Neues aus der antiken Hafenmetropole Ephesus

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Neue Funde erweitern unser Bild von der ehemaligen Hauptstadt der römischen Provinz Asia in der heutigen Westtürkei - erste Siedlungsspuren finden sich bereits im 7. Jahrtausend v. Chr.

Das Jahr 2011 war ein gutes für die seit 1895 unter österreichischer Ägide stehenden Ausgrabungen in Ephesus, die jährlich bis zu zwei Millionen Besucher anziehen: ein international anerkanntes Aushängeschild für Forschung und Wissenschaft. "Kult und Herrschaft“ lautet das Arbeitsmotto der Grabungsleiterin Sabine Ladstätter, seit 2009 Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts und seit letzter Woche auch "Wissenschaftlerin des Jahres 2011“ (s. FURCHE Nr. 2, S. 8). Passend zum Forschungsthema ist nun die "Tribüne“ in der Nähe des Artemisions auf dem Gelände des alten Tempelareals als Teil eines überdachten Theaters gesichert; an diesem Odeion fanden die musischen Wettkämpfe zu Ehren der Göttin Artemis statt. Eine Sondage brachte Teile der Marmorbodenplatten zutage, die Sitzreihen unter bis zu vier Meter Schwemmsand hofft Ladstätter unzerstört nächstes Jahr freizulegen. Chinesische und spanische Gefäßscherben aus dem 14. Jahrhundert lassen die spätere Nutzung des Platzes als türkisches Herrenhaus oder als Karawanserei vermuten.

Kosmische Gottheit Artemis

"Der ummauerte Tempelbezirk war wie eine kleine Stadt“, beschreibt Ladstätter das heutige Sumpfgebiet. "Im ersten Jahrtausend vor Christus stand das Artemisheiligtum direkt an der Küste.“ Nach neuesten Erkenntnissen muss man den Beginn der Besiedlung ins siebente Jahrtausend datieren; der Artemis-Kult geht mindestens ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurück. Die griechische Artemis trägt hier Züge der altanatolischen Muttergöttin Kybele, später entwickelte sie sich zu einer kosmischen Gottheit, die über Leben und Tod herrscht.

Im Altertum zählte der Tempel zu den sieben Weltwundern, das Heiligtum - größter Landeigentümer der Region - entwickelte sich zu einem überregionalen Wirtschaftsfaktor. Die Priesterschaft verpachtete die tempeleigene Küstenfischerei, vermietete Villen und betrieb eine florierende Bank - sie vergab Darlehen gegen Zinsen. Da wundert es wenig, dass der Apostel Paulus auf seiner Missionsreise den Zorn der ansässigen Devotionalienhändler erregte. "Groß ist die Artemis der Epheser“, lautete der Slogan der Demonstranten. Der Tempel verdiente auch am Asylrecht: Bei betuchten politischen Flüchtlingen wie etwa Arsinoe IV., Schwester Königin Kleopatras VII. von Ägypten, lag das Heiligtum als Exil hoch im Kurs, gab es doch Badeanlagen, Theater und Banketthallen. Der ptolemäischen Prinzessin brachte das Tempelasyl kein Glück - Kleopatra und Mark Anton ließen sie 41 v. Chr. ermorden. Das "Oktogon“, Arsinoes Grabmal, erhob sich im Stadtzentrum von Ephesus. Die durch 3-D-Lasertechnik ermöglichte virtuelle Rekonstruktion möchte Ladstätter ab 2013 im Ephesus-Museum in Wien zeigen.

Geomagnetik- und Radar-Messungen

Auch Spezialisten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik halfen mittels Geomagnetik- und Radar-Messungen, das alte Bild der hellenistisch-römischen Metropole zu erweitern: Südlich des Domitianstempels nahe der oberen Agora, des antiken Marktplatzes, entdeckte man bislang unbekannte öffentliche Repräsentativbauten mit Säulenhallen und Toranlage. Ladstätter vermutet hier ein "Sebasteion“, ein - neben dem Domitians- und Hadrianstempel - weiteres Heiligtum zur Kaiserverehrung, die im Römischen Reich zur Staatsdoktrin zählte; genaueres sollen neue Grabungen zeigen.

In der Spätantike verlagerte sich das Stadtzentrum von der oberen Agora ins Hafengebiet. "Die byzantinische Bevölkerung blieb bis ins 14. Jahrhundert, parallel zur türkischen Besiedelung.“ Diese Kontinuität aufzuzeigen, liegt Ladstätter am Herzen, genauso wie die weitere Erforschung der muslimischen Gräber sowie christlicher spätantiker Spuren. Erst die Malaria im versumpften Gelände dürfte die Menschen zur Abwanderung gezwungen haben.

Ladstätter ist mit Leib und Seele Archäologin; Managementqualitäten sind für ihre Position sowieso ein Muss. Dazu noch diplomatisches Geschick, um mit den jährlich wechselnden Kommissaren - beamtete Archäologen des türkischen Ministeriums für Kultur und Tourismus, auf jeder Grabung als staatliche Kontrollorgane eingesetzt - ein gutes Arbeitsklima zu schaffen. Neider und Intriganten aus der Heimat brachte sie mit Sacharbeit erfolgreich zum Schweigen. "In der Türkei gilt Ephesus nicht als ‚Ausländergrabung‘“, sagt die fließend Türkisch sprechende Team-Playerin zufrieden, die vermehrt auch türkische Kollegen in führende Positionen berief, "es ist ein internationales Unternehmen“. Neben Archäologen aus Österreich und Deutschland setzt sie auf Spezialisten wie etwa ein italienisches Fachteam für die Restaurierung der Wandmalereien im überdachten Hanghaus 2. Die sieben ab dem ersten Jahrhundert n. Chr. für Familien der Oberschicht errichteten Wohneinheiten waren mit Fließwasser, Mosaiken und Fresken ausgestattet. Um 270 n. Chr. zerstörte ein Erdbeben den Komplex, die kostbare Marmorvertäfelung des 200 Quadratmeter großen Festsaales in Wohneinheit 6 zerbrach in mehr als 120.000 Scherben. Chefrestaurator Sinan Ilhan leitet die sechsköpfige Arbeitsgruppe für die Wiederinstandsetzung des Saals, zwei der ursprünglichen drei Marmorzonen an den hohen, einst mit einer vergoldeten Holzdecke überspannten Wänden möchte man bis 2013 wieder zusammensetzen. "Ein gigantisches Puzzle“, schmunzelt der türkische Fachmann, "reinste Detektivarbeit.“ Für Konservierung und Restaurierung der zirka sechzig Räume aus der römischen Kaiserzeit rechnet man mit 1200 bis 2700 Arbeitsstunden. Diese Feinarbeit kostet natürlich: Knapp die Hälfte des Grabungsbudgets von 700.000 Euro deckt das österreichische Wissenschaftsministerium ab, der Rest entfällt auf Forschungsförderungsmittel sowie private Sponsoren aus Österreich, der Türkei und den USA.

Verschulte Studienpläne

Letztes Jahr waren in Ephesus 213 wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt, dazu etwa 60 lokale Arbeitskräfte. "Die Grabung ist nach der Gemeinde der wichtigste Arbeitgeber in Selcuk“, sagt Ladstätter im Grabungshaus der kleinen türkischen Stadt. Im Grabungshaus sind auch einheimische Frauen beschäftigt - "das eigene Einkommen stärkt ihr Selbstbewusstsein“. Einige wagen aufgrund der finanziellen Absicherung sogar den Ausbruch aus belastenden Familienverhältnissen …

Die Grabungssaison dauert von Mai bis Oktober, danach fällt für Outdoor-Tätigkeiten zu viel Regen; nur Restaurierungsarbeiten laufen ganzjährig. In den Sommermonaten ist Ephesus bei Studierenden beliebt, trotz der Hitze von bis zu 45 Grad. 600 Euro gibt es für studentische Einsteiger, dazu Flug, Kost und Quartier. Ladstätter bedauert die Verschulung der Studienpläne. Die Wiener Universität bietet die Lehrgrabung nur noch auf Freiwilligenbasis an. "Das geht an der Realität vorbei. Wo lernt man, wie es auf einer Grabung zugeht, wenn nicht vor Ort?“, so die Leiterin. Hin und wieder nimmt sie auch interessierte Volontäre auf, die sich die Reise selber zahlen. Dominik, nunmehr Maturant, zeigt sich von der Arbeit begeistert. Sein Berufswunsch steht seit einer Ägyptenreise fest: "Da war ich acht.“ Die Zusammenarbeit mit den älteren Kollegen verlaufe reibungslos, jede Woche sei er woanders eingesetzt. Wirklich hart war nur der allererste Tag, "da bin ich am Abend wie ein Stein ins Bett gefallen“. Aufstehen um sechs Uhr, Sechs-Tage-Woche, abends Aufarbeiten der Funde am Computer - hat der aufreibende Grabungsalltag etwas an den Zukunftsplänen geändert? Dominik lacht: "Nach der Matura inskribiere ich Klassische Archäologie.“

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