Nobelpreisträger, VERGESSEN

Werbung
Werbung
Werbung

Malalas Stimme klingt wie eine Kindertrompete. Sie redet nicht, sie tönt. Ihre Sätze sind Stöße. Ihre Botschaft tut weh. Der Schmerz, den ihre Ansprache beim Publikum auslöst, macht sogar die Augen des Präsidenten feucht und seine Stimme belegt, und sie stopft Knödel in die Kehlen der Abgeordneten. So passiert im Vorjahr, als "das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft" im Europaparlament den Sacharow-Preis für geistige Freiheit bekommen hat. Am 10. Dezember wird die 17-Jährige als jüngste Preisträgerin in der Geschichte des Friedensnobelpreises diesen gemeinsam mit dem indischen Kinderrechts-Aktivisten Kailash Satyarthi entgegen nehmen -dann wird sie mit ihrer Preisrede für das Recht von Mädchen, überall Lesen und Schreiben lernen zu dürfen, wieder tönen, stoßen, stopfen, weh tun.

Vom Redestil der österreichischen Friedensnobelpreisträgern Bertha von Suttner hat es geheißen: "Es dauert lange, bis sie zu sprechen anfängt. Sie scheint nach Worten zu suchen. Und dann spricht sie leise, ganz leise, und langsam, die einzelnen Worte durch Pausen voneinander trennend." Und von ihrem Publikum ist überliefert: "Sie merken dabei gar nicht, dass sie eigentlich eine schlechte Rednerin ist. Sie merken gar nicht, dass sie zu leise, dass sie zu langsam spricht; zu müde -viel zu müde und zu schmerzerfüllt. Und dennoch fesselt sie, zwingt die Aufmerksamkeit der Hörer, hält sie eine Spannung bis zum Schlusse aufrecht."

Alfred Hermann Fried hat Suttner so beschrieben. Damit wollte er den frauenfeindlichen Vorwürfen gegen die "Friedensfurie" in der rüstungs-und kriegsbegeisterten Presse der damaligen Zeit Paroli bieten. "Weg die Flinta, weg die Schwerta! Ich befehl's, die Friedens-Bertha", lautete ein Spott-Spruch in Suttner-Karikaturen. Fried zeichnete ein anderes Bild von Suttner: "Keine Idee von einer Aufwieglerin, keine Idee von einer Volksgestalt".

Der kaum bekannte Nobelpreisträger

Zu einer Frau des Volkes ist Bertha von Suttner erst in der Zweiten Republik aufgestiegen, als das österreichische Selbstverständnis nach zwei Weltkriegen und an der Front des Kalten Kriegs dort angekommen ist, wo Suttner immer schon war. Mit dem Suttner-Tausender hat sich das neue Österreich bei ihr entschuldigt. Ihr Bild auf dem teuersten Schilling-Geldschein war die Wiedergutmachung für die Verächtlichmachung im alten Österreich. Und neben Mozart, dem Belvedere und einigen Alpenblumen darf Suttner auch auf den Euro-Münzen das Land weiterhin repräsentieren. Wenn Malalas Bild einmal einen pakistanischen 1000-oder noch besser 5000-Rupien-Schein an Stelle des Staatsgründers Ali Jinnah ziert, sind auch sie und ihre Botschaft definitiv in ihrer Heimat angekommen.

Und Alfred Hermann Fried? Zu seinem 125. Geburtstag, 1989, hat es zumindest eine 6-Schilling-Briefmarke mit seinem Bild gegeben. Und in diesem Jahr, anlässlich seines 150. Geburtstags am 11. November, hat eine Gruppe rund um Fried-Biograf Walter Göhring, friedensnews.at-Chefredakteur Andreas H. Landl und Wilhelm Urbanek, Leiter des Bezirksmuseums in Wien Alsergrund, dort eine Ausstellung samt Rahmenprogramm zu Leben und Wirken des treuesten und engagiertesten und ihre Arbeit konsequent weiterführenden Weggefährten Suttners organisiert. Seit 2011, hundert Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an Fried, gibt es auch eine Gedenktafel für ihn in seinem früheren Wohnbezirk Alsergrund. Das ist es aber auch schon, was er heute noch an Aufmerksamkeit genießt. Aber auch Tobias Asser, der gemeinsam mit Fried den Friedensnobelpreis erhalten hat, ist in den Niederlanden heute vergessen.

"Handbuch der Friedensbewegung"

Von beiden geblieben sind sicherheitspolitische Institutionen und Strukturen zur "Überwindung der Völkeranarchie", die auf ihren Initiativen und theoretischen Vorarbeiten basieren. Asser war maßgeblich an der Einrichtung des Ständigen Schiedshofes in Den Haag beteiligt. Und Fried legte die Grundsteine für Völkerbund und Vereinte Nationen genauso wie für die Europäische Union. In den Nachrufen auf Suttner wird sie das Herz, er der Kopf der Friedensbewegung genannt. Fried gehörte 1892 zum Gründungsteam der Monatsschrift Die Waffen nieder! und wurde nach Suttners Ausstieg 1899 Chefredakteur und Gründer der Friedens-Warte, der bis heute publizierten ältesten Zeitschrift im deutschsprachigen Raum für Fragen der Friedenssicherung und internationalen Organisationen.

Mit seinem "Handbuch der Friedensbewegung" und weiteren friedenspolitischen Grundsatzwerken stellte er die pazifistischen Lehren und Grundsätze auf ein wissenschaftliches Fundament. Er ist es auch, der Friedenstaube und Ölzweig als Friedenssymbole ablöste und durch ineinander greifende Zahnräder als Logo ersetzt hat. Fried: "Möge die Friedensbewegung in allen Ländern diese Zahnräder zu ihrem Symbol wählen und mit der Sentimentalität der bisherigen Symbolik auch die Sentimentalität des Pazifismus, die sich in einzelnen Köpfen immer aufrechterhält, beseitigen."

Kämpfer für Volksbildung

Die Zuschreibung "Friedensapostel" lehnt er ab. Friedensarbeit ist für ihn keine Missionstätigkeit und Pazifismus kein Glaube. Krieg ist für Fried ein Verbrechen gegen die Zivilisation und die Friedensbewegung eine Wissenschaft, die den Menschen von diesem Verbrechen befreit. Entscheidend ist für Fried, und da trifft er sich mit der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin Malala, die Förderung der Volksbildung ohne Unterschied der sozialen Herkunft oder des Geschlechts. Fried geißelt die Militärausgaben in Österreich, wo für jeden Soldaten im Jahr 101 Kronen ausgegeben werden, während für jedes Schulkind nur 3,5 Kronen zur Verfügung stehen. Bei Kriegsausbruch 1914 ist Fried in Österreich persona non grata, wird als Hochverräter verfolgt und flüchtet in die Schweiz. Nach dem Krieg kehrt er zwar nach Wien zurück, in Österreich ankommen wird er aber bis zu seinem Tod 1921 nicht mehr.

Stefan Zweig würdigt Fried in einem Nachruf in der Neuen Freien Presse als Propheten, der in seiner Heimat nichts gegolten hat: "Seine Anstrengung war einem Unsichtbaren zugewandt, einem neuen Kontinent, den friedlich vereinigten Staaten Europas -so schien er allen, die nur aufs Nächste blickten, ein eitler und unnötiger Träumer, indes er doch der Notwendigste war.

Aber das Lächeln des Hochmuts straft sich selbst. Und niemand wird heute das 'Tagebuch' und die Schriften Alfred H. Frieds mit größerer Beschämung lesen als eben jene, die damals mit Hohn und Haß hinter ihm hergehetzt haben."

Im Exil in Bern schreibt Fried am 10. Dezember 1914 wütend in sein Kriegstagebuch: "Morgens eine Depesche des Sekretärs Moe in Kristiania, die besagt, dass das Nobelkomitee beschlossen habe, den Friedenspreis in diesem Jahr nicht zu verteilen und ihn für das nächste Jahr zu reservieren. Und wenn die Banausen sich darüber auch amüsiert hätten. Es wäre immer besser gewesen als jetzt, wo sich zu ihrem Amüsement die Schadenfreude gesellt, da sie in der Nichterteilung des Preises eine Bestätigung ihrer blöden Idee vom Bankrott der Friedensbewegung erblicken werden."

Im Kriegsjahr 2014 wird der Friedensnobelpreis verliehen. An zwei Kinderrechtler, die für Bildung kämpfen, weil sie überzeugt sind, damit dem Frieden zu dienen. Und Alfred Hermann Fried, was würde er an diesem 10. Dezember in sein Kriegstagebuch schreiben? Vielleicht: "Malala hat in Oslo wieder getönt, gestoßen, gestopft, weh getan. Gut so!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung