Nicht nur für Eingeweihte

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"Tabu“: Der portugiesische Regisseur Miguel Gomes verzaubert das Publikum mit einer Geschichte über Liebe, Besessenheit und Erinnerung.

"Eine Geschichte braucht einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge“, formulierte Jean-Luc Godard das Prinzip einer idealen Kinoerzählung, und so beginnt Miguel Gomes "Tabu“ mit einem traurigen Krokodil. Es ist der dritte Langfilm des 1971 geborenen portugiesischen Regisseurs, der seine Karriere als Filmkritiker startete, und er markiert einen wesentlichen Schritt in seiner Arbeit.

Am Anfang erzählt Gomes hier also vom Ende, von den letzten Tagen der spielsüchtigen Aurora, die in ihrer Lissabonner Wohnung ihrer kapverdischen Haushälterin Santa das Leben schwer macht und in Träumen und Erinnerungen an die Kolonialzeit schwelgt. Gelegentlich wird sie von der exzessiv empathischen Rentnerin Pilar besucht, die in ihrem Drang lebt, Gutes zu tun.

Als Aurora zum Sterben ins Krankenhaus kommt, öffnet sich ein unbekanntes Kapitel in ihrer Vergangenheit. Damit geht der Film in seinen zweiten Teil über, wird plötzlich zum spannenden Abenteuerfilm, zur tragischen Liebesgeschichte, die am Fuß des afrikanischen Mount Tabu spielt, der Schauplatz der Tragödie einer verbotenen Liebe am Vorabend des portugiesischen Kolonialkriegs - und der Boden für eine magisch realistische These übers kulturelle Erbe von Erinnerungen.

Stumm schreiende Bilder - wie aus einem Traum

Schon Gomes’ vorheriger Spielfilm, "Our Beloved Month of August“ (2008), überzeugte als großartig sinnlicher Sommerfilm, in dem die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion verschwimmen. Gomes’ Lust an der Brechung und Verschiebung von Chronologie, Stilmitteln und Referenzen, tritt im zweiten Teil von "Tabu“ am deutlichsten hervor: Der bis dahin schon betörend melancholische Schwarz-weiß-Film ist nun auch ein Stummfilm, nur gelegentlich geführt nur durch eine - eine intensive Intimität erzeugende - Männerstimme, um die Bilder einzuordnen. Unerschrocken, aber unaufdringlich wechselt Gomes in diesem Film immer wieder Rhythmus, Tonlage und das Genre: Leichthändig und hurmorvoll verknüpft er Dokumentarfilm, Musical, Melodram, Abenteuerfilm und Komödie und schafft wie nebenbei vor Sehnsucht stumm schreiende Bilder wie aus einem Traum, ein Traum auch über das vergangene Kino, mit bezaubernden Verweisen auf Vincente Minnelli, Solondz und nicht zuletzt Friedrich Wilhelm Murnau, von dessen Abenteuerfilm "Tabu“ (1931) sich Gomes den Titel geliehen hat.

Doch dieser Film ist bei Weitem kein Film nur für Eingeweihte. Es ist eine Geschichte über Liebe, Besessenheit und Erinnerung, und darüber, wie heller die Vergangenheit in unseren Köpfen und Herzen brennen kann, desto weiter weg wir uns von ihr bewegen.

Tabu

P/D/BR/F 2012. Regie: Miguel Gomes.

Mit Teresa Madruga, Laura Soveral, Ana Moreira, Henrique Espírito Santo. Stadtkino. 111 Min.

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