Noam Chomsky und das Kriegspathos im Kosovo

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Der notorische Kritiker der amerikanischen Machtpolitik betrachtet die Welt aus demselben eingeengten Blickwinkel wie die von ihm Kritisierten.

Für Václav Havel war der Kosovokrieg der erste Krieg, der "im Namen von Prinzipien und Werten geführt wurde". Nicht wenig pathetisch. Nun untersucht der amerikanische Linguist Noam Chomsky, der die US-Politik seit langem mit seiner Kritik begleitet, den Wahrheitsgehalt der pathetischen Rhetorik, die den Kosovokrieg begleitete. Chomsky vergleicht - wie immer kundig und materialreich - die Intervention Amerikas im Kosovo mit seiner Position in der zur selben Zeit eskalierenden Krise in Ost-Timor.

Während im ersten Fall Bomber flogen, blieben die USA im zweiten Fall freundlich teilnahmslos. Sie hätten, so Chomsky, lange Zeit die Massaker der indonesischen Armee gedeckt, bis sie im Herbst 1999, als der internationale Druck zu groß wurde, vorsichtig eingegriffen hätten: Die Militärhilfe für Indonesien wurde ausgesetzt, Anleihen nicht befürwortet. Das habe gereicht, um die Gräuel in Ost-Timor zu beenden. Untersuchungskommissionen und ein internationales Tribunal seien von den USA verzögert beziehungsweise verhindert worden. Erst Mitte März dieses Jahres wurden wegen der Massaker die ersten Prozesse gegen Militärs angestrengt. Beobachter sind mehr als skeptisch, dass sie zu einer umfassenden Aufarbeitung führen, weil wichtige Militärs von Anklagen verschont blieben und der Untersuchungszeitraum zu sehr begrenzt wurde.

Ganz anders im Falle Kosovo. Im Mai 1999 gaben der amerikanische und der britische Geheimdienst wichtige Informationen an das UN-Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag, die eine Anklage gegen Slobodan MiloÇsevi´c ermöglichten. Seine Auslieferung haben die Amerikaner zur Voraussetzung für Wirtschaftshilfen für Jugoslawien erklärt. Chomskys Fazit: "Die USA handeln ihrem eigenen Interesse gemäß; andere tragen die Lasten und die Kosten, sofern keine weitergehenden Machtinteressen im Spiel sind." Das hieße: Ost-Timor und die Menschenrechte dort interessierten nicht - Indonesien war und ist ein Freund der amerikanischen Regierung. MiloÇsevi´c hingegen war ein offizieller Feind der USA.

Bleibt die Frage: Was waren die Interessen der Vereinigten Staaten im Kosovo? Warum wirklich wurde Serbien bombardiert? Die offizielle Antwort lautete, dass es darum ging, ethnische Säuberungen zu verhindern. Dagegen wendet Chomsky durchaus nachvollziehbar ein, dass die Vertreibung von Albanern im großen Stil erst mit Beginn der Bombenangriffe einsetzte. Ein Ergebnis der Bombardierung, das vom Oberkommandierenden der NATO, General Wesley Clark, als "völlig vorhersehbar" bezeichnet worden sei. Damit aber müsse die Folge der Bombenangriffe für deren Begründung herhalten.

Den eigentlichen Grund für den Krieg findet Chomsky in der mehrfach wiederholten Phrase von der "Glaubwürdigkeit der NATO": Der Kosovokrieg habe dazu gedient, der NATO die Lizenz für einen weltweiten Interventionismus zu verschaffen.

Dies weist in die richtige Richtung, bleibt aber unpräzise, denn die Glaubwürdigkeit der NATO ist ja kein genuin amerikanisches Interesse. Die USA führen lieber - das Beispiel Afghanistan illustrierte es wieder einmal deutlich genug - auf eigene Faust und unter eigenem Kommando Krieg. Hingegen ist und bleibt die Glaubwürdigkeit der NATO ein genuin europäisches Interesse. Die europäischen Staaten wollen weltweit mitmischen und Amerika nicht länger allein das Feld überlassen. Der jüngste EU-USA-Gipfel hat das einmal mehr gezeigt.

Hier wird eine Schwäche von Chomskys Argumentation sichtbar. Auch für seine Analysen ist offensichtlich allein die amerikanische Regierung entscheidend. Auch für ihn sind alle anderen Staaten letztlich eine quantité négligeable. Sie kommen nur als Opfer oder willfährige Vasallen der USA in seinen Blick. Damit beweist der notorische Kritiker der amerikanischen Machtpolitik, dass er die Welt aus demselben auf die USA eingeengten Blickwinkel betrachtet wie jene, die er kritisiert.

Die europäischen NATO-Staaten haben aber energisch auf einen Einsatz im Kosovo gedrängt. Als sich dann eine NATO-Intervention abzeichnete, hatten die Amerikaner wohl tatsächlich ein lebhaftes Interesse, nun in der NATO die "American Leadership" zu übernehmen. Die Verantwortung Europas - und nicht zuletzt Deutschlands - für den Kosovokrieg bleibt bei Noam Chomsky daher leider unterbelichtet. An der Absurdität von Havels eingangs zitierter Äußerung zu diesem Krieg ändert dies freilich nichts.

PEOPLE WITHOUT RIGHTS. Kosovo, Ost-Timor und der Westen. Von Noam Chomsky. Übersetzung: Michael Haupt. Europa-Verlag, Hamburg 2002 160 Seiten, geb., e 12,90

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