"Nicht links, nicht rechts, geradeaus"

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Die Ablösung der Exkommunisten markiert - wie schon zuvor in anderen Reformländern - den Durchbruch zu echter Demokratie. Der Wechsel in Ungarn ist mehr als die Niederlage der Regierung: Der Postkommunismus ist vorbei, eine neue Zeit bricht an.

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Die Ablösung der Exkommunisten markiert - wie schon zuvor in anderen Reformländern - den Durchbruch zu echter Demokratie. Der Wechsel in Ungarn ist mehr als die Niederlage der Regierung: Der Postkommunismus ist vorbei, eine neue Zeit bricht an.

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Am 8. Juli hat die neue ungarische Regierung ihre Arbeit aufgenommen. Das Mitte-Rechts-Kabinett hat die Koalition aus Sozialisten und Liberalen abgelöst, die das Land in den vergangenen vier Jahren regierte. Die rechtsliberalen Jungdemokraten (FIDESZ) waren aus den Parlamentswahlen im Mai dieses Jahres zwar als mandatsstärkste Partei (147 Sitze von 386) hervorgegangen, verfehlten aber die absolute Mehrheit und sind damit auf die Zusammenarbeit mit den national-konservativen Kleinlandwirten (40 Mandate) angewiesen. Verstärkt wird das Bündnis von 18 Abgeordneten des konservativen Ungarischen Demokratischen Forums MDF.

Der bisherige Ministerpräsident Gyula Horn will aus der Wahlniederlage Konsequenzen ziehen und beim Parteitag im Oktober nicht mehr für den Vorsitz der Sozialisten kandidieren. Seine Partei fühlt sich jedoch nicht als Verliererin. Die stellvertretende Parteichefin Magda Kovacs-Kosa erklärte gegenüber der Furche: "Unsere Partei ist diejenige, die in Ungarn demokratische Strukturen gefestigt und neue Gesetze erlassen hat, welche mit den europäischen kompatibel sind. Seit 20 Jahren ist Ungarn erstmals nicht in der Schuldenfalle, der Prozeß der Konsolidierung ist unumkehrbar."

In Wirklichkeit ist die Sozialistische Partei mit ihrem Programm am Ende. Die Parteimitglieder rekrutieren sich vor allem aus der alten Generation, und es gibt Probleme mit dem Nachwuchs. Viele der Versprechungen wurden nicht realisiert. Korruption und Kleinkriminalität wuchern. Sprengstoffanschläge, die auf das Konto russischer, ukrainischer, türkischer und arabischer Banden im Kampf um die Vorherrschaft in der Unterwelt gehen, halten die Polizei in Atem. Nach Angaben der Regierung ist das organisierte Verbrechen bereits zu 80 Prozent in der Hand ausländischer Krimineller.

Mit diesem Erbe muß jetzt Viktor Orban, der Vorsitzende der Jungdemokraten, fertig werden. Mit 35 Jahren ist Orban der jüngste Ministerpräsident Europas. Der Jura-Absolvent Orban hat sich längst vom Studentenführer und Soros-Stipendiaten zu einem charismatischen und telegenen Jungpolitiker entwickelt. Vergangenheit sind seine langen Haare, der Bart und die Jeans, sie sind dem Chic von Anzug und Krawatte gewichen. Er wandelte die FIDESZ-Partei in den vergangenen Jahren von einer unkonventionellen Jugendgruppe zu einer konservativ-liberalen politischen Kraft. Die meisten Mitglieder seiner Partei sind heute jünger als 40 Jahre. Orbans politische Karriere wurde von Otto Graf Lambsdorff, einem der Ehrenvorsitzenden der FDP, der als Orbans politischer Ziehvater gilt, unterstützt. Gute Kontakte hat Orban etwa auch zum polnischen Wirtschaftsreformer und jetzigen Finanzminister Leszek Balcerowicz. "Orban ist Hoffnungsträger der Demokratie in Ungarn, obwohl seine Wahlkampagne auch nationalistische Töne beinhaltet hat, aber das ist kein Extremismus", meint Graf Lambsdorff im Gespräch mit der Furche.

Viktor Orban selbst skizziert sein Programm gegenüber der Furche folgendermaßen: "Ich werde alles tun, damit Ungarn rasch den Anschluß zur Europäischen Union findet. Ich weiß aber, daß dieser Prozeß noch einige Jahre dauern wird, und es stehen uns noch viele schwere Tage bevor. Aber die Verhandlungen zwischen den EU-Behörden und der ungarischen Regierung gehen weiter. Anfang der neunziger Jahre wurde die ungarische Außenpolitik neu definiert, mit dem Ziel, die volle Mitgliedschaft bei NATO und EU zu erlangen. Dieser Weg führt weder links noch rechts, sondern geradeaus. Die europäische Integration ist für uns sehr wichtig, aber wir sind Ungarn und wollen Ungarn bleiben. Die Menschen im Westen müssen begreifen, daß wir nicht Hilfeempfänger sind, sondern Partner, die auch dem Westen etwas anzubieten haben."

In seinem Vorhaben ein "Ungarn der Bürger aufzubauen, wo jeder die Möglichkeit haben soll, in seiner Heimat gemäß seinen Fähigkeiten und Neigungen frei und im Wohlstand zu leben", ist Viktor Orban auf die Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen Kleinlandwirtepartei angewiesen. An ihrer Spitze steht Jozsef Torgyan, ein vehementer Gegner des Verkaufs von wirtschaftlichem Grund und Boden an Ausländer. "Wir Kleinbauern haben keine Angst vor der EU und hoffen, daß sich die neue Regierung für unsere Probleme einsetzen wird", erklärt ein lokaler Funktionär der Partei sein Anliegen. "Denn momentan ist unsere Situation sehr schwer. Vor der Wende konnten wir unsere Produkte fast in uneingeschränkter Menge verkaufen. Vieles ist zum Beispiel in die ehemalige DDR gegangen. Heute will fast niemand unsere Produkte. Für den Staat müssen wir zu festen Preisen wie zur Zeit des Kommunismus verkaufen, aber das, was wir brauchen, müssen wir auf dem freien Markt kaufen. Wir hoffen, daß mit dem Beitritt zur EU wir Bauern gleich behandelt werden, das heißt, daß wir unsere Produkte überall frei verkaufen werden können und auch Subventionen bekommen."

Wie die Regierung Orban mit all diesen Problemen fertig wird, kann erst die Praxis erweisen. Orbans Ansage, Ungarns Wirtschaftswachstum könnte sieben statt fünf Prozent betragen, klingt gut. Doch ob er die Hoffnungen des Volkes auf einen spürbaren Aufschwung erfüllen kann, ist eine andere Frage. Wirtschaftlicher Erfolg und die Verbesserung der inneren Sicherheit werden jedenfalls die Kriterien sein, nach denen die Arbeit der Regierung von den Wählern beurteilt wird.

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