„Nicht Chopin, Schumann braucht unsere Hilfe“

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András Schiff, Pianist von Weltrang, erläutert im FURCHE-Gespräch seine Sichtweisen auf Robert Schumann und Frédéric Chopin und deren völlig unterschiedliche Rezeption.

Schumann sei der „vielleicht am meisten missverstandene Komponist“, meint András Schiff. Chopin erfreue sich zwar großer Beliebtheit, aber das gängige Chopin-Bild sei „klischeeartig“.

Die Furche: Herr Schiff, wie stehen Sie grundsätzlich zu Gedenkjahren? Lässt sich damit etwas bewirken oder sind sie nur Mittel für ein kurzfristig erfolgreiches Marketing?

András Schiff: Man muss die Jubiläumsjahre unterschiedlich beurteilen. Sie sind sehr modisch geworden. Oft wird das Angebot übertrieben und zu stark kommerzialisiert. Da denke ich zuerst an die Mozart-Feierlichkeiten von 1991 und 2006. Wie das in Wien an jeder Straßenecke präsentiert wurde, das war nicht im Sinne Mozarts. Dagegen hat die Welt im Jahre 2009 zwei Komponisten – Haydn und Mendelssohn – gewürdigt, die bis heute unterschätzt und missverstanden sind. Da war das Gedenkjahr sehr positiv, es brachte viele neue Kenntnisse, wodurch wir diese Komponisten jetzt wesentlich besser kennen.

Die Furche: Heuer feiert die Musikwelt neben Mahler auch Chopin und Schumann. Wie gut kennt man beide Komponisten, werden nicht eher Klischees ungeprüft weitergepflegt?

Schiff: Was Chopin und Schumann betrifft: Der erste braucht kaum Propaganda, während der zweite der vielleicht am meisten missverstandene Komponist ist. Das Chopin’sche Œuvre ist bestens bekannt, das Schumann’sche nur teilweise. Da gibt es sehr viel zu entdecken, großartige Werke. Die Pianisten spielen fast immer die gleichen Stücke: „Carnaval“, die Fantasie, die Symphonischen Etüden, „Kreisleriana“. Das sind alles Meisterwerke. Aber er hat noch viel mehr geschrieben. Im Henle Verlag erscheint bald eine Gesamtausgabe in sechs Bänden, eine Schatzgrube für neugierige Pianisten. Auch in anderen Gattungen gibt es Lücken. Wer kennt schon „Der Rose Pilgerfahrt“, die „Faust“-Szenen, den „Manfred“ – nicht nur die Ouverture –, die Oper „Genoveva“, die Chor-Balladen?

Die Furche: Schumann hat Chopin über Nacht zu einem Star gemacht mit seinem berühmten Satz: „Hut ab, ihr Herrn, ein Genie.“ Worin sehen Sie das Spezifische bei Chopin, der jahrzehntelang als Salonkomponist missverstanden worden ist?

Schiff: Das Chopin-Bild ist wahrlich klischeeartig und falsch. Das ist auch der Grund, dass Chopin so oft so furchtbar schlecht gespielt wird. Chopin ist kein Romantiker, er ist ein Klassiker, mit klaren Formen, mit sehr gutem Geschmack. Seine Vorbilder waren Bach und Mozart. Das Wohltemperierte Klavier hat er täglich studiert und gespielt, seine eigenen Präludien Opus 28 sind eine Art Hommage à Bach. Von Mozart hat er seinen Klangsinn und das Formgefühl geerbt. Jedes Stück von Chopin ist perfekt proportioniert. Bei ihm finden wir keine programmatischen Tondichtungen wie bei den Zeitgenossen Schumann, Liszt und Berlioz. Selbst die Balladen sind absolute Musik. Wir wissen nicht, welche Mickiewicz-Balladen es sind, die ihn inspiriert haben. Das Hauptproblem bei der Chopin-Interpretation ist das Rubato. Das wird meistens übertrieben und geschmacklos verwendet. Tempo rubato heißt „gestohlene Zeit“. Was gestohlen wurde, das muss man auch zurückgeben. Das a-Moll-Rondo von Mozart ist wie eine Vorahnung von Chopin: Die linke Hand spielt eine „Um-ta-ta“-Begleitung, während die rechte darüber frei singt. Bei den Nocturnes von Chopin ist das nicht anders. Die meisten Pianisten spielen Chopin quasi ohne Tempo, ohne Puls, weil sie glauben, die Romantik erlaubt alles. Das stimmt gar nicht. Ebenso falsch ist das tuberkulose Chopin-Bild – der Mensch war schwach und krank, aber die Musik hat eine ungeheuere innere Kraft.

Die Furche: Musik ist zwar Allgemeingut, aber bei manchen Werken spürt man doch, dass Interpreten aus dem Herkunftsland eines Komponisten einen zwingenderen Zugang besitzen. Ich denke im Falle von Chopin etwa an die Mazurken. Teilen Sie diese Sicht?

Schiff: Herkunft ist gar nicht so unwichtig, wie es manche meinen möchten. Da spielt die Sprache des Komponisten eine große Rolle. Chopin ist sehr jung nach Paris gekommen und Wahlfranzose geworden, aber seine polnischen Wurzeln sind enorm wichtig. Vor allem in den Mazurken und Polonaisen, aber nicht nur da. Ein guter Chopin-Interpret muss nicht unbedingt Pole sein, aber den Grundcharakter, die Akzentuierung der Sprache muss er (oder sie) kennen. Bei den Mazurken gibt es verschiedene Typen, und es ist gut zu wissen, wie diese getanzt wurden. Chopin muss sie einmalig gespielt haben, wie genau, das werden wir leider nie erfahren.

Die Furche: Wilhelm Furtwängler, der eine bis heute unübertroffene Aufnahme der Vierten Schumann mit den Berliner Philharmonikern vorgelegt hat, urteilte, Schumann sei „der edelste und substantiellste aller deutschen Romantiker, der Entdecker neuer Werke“. Wie stehen Sie dazu?

Schiff: Furtwängler hatte recht, und seine Interpretation der vierten Symphonie ist einmalig. Bei Schumann ist es äußerst wichtig zu beachten, dass er ein literarisch sehr gebildeter Mensch war. Man kann Schumanns Musik nicht verstehen, wenn man die Werke seiner Lieblingsautoren, Jean Paul und E. T. A. Hoffmann, nicht kennt. Diese wurden auf Deutsch geschrieben, von Jean Paul gibt es kaum Übersetzungen.

Die Furche: Was hat es mit der Ansicht auf sich, Schumanns Werke seien im Laufe der Jahre immer schwächer geworden? Sie haben sich ja auch mit seinem Spätwerk immer wieder auseinandergesetzt.

Schiff: Eines der schlimmsten Klischees ist die bis heute andauernde Beschimpfung des Spätwerks Schumanns. Das ist kriminell, da haben leider Clara Schumann und Brahms große Schuld. Das Spätwerk zu rehabilitieren ist ein Hauptziel des Gedenkjahres. Schumann war am Anfang ein exzellenter Pianist, wegen seiner Handverletzung musste er das Klavierspiel aufgeben. Umso interessanter ist seine Art, für das Klavier zu schreiben, das ist so fantastisch fantasievoll. Viel unbequemer zu spielen als Chopin, aber es lohnt sich. Schumanns Klavierstil, das ist die reinste Poesie, kaleidoskopisch, tausendfarbig. Auch in seinen Liedern, da geht er noch weiter als Schubert, der Pianist als Mitgestalter. Niemand hat so wunderschöne Postludien geschrieben.

Die Furche: Welchen Platz räumen Sie selbst Schumann und Chopin in diesem Gedenkjahr ein, oder lassen Sie sich davon nicht weiter beeindrucken?

Schiff: In diesem Jahr werde ich relativ wenig Chopin spielen, nur die Préludes, kombiniert mit Präludien und Fugen von Bach. Und Chopin immer auf einem alten Pleyel Flügel, auf dem es wunderbar klingt. Dagegen sehr viel Schumann. Wie gesagt: Chopin braucht unsere Hilfe nicht mehr, Schumann dagegen sehr.

* Das Gespräch führte Walter Dobner

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