Angesichts der respektvollen Zelebration von vierzig Jahren "Zeit im Bild 2" stellt sich die Frage, wie der ORF in einem Monat das zwanzigjährige Bestehen seiner Neupositionierung begehen wird. Seit 6. März 1995 leidet er unter einer Persönlichkeitsspaltung in den Mr. Hyde des Kurzfristreformers Gerhard Zeiler und den Dr. Jekyll des Langzeitgenerals Gerd Bacher. Die augenscheinlichsten Veränderungen von damals prägen bis heute Österreichs Medienlandschaft: Ö3 und ORF 1 erinnern eher an Privatradio und -fernsehen als an öffentlichrechtliche Angebote. Andere Sündenfälle aus dieser Zeit haben sich derart von selbst erledigt, dass sie aus dem kollektiven Gedächtnis der Marktbeobachter verschwunden sind: Das reicht von Ö3 plus, der Hörfunk-Vermarktungsgemeinschaft mit "Krone" & Co., über TW1, das Joint Venture mit ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, bis zur ersten Phase von "Südtirol heute" als Partner eines Privatsenders. Wer bin ich und wenn ja: Wieviele? An diesem multiplen Fremd- wie Selbstbild laborieren immer noch die Nachlassverwalter von Gerhard Zeiler, der den ORF 1998 in jene Richtung verlassen hat, aus der er gekommen ist: Privat-TV. Dort und dafür ist er einer der fähigsten Manager überhaupt.
Österreich aber benötigt die Neudefinition des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Dabei geht es weniger um Quoten und jenes Drittel Marktanteil, das ORF-Fernsehen noch hat. Gefragt ist eine zeitgemäße Antwort darauf, ob ein öffentlich gefördertes Massenmedium weiterhin der kleinste gemeinsame Nenner für unsere immer stärker zersplitterte Gesellschaft sein kann. Das Ziel dazu muss lauten, der größte Kulturträger und wichtigste Identitätsstifter der Nation zu bleiben. Dieser Anspruch stammt noch von Gerd Bacher. Seine Einforderung ist eine Frage von Medienpolitik. Sie fehlt.
Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst
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