"Nicht alles wird erfüllt, nicht alle Träume reiften“

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Mit der Uraufführung von Hans-Jürgen von Boses auf Kafka basierendem Kammer-Musiktheater "Verkehr mit Gespenstern“ erlebte die Wiener Kammeroper leider einen veritablen Flop.

Seit dieser Saison segelt die Wiener Kammeroper unter einer neuen Flagge. Einst von Hans Gabor als Institut für junge Sängerinnen und Sänger und damit als Sprungbrett für eine große Karriere gegründet, hat es nach Gabors Tod an Profil verloren. Zuletzt zogen sich auch Sponsoren zurück. Nach längeren Überlegungen und Verhandlungen hat man für das intime Haus am Fleischmarkt eine neue Verwendung gefunden: als zweites Haus für das Theater an der Wien, in dem sich - ganz den Intentionen des früheren Prinzipals Gabor folgend - junge Kräfte profilieren und für größere Aufgaben empfehlen können. Dazu haben sie in diesem neuen Konzept gleich doppelt Gelegenheit, denn die Ensemblemitglieder können sich in Musiktheaterproduktionen wie im Rahmen ihnen gewidmeter Porträtkonzerte vorstellen.

Breites Kammeroper-Repertoire

Breit angelegt ist, wie diese Saison zeigt, das Repertoire. Es reicht von Barock über Klassik bis in die unmittelbare Gegenwart. Schließlich war die dem zeitgenössischen Musiktheater gewidmete Gabor-Schiene "Studio K“ meist besonders erfolgreich. Entsprechend neugierig war man nach dem Rossini-Einstand - seiner frühen Farce "La cambiale di matrimonio“ - vor einigen Wochen auf die erste Novität dieser neuen Kammer-oper-Ära. Immerhin zählt Hans-Jürgen von Bose, Kompositionsprofessor zuerst am Salzburger Mozarteum, seit 1992 in der Nachfolge von Wilhelm Killmayer an der Münchner Hochschule für Musik und Theater, zu den renommierten Komponisten der Gegenwart, der sich seinen Ruf nicht zuletzt durch eine Reihe von Bühnenwerken erarbeitet hat.

Erst im Vorjahr hatte in München sein Kafka-Labyrinth "Nacht - Zeit - Mord“ Premiere. Auch für sein neuestes Musiktheater hat er sich von Kafka-Texten inspirieren lassen. Keine Überraschung, wenn man weiß, dass von Bose längst an ein viel größer dimensioniertes Kafka-Stück denkt. Womit er keinen Zweifel lässt, dass es sich auch bei dieser Kafka-Vertonung, "Verkehr mit Gespenstern“, bloß um den Teil eines selbst ihm noch nicht im Detail bekannten Ganzen handelt.

Briefzitate, Tagebucheinträge, Passagen aus "Die Verwandlung“ und "Der Prozess“ werden zu einer Collage verknüpft, vier Darsteller (sieht man von zwei bloß Statistenfunktion erfüllenden Kindern, die spielen, zeichnen, zurechtgewiesen werden, ab), jeweils in grauem Dreiteiler, weißem Hemd, mit schwarzer Krawatte, zuweilen mit grauem Mantel und schwarzer Melone, tragen das Stück. Wobei zwei - ein Countertenor (sicher Tim Severloh) und ein Bariton (wortdeutlich Falko Hönisch) - rezitieren, deklamieren, singen, während sich die beiden übrigen (von Anna Sushon am Pult koordiniert) am Akkordeon (Martin Veszelovicz) und Cello (Luis Zorita) produzieren, zuweilen auch singen und sprechen dürfen.

Fasst man die Aussage der oft kaum mehr als mit Wortfetzen aufwartenden Szenen zusammen, geht es um ins Skurrile gewendete Alltagssituationen, die sich unterschiedlich erschließen. Präsentiert werden sie von Regisseur Peter Pawlik vor dem Hintergrund von Kafkas von diesem wenig geschätzten Beamtentätigkeit bei der Prager Sozialversicherung. So genügen zwei Schreibtische als wesentliche Requisiten, Zeit und Zahl werden durch eine große Wanduhr und ein Metronom symbolisiert. Damit sollen Momente deutlich werden, die man in unserer quasi überkommunizierten Zeit als solche nicht mehr erkennen kann. So jedenfalls sieht der Regisseur, der in einer schwarz ausgelegten Bühne spielen lässt, diese filmisch ablaufende Szenenfolge. Von Bose geht es um einen Bilderbogen, um Reflexionen, wie er selbst notiert. Kafkas Wort und Szenerie scheinen ihm vorrangig, denn seine Musik geht über aphoristische Akzente kaum je hinaus.

Opus magnum zu Kafka?

"Nicht alles wird erfüllt, nicht alle Blütenträume reiften“, formuliert der Cellist in der vierten der insgesamt 24 Miniszenen dieses Siebzig-Minuten-Werks. Tatsächlich bleibt hier vieles offen, lässt, wie auch die Reaktion des rasch wegeilenden Publikums zeigte, den Besucher meist ratlos zurück. Wohin diese sich im Haus am Fleischmarkt kaum mehr als skizziert ausnehmende Rätselfahrt führen wird? Vielleicht liefert von Bose die Antwort mit seinem in Aussicht gestellten großen Kafka-Musiktheater. Ob dann seine Absichten deutlicher erkennbar werden?

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