Nilpferd und Vergißmeinnicht

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Zum Abgang von Burgtheaterdirektor Claus Peymann: Wäre er geblieben, hätte er am Ende noch der gute alte Herr in der Burg werden können.

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Zum Abgang von Burgtheaterdirektor Claus Peymann: Wäre er geblieben, hätte er am Ende noch der gute alte Herr in der Burg werden können.

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Claus Peymann ist weg. Er war eine Kreuzung von Nilpferd und Vergißmeinnicht. Ein Nilpferd im Austeilen, ein Vergißmeinnicht im Einstecken. Seine Direktionszeit hatte hohen Unterhaltungswert. Er hat in Wien viel Blödsinn geredet, aber die Reaktionen darauf waren oft auch von köstlicher Blödheit. Das Burgtheater war ja immer schon für eine gepflegte Unterhaltung gut, fand diese nicht auf der Bühne statt, wurde sie von den Zeitungen geliefert, die den Direktor bekämpften. In dieser Hinsicht stand Peymann voll in der Burgtheatertradition. In den ersten Jahren lustvoll, später etwas müde. Vielleicht war er wirklich schon so weit, daß er von den Wienern geliebt werden wollte. Die liebten aber längst die Dene und den Voss, die Peymann ihnen gebracht hatte und ließen den Göttlichen links liegen. Undank ist der Welt Lohn. Aber vielleicht geht es ihm in Berlin besser. Auch Karl Kraus war ja bekanntlich in Wien ein misanthropischer Grantscherben und in Berlin beinah ein umgänglicher Spezi. Ohne Claus Peymann mit Karl Kraus vergleichen zu wollen.

Falls Claus Peymann seine Liebeserklärungen wie die Praterstrizzis durch Anrempeln verteilte, hat er sich in Wien halt leider verrechnet. Oder vielleicht doch nicht? Hat er es nicht vielleicht zuletzt fast geschafft gehabt? War er nicht schon eine ehrwürdige Wiener Institution? Hat es womöglich gar nicht gewußt? Oder doch, hat das Nachlassen des Widerstandes bemerkt und womöglich auch deshalb die Flucht ergriffen, was dann glatt eine echt Wienerische Flucht vor sich selbst gewesen wäre? Als leicht überwuzelter Ultra aus Nestroys Krähwinkel kam er nach Wien, als eine Art müder alter Raimundscher Geisterkönig geht er aus dem Burgtheaterolymp ab nach Berlin. Weiß er um das Ausmaß der Fallhöhe? Viel hätte auf die hehre Würde des längstdienenden Burgtheaterdirektors aller Zeiten nicht mehr gefehlt. Wäre er geblieben, hätte er am Ende noch der gute alte Herr in der Burg werden können.

"Wehe, man hält das Wiener Theater für eine exotische Variante des bundesdeutschen Theaters", schreibt sein Kodirektor Hermann Beil im 1.378 Seiten dicken, zweibändigen Bilanzbuch der Ära Peymann: "Weltkomödie Österreich - 13 Jahre Burgtheater 1986-1999". Welche Erkenntnis nach 13 Jahren! Diese großen Sprüche von der Verbesserung verlotterter Zustände, mit denen man einst in dieses Haus hineinstapfte, neben dem sich jeder Porzellanladen wie ein Matchboxmodell des Panzerkreuzers Potemkin ausnimmt, diese Provokationen, die einem einst so flott aus dem Mund flossen, mein Gott, war man einmal jung, mag sich der in Ehren Ergraute im Flugzeug nach Berlin gedacht haben. Und wie er diesen Behördenkrieg vom Zaun brach, nicht erst bei "Richard III." im Februar 1987 wegen eines Requisits, das ausgerechnet in der Fallinie des Eisernen Vorhangs stehen mußte, nein, bereits in der ersten halben Stunde nach dem Amtsantritt: Am 1. September 1986 um halb zehn fand die Ensemblebegrüßung des neuen Direktors statt, um zehn wies er die Behördenvertreter aus der Generalprobe des "Theatermachers", die bei der Gelegenheit gleich die "Behördenprobe" abnehmen wollten. Ist das alles lang her. Kinder, wie die Zeit vergeht!

Natürlich, er wird auch in Berlin provozieren. Ein Peymann muß provozieren, das ist er sich schuldig, er braucht ja auch die Angriffe, sonst ist seine Welt nicht im Lot, er braucht Feinde, ob es die richtigen sind, ist eine andere Frage. Aber so leicht wie einst im Mai wird es ihm nicht mehr fallen, das Provozieren, und daran ist, wenn der Schein nicht trügt, nicht nur die Zeit, sondern auch Wien schuldig. Es ist uns geglückt, wir haben ihn schon ein wenig korrumpiert, ihm ein paar Ecken abgeschliffen, seine Weltsicht gemildert, seiner Rebellion gegen Gott und die Welt die letzte Schärfe genommen, ihm dafür ein Quentchen resignierter Wiener Weisheit eingeflößt, soviel halt ein Peymann davon verträgt. Eines nahen Tages wird man im Berliner Theater am Schiffbauerdamm hinter ihm herflüstern: Der Wiener! Falls er es hört: Ein kleiner Weltuntergang. Er wird an den Blick aus seinem Büro auf den Volksgarten denken und weinen, aber nicht lang, denn er muß ja zur Probe.

Wien aber ist längst zur Tagesordnung übergegangen, auf dem Ring braust der Verkehr, die Demontage des Nachfolgers wird demnächst schon in Angriff genommen, im Prater welken bald wieder die Bäume, Peymann, Peymann ... natürlich, weiß schon. Aber der ist doch schon Monate weg! War da nicht was? Natürlich, da war was. Peymann, das war doch der mit dem Thomas Bernhard. Der Preuße, der den großen österreichischen Klassiker durchgesetzt hat. Denkst du noch an den "Theatermacher"? An "Ritter, Dene, Voss", den "Deutschen Mittagstisch", an "Einfach kompliziert" mit dem großen Minetti, an den "Heldenplatz" vor allem natürlich? War das ein herrlicher Skandal, Klassikaner! Freunde, bei mir steht der Bernhard schon neben Schnitzler und Karl Kraus. Die Kinder müssen ihn auch lesen. Vielleicht setzen wir dem Peymann eines Tages sogar noch ein Denkmal im Stadtpark. Aber nur ein kleines. Der Bernhard bekommt gewiß einmal ein mittleres.

Aber da war doch noch was. Natürlich. Tabori. George Tabori. Falls er in die Weltliteratur eingeht, bekommt er die obligate Tafel an der Hausmauer: In diesem Hause schrieb ...

"Haben wir die Wiener unterschätzt?" heißt Hermann Beils Abschiedsaufsatz im Bilanzbuch. Die korrekte Antwort auf seine Frage lautet, etwas anders als er selbst sie gibt: In keiner Hinsicht! Wien hat den Regisseur Claus Peymann sofort geschätzt oder jedenfalls sehr schnell zu schätzen gelernt. Wien hat aber auch alle Peymann-Sager und Peymann-Skandale genossen, denn Wien liebt seine Erregungen, und wenn es auch manchmal auf der Bühne nicht besonders hoch herging, dann halt umso mehr rundherum.

Ein Platz in der Geschichte des Hauses ist ihm längst sicher, vor allem aber wird er den Fundus an Burgtheaterlegenden und Burgtheateranekdoten kräftig auffüllen. Ansonsten war er in mancher Hinsicht auch ein ziemlich typischer Burgtheaterdirektor. Dem Feuerwerk zum Auftakt folgte der Alltag als Kunst des Möglichen, und wenn das Werkel manchmal geknarrt hat: Die Schließtage werden bald vergessen sein, der größte Teil der Aufführungen ist es schon, Wien blickt hoffnungsvoll voraus: Wann macht der Neue den ersten Patzer? Was bleibt, ist die Erinnerung an einige Höhepunkte, mit der sich jeder Burgtheaterdirektor eine Weile im Gedächtnis der Wiener Theatergeher am Leben erhält. Wegen der Bilder und Dokumente zu den Aufführungen gehört das schwergewichtige Buch "Weltkomödie Österreich" (Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999, öS 993,-) deutlich sichtbar in die Bibliothek eines jeden, der sich hierzulande für das Theater interessiert, um dort zu verstauben.Was vor allem bleibt, sind die neuen Gesichter, die Peymann nach Wien brachte und die hier das Herz des Publikums gewannen - sofern sie bleiben und nicht nach Berlin oder sonstwohin entschwinden.

Mit den österreichischen Klassikern hat Peymann nicht viel anzufangen gewußt. Mit den lebenden Autoren etwas mehr, sofern sie schon einen Namen hatten, als er kam. Neues entdeckt hat er nicht, wollte er nicht, dafür war der Feuergeist wohl schon zu alt, als er herkam, echte Risken ging er nicht mehr ein, er war eben wirklich reif für Wien. Sein Umgang mit der politischen Macht war derselbe wie der aller oder fast aller Theaterdirektoren in deutschen Landen, nur spektakulärer verbrämt.

Trotzdem wird man die korrekte Bilanz dieser 13 Jahre erst in vielen Jahren ziehen können, während dies beim Direktionsvorgänger Achim Benning sehr schnell möglich war. Denn während Benning Uraufführungen österreichischer Autoren kaum wagte, waren, neben den Bernhard- und Tabori-Produktionen, neue Stücke von Wolfgang Bauer (am Anfang), Peter Handke, Elfriede Jelinek, Peter Turrini und anderen an der Tagesordnung. Je mehr davon bleibt, desto mehr bleibt auch von Claus Peymann. Und von Thomas Bernhard kann man heute schon mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, daß er, und mit ihm sein Uraufführungsregisseur, nicht so bald in Vergessenheit geraten wird.

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