Nicht genügend, bitte setzen!

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Viele „Sitzenbleiber“ sehen im Wiederholen der Klasse keine „Ehrenrunde“, sondern eine schmerzhafte Erfahrung. Dabei sei Repetieren meistens sinnlos, so Experten.

Sie haben in der Schule versagt und sind dennoch berühmt: Für Churchill, Edison oder Einstein bedeutete das Scheitern bei Prüfungen oder Sitzenbleiben kein Hindernis. Sie machten Erfindungen und Karrieren. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hatte laut Kurier ähnliche Probleme, er ist einmal durchgefallen. Ebenso der verstorbene Bundespräsident Thomas Klestil, den es in der Siebten im Gymnasium erwischt hatte. Publikumsliebling Otto Schenk kämpfte sich nur mit Schmähs durch die Schulzeit.

Viele „Sitzenbleiber“ sehen im Wiederholen aber keine „Ehrenrunde“, sondern eine schmerzhafte Erfahrung, die das Selbstwertgefühl beeinträchtigt und stigmatisiert. Experten sind sich einig: Nur in wenigen Fällen wirkt sich eine Wiederholung positiv auf die Entwicklung, die Noten und den weiteren Karriereverlauf aus. Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien weiß: „Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet es neben psychischen Kosten den Verlust eines Schuljahres. Dem Gesamtsystem erwachsen hohe Kosten durch die Verlängerung der Schulzeit. Wer eine Klasse wiederholt, tritt später in den Arbeitsmarkt ein, zahlt später Sozialversicherung und hat eine kürzere Lebensarbeitszeit.“

Dass Sitzenbleiben sinnvoll sei und sich aus Fehlern lernen lässt, bezweifelt auch Fotografin Winnie Küchl. Sie hat zweimal repetiert und schwächelte in Latein und Mathematik. „Um ehrlich zu sein, einerseits war ich zu faul. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass einen Lehrer abstempeln, wenn man schlechte Noten hat, und denken, man habe überhaupt kein Interesse, man gebe sich keine Mühe. Dadurch verliert man wirklich die Motivation.“

Laut Spiel sei Repetieren nicht effizient: „Man hört den Stoff nochmal, auch in Gegenständen, in denen man positiv war. In den negativen Fächern bekommt man keine individuelle Förderung, sondern wiederholt nur. Das heißt nicht, dass man es dann sicher versteht.“ Winnie Küchl kann das aus Erfahrung bestätigen und spricht von einer „aufkommenden Wurschtigkeit“ vor allem in jenen Fächern, in denen man zuvor ohnehin gut abgeschnitten hatte. „Man hat alles schon gehört. Das ist Zeitverschwendung. In manchen Fächern blieb beim ersten Mal mehr hängen als nach der Wiederholung.“

Nach der Volkschule ging Küchl auf die Theresianische Akademie in Wien, in der dritten Klasse fällt sie erstmals durch. „Das ist die Eliteschule schlechthin, das setzt einen von vornherein schon unter Druck“, erinnert sich die 25-Jährige. Gerade gegen Semesterende hatte Küchl psychisch zu kämpfen, beim Sitzenbleiben in der dritten Klasse noch weniger als beim zweiten Durchfallen in der fünften Klasse AHS-Oberstufe. Auch auf das Verhältnis zu den Eltern hatten die schlechten Noten belastenden Einfluss: „Meine Mutter hat sich das immer zu Herzen genommen.“

Anstatt des Wiederholens spricht sich Spiel für Frühförderung aus: „Hier wird bei Problemen frühzeitig rückgemeldet, um die Schülerin, den Schüler aufzufangen. Oder: Man versucht, das Kind, wenn es in einem Fach negativ ist, in der nächsten Klasse effizient zu fördern. So kann der Stoff nachgeholt werden.“ Individueller Nachmittagsunterricht könne helfen und käme insgesamt billiger als das Wiederholen der Klasse.

Dass individueller Förderunterricht bei ihm gezogen hätte, bezweifelt Andreas Schmidt. Der Student hat zweimal repetiert, in der fünften und sechsten AHS-Klasse. „Zu einer Nachmittagsbetreuung wär’ ich nicht gegangen, das hätte mich so wenig interessiert wie die Schule“, winkt er ab. Er spricht sich klar für das Sitzenbleiben aus. Warum es bei ihm gekriselt hat? „Weil ich nie gelernt habe. In den meisten Fächern ist es gut gegangen – in Mathe und Französisch nicht. Überfordert war ich nicht, ich hab’s erst gar nicht probiert“, scherzt er. Bei den Fehlstunden war der 25-Jährige mit selbst geschätzten 200 Stunden einer der Klassen-Spitzenreiter. An Reife habe es ihm gefehlt, sagt Schmidt selbstkritisch. Den Lehrern gibt er keine Schuld: „Meine Fünfer hab’ ich mir schon verdient.“ Die schlechten Noten störten das Verhältnis zu den Eltern nur zu Semesterende, denn wenn diese während des Jahres nachhakten, sei Schmidts Antwort immer gewesen: „Ja, passt eh alles.“

Während Schmidt seine „Ehrenrunden“ jetzt locker sieht, empfand er sie damals doch als „kleine Misserfolge“. Küchl, die sich klar gegen das Sitzenbleiben ausspricht, bemüht sich um eine neutrale Formulierung: „Ich sehe das jetzt einmal als Erfahrung.“ So unterschiedlich diese Erfahrungen des Studenten und der Fotografin auch sind: Verloren gegangene Motivation am Lernen eint sie. Klar ist für Küchl: „Das Wiederholen hat mich geprägt. Was meine späteren Kinder betrifft, würde ich sie laufend unterstützen.“ Sie will mehr als nur nachfragen, wann der nächste Test oder wie es in der Schule gewesen sei. „Meinen Kindern möchte ich vermitteln, Spaß an Schule und Lernen zu haben.“ Ihr selbst ist der Spaß am System des pauschalen Wiederholens vergangen.

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