Uraufführung von Gerhild Steinbuchs „Herr mit Sonnenbrille“ in der Regie von Robert Borgmann im Wiener Schauspielhaus: In dem Stück wird vor allem Material angehäuft. In einer pseudolyrischen Schwurbelsprache und fäkalbeladener Darstellung werden Arbeitslosigkeit, Gefühlserkaltung zwischen Eheleuten, Triebstau und Kindesmissbrauch verarbeitet.
Gerhild Steinbuch, die 1983 in Mödling geborene Jungdramatikerin, gilt, seit sie 2004 den Stückewettbewerb der Berliner Schaubühne gewonnen hat, als eine der größten Hoffnungen des österreichischen Autorentheaters. In der Saison 2008/09 war sie schon Hausautorin am Wiener Schauspielhaus, wo nun ihr neuestes Stück, „Herr mit Sonnenbrille“, in der Regie von Robert Borgmann, der auch sein eigener Bühnenbildner ist, uraufgeführt wurde. Eigentlich wäre die Uraufführung schon für die letzte Spielzeit vorgesehen gewesen. Jetzt, nach der Premiere, kann man die Gründe für die Verspätung erahnen. Denn, um es gleich vorwegzunehmen, Steinbuchs neues Stück – und es fällt schwer, es überhaupt so zu nennen – ist ein Ärgernis.
Ganz ordentlicher Anfang
Eigentlich beginnt es ganz ordentlich. Auf der rechten Bühnenseite, die eine alpenländische Hauseinrichtung samt Kindbett, Nachtkästchen, Küchentisch und Kühlschrank, in Gold gefasstes Andi-Goldberger-Porträt, Allerseelenkerze und Kruzifix zeigen soll, liegen zwei Körper. Ein „Er“ und eine „Sie“. In einem gedehnten stummen Spiel leidet „Er“ offenbar an Schlaflosigkeit, daher ordnet er zunächst pedantisch seine Pokale und versucht, unter dem Küchenklapptisch erneut in den Schlaf zu finden, was aber nicht gelingt. Schließlich haut er sich den Kopf an der Tischkante an, holt darauf die Axt und versucht, seiner noch schlafenden Frau den Schädel einzuschlagen. Doch bevor der finale Hieb nicht nur die Verbindung in Stücke schlägt, wacht sie mit einem lauten Seufzer auf, wie von einem bösen Traum geweckt. Daraufhin zieht eine fröhliche Trachtengruppe das österreichisches Liedgut denunzierend über die Bühne. Im Kontrast zur Szene singen sie „I hob di so gern, / i hol dir vom Himmel jeden Stern“.
Was in den fast achtzig langen Minuten danach folgt, entzieht sich sowohl der Nacherzählung wie einer sinnstiftenden Interpretation. Denn Steinbuch häuft vor allem Material an. Assoziativ verknüpft sie ihr aktuell scheinende Themen. So folgt Problem auf Problem – von Arbeitslosigkeit und Entwurzelung, von beschädigten Seelen über die Zerstörung des Landlebens durch Profitgier und die dadurch ausgelösten Identitätskrisen bis zur Gefühlserkaltung zwischen den Eheleuten, dem Triebstau und dem Kindesmissbrauch. Das alles und noch mehr wird einerseits in einer pseudolyrischen Schwurbelsprache aufgesagt und andererseits in einer Drastik dargestellt, wie sie seit Werner Schwab, Achternbusch oder Kroetz nicht mehr war. Man wird den Verdacht nicht los, der fäkalbeladenen Darstellung komme die Funktion zu, die mangelnde gedankliche Substanz zu kompensieren.
Ganz ordentliche Schauspieler
Dass der Mann der Frau das Gesicht mit seiner Scheiße einschmiert, eine dralles Dirndl mit Regelblut aus der Flasche die rot-weiß-rote Fahne malt, eine Horde dumber Älpler die Vergewaltigung eines Mädchens zelebriert, sagt so gut wie nichts über Steinbuchs Unbehagen an Österreich aus. Vielmehr verrät es, dass Autorin und Regisseur Borgmann darüber nichts zu sagen wissen.
Allein den Schauspielern muss man Respekt zollen: Katja Kolm, Ingo Tomi, Katja Jung, Max Mayer, Bettina Kerl und der Musiker Mario Smetana sind um die Aufgabe nicht zu beneiden, in einem gründlich missratenen, ärgerlichen Stück Abend für Abend spielen zu müssen.