Nicht in den Schatten geraten

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Wenn der Ukraine von der EU weiterhin jede Beitrittsperspektive verweigert wird, gerät das Land in eine gefährliche Grauzone zwischen Ost und West.

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Wenn der Ukraine von der EU weiterhin jede Beitrittsperspektive verweigert wird, gerät das Land in eine gefährliche Grauzone zwischen Ost und West.

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dieFurche: Herr Botschafter, Österreich hält derzeit den Vorsitz in der OSZE. Sie sind der Leiter der ukrainischen OSZE-Delegation, haben Sie das Gefühl, daß die Arbeit in diesem Gremium durch die österreichische Innenpolitik beeinträchtigt wird?

Wolodymyr Ohrysko: Natürlich kann die österreichische Innenpolitik die Situation im Ständigen Rat der OSZE beeinflussen. Die Ukraine unterstützt aber nach wie vor die österreichische Arbeit in der OSZE, weil wir davon ausgehen, daß Österreich auch unter den jetzigen Umständen seine demokratischen Traditionen fortsetzen wird. Österreich hat große Potenzen: europäische Potenzen, demokratische Potenzen, die der OSZE nach wie vor sehr nützen.

dieFurche: Teilen Sie, teilt ihr Land die Besorgnis, die Österreichs EU-Partner bezüglich der FPÖ-Regierungsbeteiligung geäußert haben?

Ohrysko: Was die Äußerungen einzelner Politiker anbelangt, sind wir auch besorgt, und wir verfolgen die weiteren Vorgänge sicher mit großer Wachsamkeit. Aber ich verweise noch einmal auf die demokratische Stabilität Österreichs.

dieFurche: In politischen Sonntagsreden wird die besondere Brückenfunktion Österreichs bei der EU-Osterweiterung betont. Sehen Sie diesen hohen Anspruch von österreichischer Seite eingelöst?

Ohrysko: Wir gehen davon aus, daß Österreich eine sehr positive Rolle in der Frage der Osterweiterung spielen wird. Das ist für die Ukraine von großer Bedeutung, denn wir haben deutlich gesagt, daß die Ukraine eine europäische Perspektive hat. Die Ukraine möchte nicht morgen oder übermorgen, aber in der Zukunft auch EU-Mitglied sein. Und wir gehen davon aus, daß Österreich in diesem Sinne auf unsere Zukunftsorientierung sehr positiv eingehen wird.

dieFurche: Trotzdem gehört die Ukraine nach wie vor nicht zu den Beitrittskandidaten. Wo liegen die Gründe dafür?

Ohrysko: Nun wir müssen realistisch sein und verstehen, daß die Ukraine momentan in erster Linie wirtschaftlich nicht bereit ist. Dazu kommt, daß unser Rechtssystem noch nicht genug an die europäischen Standards angepaßt ist. Etwas anderes ist, daß wir hier im Westen nicht immer Verständnis finden, was die europäische Perspektive der Ukraine anbelangt. Was meine ich, vielleicht sollte ich eine Gegenfrage stellen: Wo sehen Sie grundsätzliche Unterschiede zwischen der Ukraine und einigen anderen zentral- und osteuropäischen Länder, die gerade die Beitrittsverhandlungen begonnen haben?

Wirtschaftlich, politisch, militärpolitisch gibt es keine großen Unterschiede zwischen der Ukraine und einigen dieser Staaten. Trotzdem wird hier ein Unterschied gemacht. Das ist, meiner Meinung nach, ein gegenüber der Ukraine ungerechtes Vorgehen. Man muß deutlich sagen, ob man ein gemeinsames Europa haben will, ein Europa ohne Grenzen und für alle Europäer, oder ob in Europa neue Grenzen gebildet und geduldet werden sollen. Das ist der Punkt. Deswegen hat der ukrainische Präsident Leonid Kutschma im Herbst letzten Jahres eine Konferenz in Jalta initiiert, mit dem Motto: Europa ohne Grenzen. Gerade in Jalta wurde Europa nach dem Krieg geteilt. Jetzt sollte dieses Zurück nach Jalta aber für ein Europa ohne Grenzen stehen.

dieFurche: Der Europarat forderte unter anderem eine Gesetzgebung zum Schutz der Menschenrechte. Auch Kritik an der Haltung Ihres Präsidenten zur Pressefreiheit wurde laut.

Ohrysko: Solche Vorwürfe halte ich für übertrieben. In der Ukraine sind alle frei, jeder kann überallhin fahren. Was die Presse betrifft, haben wir einen staatlichen Fernsehkanal und eine oder zwei staatliche Zeitungen. Der Rest, also 95 Prozent oder sogar mehr aller Medien sind schon in privatem Besitz, und die Pressefreiheit wird praktiziert.

dieFurche: Eine andere Forderung war die Abschaffung der Todesstrafe.

Ohrysko: Diese Diskussion haben wir schon hinter uns. Unser Verfassungsgericht hat befunden, daß diese alten Paragraphen, die noch aus der Sowjetzeit stammen, der heutigen ukrainischen Verfassung widersprechen. Und das ukrainische Parlament hat in der vergangenen Woche der Änderung des Strafgesetzbuches zugestimmt und das 6. Protokoll (1983) der europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 ratifiziert. Wovon wir hier reden, das sind acht Jahre Unabhängigkeit. Vor acht Jahren waren wir noch ein kommunistisches Land. Für die Leute in Westeuropa ist dieser Wandel, den wir vollzogen haben, nicht nachvollziehbar. Wir haben in dieser kurzen Zeit einen Prozeß der Demokratisierung durchgeführt, wofür viele europäische Staaten mehrere Jahrzehnte Zeit hatten.

dieFurche: Zurück zum Faktum, daß die Ukraine nicht zum Kreis der Beitrittskandidaten gehört. Was bedeutet das für das Verhältnis der Ukraine zu seinen Nachbarn, die über kurz oder lang ja der EU angehören werden?

Ohrysko: Momentan haben wir mit Polen, Rumänien, Bulgarien, Slowakei überhaupt keine Probleme. Tagaus, tagein herrscht da ein reger Austausch, hin und zurück, ohne Visa, ohne Schwierigkeiten. Auch wirtschaftlich ist das ja ganz wichtig, und um diese guten Beziehungen fürchten wir in Zukunft sehr.

In Polen sind etwa 300.000 Ukrainer. Etwa gleichviele Polen sind in der Ukraine. Sobald Polen die EU Außengrenze darstellt, wird das für diese Menschen sehr unangenehm werden. Denn hier baut sich schon wieder eine Sperre, eine neue Grenze in Europa auf. Alle reden zwar von der Abschaffung von Grenzen, doch auf der anderen Seite werden neue, ungerechtfertigte dazu, geschaffen.

dieFurche: Meinen Sie, wenn schon Osterweiterung, dann soll der ganze Osten Europas eingebunden sein?

Ohrysko: Sicherlich! Wir sagen ja nicht, daß das von heute auf morgen passieren soll. Die Ukraine ist in einer Umbau- und Konsolidierungsphase. Die Reformer in der Regierung versuchen alles, um diesen Prozeß zu beschleunigen. Andererseits müssen wir aber von der EU klare Signale bekommen, daß die Ukraine nicht außerhalb dieser Gemeinschaft steht, daß uns diese Perspektive nicht absolut verweigert wird. Ansonsten gerät die Ukraine in eine Grauzone, und das wäre ein sehr grober Fehler der Gegenwart.

dieFurche: Was befürchten Sie? Orientiert sich die Ukraine dann nach Osten?

Ohrysko: Die Ukraine ist ein europäisches Land mit sehr alten europäischen Traditionen. Für uns ist das keine Frage, wohin wir gehören. Die Frage ist nur, wie lange es dauern wird, bis wir zu diesem Europa zurückkehren können.

dieFurche: Kann es nicht sein, daß es die EU scheut eine gemeinsame Außengrenze mit Rußland zu haben, und daß die Ukraine so etwas wie ein Puffer bleiben soll?

Ohrysko: Sehen Sie, Rußland ist Rußland. Es ist ein selbstgenügender Faktor in der Weltpolitik. Die Beziehungen zwischen der EU und Rußland sind eine Sache, wo man erst abwarten muß, wie sie sich entwickeln werden. Ich kann mir aber schwer vorstellen, daß Rußland einmal der EU beitreten wird. Wir möchten nicht im Schatten dieser Beziehungen sein. Wir haben ein eigenes Profil, eigene Perspektiven und Interessen und wollen nicht abhängig von Beziehungen dritter sein. Und ich hoffe, über kurz oder lang wird das auch in Brüssel Unterstützung finden.

dieFurche: Zur aktuellen politischen Lage in der Ukraine: Kürzlich hat ein Hungerstreik einzelner Abgeordneter für Aufsehen gesorgt. Was steckt hinter diesen Konflikten?

Ohrysko: Präsident und Regierung wollen die Ukraine reformieren. Bisher wurde dieser Kurs aber vom Parlamentspräsidenten, einem Ex-Kommunisten, und seinen Anhängern torpediert. Die Wiederwahl von Leonid Kutschma im vergangenen November hat aber gezeigt, daß die Mehrheit der Ukrainer die politischen und wirtschaftlichen Reformvorhaben des Präsidenten unterstützt. Jetzt hat sich auch die Mehrheit im Parlament diesem Anliegen angeschlossen, was die Proteste der exkommunistischen Minderheit verursachte.

dieFurche: Die Minderheit meint, daß diese Reformen vor allem den Finanz- und Industriemagnaten nützen würden.

Ohrysko: Die Hauptidee der Reformen ist, sehr wichtige Gesetze zu verabschieden, die die Privatisierung großer, mittlerer, kleiner Betriebe ermöglichen. Momentan ist die Gesetzgebung diesbezüglich einmal so und einmal anders. Damit kann kein stabiler Staat gemacht werden. Ausländische Investoren verlangen zu Recht, daß sichere Verhältnisse herrschen. Wichtig ist, daß die Spielregeln in unserem Land mittelfristig nicht geändert werden. Dann kann man sicher sein, daß Investitionen kein Risiko darstellen. Und schlußendlich nützt das ja nur der Ukraine.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

ZUR REPUBLIK UKRAINE Ukraine bedeutet "Grenzland" oder "am Rande gelegen". Die Osterweiterungspolitik der EU gibt dieser alten Bezeichnung aktuelle Bedeutung. Während mit den Nachbarstaaten: Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien Beitrittsverhandlungen stattfinden, bleibt die Ukraine ausgeschlossen. Einen Beitritt zur Union zwischen Rußland und Weißrußland lehnt die Ukraine entschieden ab.

Die Ukraine ist etwa so groß wie Frankreich, Belgien und die Niederlande zusammen und nach Rußland der zweitgrößte Staat Europas. Am 24. August 1991 erklärte die Ukraine ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Seit 1994 und im letzten Jahr auf eine weitere Periode wiedergewählter Staatspräsident ist Leonid Kutschma.

Für dieses und das nächste Jahr prognostiziert das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche einen Zuwachs des ukrainischen Bruttoinlandsproduktes um ein und drei Prozent. Hoffnungsschimmer für ein Land, das bislang am Rande der Zahlungsunfähigkeit stand.

Übrigens, von Wien ins ukrainische L'viv (Lemberg) ist es weniger weit als nach Bregenz.

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