehen, eine weniger dramatische Handlung und er hat ein offenes Ende - ausgerechnet dort, wo die Geschichte anfängt (um den Roman selbst zu zitieren), hört sie auf. Aber es ist zu erwarten, dass die Fortsetzung alle Wünsche an Spannung und Dramatik erfüllen wird. Ob sie auch die kundigeren Leser dann so überzeugen wird, sei dahingestellt.

Moers' Werke hatten für ein gebildeteres Publikum -viele Akademiker lesen sie mit Begeisterung - schon immer zwei Vorzüge: Sie sind hochgradig intertextuell und metafiktional. Das Innovative daran ist, dass Moers mit literarischen Vorbildern und mit Selbstthematisierungen so virtuos spielt wie kaum ein anderer Autor. Zur Fiktion der meisten Romane gehört, dass Moers vorgibt, nur der Übersetzer und Illustrator der Werke des Zamonischen Großschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz zu sein. Mythenmetz ist zugleich parodistisch gezeichneter Prototyp eines arroganten Erfolgsautors und ironisch gezeichnetes Alter ego. Schon "Die Stadt der Träumenden Bücher" war nicht nur Abenteuerroman, sondern verwöhnte durch seine ebenso zahlreichen wie geistreichen Anspielungen auf den realen nicht-zamonischen Literaturbetrieb den gebildeten Leser. "Das Labyrinth der Träumenden Bücher" wird die Leselust dieser Klientel noch befördern.

Kurz zur Vorgeschichte: Mythenmetz war in Buchhaim zum Autor geworden, hatte die Stadt von ihrem Tyrannen (einem Verleger!) befreit, konnte aber nicht verhindern, dass ein Brand sie verwüstete. Und nun die Fortsetzung: Mythenmetz ist als Schriftsteller am Höhe- und zugleich Wendepunkt seiner Karriere. Weil er das "Orm" (die schriftstellerische Eingebung) verloren hat, will er sich noch einmal neu erfinden. Mythenmetz ist erneut in Buchhaim, das größer und schöner wieder aufgebaut wurde, das allerdings nach wie vor, und das kann man (wie so vieles in dem Roman) ganz buchstäblich verstehen, einige veritable Leichen im Keller hat.

Parodistische Anspielungen

Äußerst vergnüglich sind die vielen parodistischen Anspielungen auf kanonische Texte - Moers pflegt Autorennamen in witzige Anagramme zu fassen, etwa Dölerich Hirnfidler für Friedrich Hölderlin. Zwei Stellen mögen für sich selbst sprechen: "Das populärste Stück des Schrecksimistischen Puppetismus heißt 'Yogibart und Kniesemilch' und ist von einer dramatisch begabten Schreckse namens Beula Smeckett geschrieben, die in ihren Kreisen höchste Verehrung genießt. Es handelt davon, daß zwei Schrecksen unter einem kahlen Baum sitzen und nichts anderes tun, als auf eine dritte Schreckse zu warten." Auch ein anderer Großer der Weltliteratur wird durch (prinzipiell ja nicht unpassende) Verfremdung gespiegelt: "Ich schätze das Werk von Zank Frakfa wirklich sehr und bewundere seine schriftstellerischen Verdienste, die immerhin darin gipfeln, dass man heutzutage gewisse verstörende Dinge, die einfach besser nicht benennbar sind, als frakfaesk bezeichnet. Zum Beispiel eine Einkommenssteuererklärung oder das, was passiert, wenn man sie falsch ausfüllt."

Der Roman wurde ausgerechnet auf der vom e-book dominierten Frankfurter Buchmesse vorgestellt. Die Branche kann von Mythenmetz lernen, der festhält: "Was konnte an einer Stadt verkehrt sein, die dem Buch eine solche Bedeutung zumaß?" Die neue Mode des "Puppetismus" kann man als Chiffre für die elektronischen Bücher lesen.

Die Suche nach Lektoratsqualitäten könnte beim nächsten Band erfolgreicher ausfallen. Was sie inhaltlich erwarten wird, können sich die erfahrenen Moers-Leser bereits denken: eine weitere größenwahnsinnige Haifischmade und erneute Kämpfe unter Tage. Doch Moers ist immer für eine Überraschung gut und vielleicht ist der nächste Band ja auch auf so angenehme Weise enttäuschend wie dieser.

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