"Noch heute nennen mich manche Verräter"

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Eher glimpflich verlief die Einnahme Wiens 1945 durch die Rote Armee. Dass der Stadt das Los der von Hitler befohlenen "verbrannten Erde" erspart blieb, verdankt sie der Courage von Offizieren rund um Major Szokoll, der kürzlich seine Memoiren in Buchform veröffentlichte.

die furche: Vor kurzem ist Ihr Buch über die Rettung Wiens im Jahre 1945 erschienen. Warum haben Sie erst 56 Jahre nach der Einnahme Wiens durch die Rote Armee geschrieben?

carl szokoll: Die Idee ist mir auf einer Bahnfahrt gekommen, als ich Überlegungen über die Zivilcourage in unserer Zeit anstellte. Eine Zivilcourage, die in allen Bereichen, sei es in wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Hinsicht heute fehlt. Man muss einfach aufstehen gegen die schweigende Mehrheit und versuchen, diese aufzurütteln und ihr helfen die Wahrheit zu erkennen. Es war mir auch ein besonderes Anliegen, nicht nur meine eigene Zivilcourage in Buchform zu beschreiben, sondern meine Rolle so zu beschreiben, wie sie wirklich war. Auch habe ich gehofft, mit der Veröffentlichung dieses Buches, jenen, die mich nach dem Krieg als Verräter bezeichnet haben - manche tun es ja heute noch - den historischen Hintergrund jener Zeit vor Augen zu führen. Auch meine Liebe zu Wien wollte ich dokumentieren.

die furche: Enhält ihr Buch neben der Darstellung der historischen Fakten und den österreichischen Widerstand eine Botschaft an die Jugend, also an Menschen, die sich von den Ereignisses vor mehr als 50 Jahren so gut wie keine Vorstellung machen können?

szokoll: Wir, die wir das Glück hatten das Grauen jener Tage zu überleben, sind nicht nur verpflichtet, der Wahrheit über jene Zeit beizutreten, sondern auch unsere eigenen Eindrücke wirklichkeitsgetreu wiederzugeben um die Not und die Ausweglosigkeit in jenen Tagen und ihre Überwindung als unwiderrufliche Botschaft an die Jugend weiterzugeben.

die furche: Wien ist zum Unterschied von Budapest und Berlin in relativ kurzer Zeit von den Russen eingenommen worden ...

szokoll: Am Sonntag, den 7. Jänner 1945, wollte mich ganz dringend Major Neumann, Stabchef des Festungskommandanten im Wehrkreis XVII sprechen: "Hitler denkt daran, einen Vorschlag Himmlers aus dem Jahre 1944 aufzugreifen. Haben Sie schon mal was von verbrannter Erde gehört?" Wien sollte zerstört werden, bevor es in die Hände der Russen fällt. Ich musste mich also wohl oder übel meiner neuen Aufgabe zuwenden, Wien zu zerstören. Doch wie bei der Durchführung des Walküre-Plans im Jahre 1944 bereitete ich unter einem Deckmantel eine Aktion vor, um Wien zu retten.

die furche: In den Geschichtsbüchern ist von der "Festung Wien" die Rede. Wie war die Lage in Wien im Frühjahr 1945?

szokoll: Nach einer Woche mit der neuen Aufgabe lagen die ersten Ergebnisse der Recherchen, die ich befohlen hatte, vor mir. Die Spitäler, die Schulen, die Theater, die Sportsäle waren bereits mit Verwundeten aus Ungarn und mit Volksdeutschen überfüllt. Munition war für fünf Tage vorhanden, keine zusätzlichen Waffen für Ausfälle. Benzin für zehn Tage. Der später von der SS am Floridsdorfer Spitz gehenkte Rudolf Raschke wies mich auf den bedeutendsten Faktor bezüglich des Überlebens in der "Festung Wien" hin. "Herr Major", sagte er, "das Wasser ist das Wichtigste." Die Russen brauchten am Semmering nur die Wasserleitung abzudrehen, und dann sieben Tage später können sie einmarschieren ohne einen einzigen Schuss abgegeben zu haben.

die furche: Wie kam es zur "Operation Radetzky"?

szokoll: Ich hatte in einer Buchhandlung einen Prachtband mit den eindrucksvollsten Sehenswürdigkeiten Wiens erstanden und ließ mich damit im Gauhaus bei Regierungskommissar Delbrügge melden. Als er mich mit dem Buch sah, meinte er: "Sie sehen doch, Herr Major, dafür hab' ich wirklich keine Zeit." Bald wurde ihm mein Anliegen klar: "Herr Delbrügge, Sie können weltberühmt werden, bringen Sie den Führer dazu: Auch Rom wurde offene Stadt." Er erklärte mir, dass seine Möglichkeiten diesbezüglich beschränkt seien, aber da er ohnehin nach Berlin müsse, wolle er diesbezüglich beim Führer vorsprechen. Meine Sekretärin teilte mir kurz darauf mit: "Er konnte leider nichts für Sie machen." Ich verließ meinen Arbeitsplatz und ging hinunter zu meinem Wagen. Durch die menschenleere Stadt fuhr ich den Donaukanal entlang und dann über die Höhenstraße hinauf auf den Kahlenberg: Unter mir lag Wien, und ich war heraufgekommen, um von der Stadt Abschied zu nehmen. Nein, diese Stadt musste gerettet werden, aber wie? In meiner Kartentasche hatte ich den Führerbefehl, den ich Leutnant Raschke und vier meiner Getreuen erläutert hatte: Der Führer hat befohlen, "dass jede Stadt in eine Festung zu verwandeln sei, sobald sich der Feind dem Reichsgebiet nähert. Wenn aber die betreffende Stadt trotz heldenhafter Abwehr in die Hände des Feindes zu fallen droht, dann soll sie vorher zerstört werden. ... Alles wird mit Sprengladungen versehen und ist zu zerstören." Unsere Stadt, die er einst die Perle seines Reiches genannt hatte.

Die Operation lief unter dem Stichwort "Gneisenau Wien". Ich aber nannte sie um in "Operation Radetzky", und zwar mit Zustimmung von Neumann, dem Chef des Festungsstabes Wien, der freilich die Pläne, die ich mit damit verband, nicht kannte.

Zu meinen engsten Mitverschwörern für die Rettung Wiens gesellten sich - zum Teil schon aus der Operation Walküre stammend - Hauptmann Alfred Huth, Stellvertreter und Verbindungsoffizier zu den Fronttruppen, Major Karl Biedermann, Führer der Wehrmachtstreifenabteilung Wien, Oberleutnant Rudolf Raschke, Führer der Verteidigung des "Radetzky-Hauptquartieres" am Stubenring, Ferdinand Käs, mein Stabchef und engster Vertrauter, weiters Oberleutnant Otto Scholik, Verbindungsoffizier zu den westlichen Alliierten und Oberleutnant Igler, Verbindungsoffizier zum zivilen Widerstand. Als weibliche Helfer dienten der Operation Lotte Huth, Margarethe Netsch und Maidi Alwen.

die furche: Trotz der Mithilfe und Mitwirkung hochrangiger Wehrmachtskräfte war das Vorhaben doch das reinste Himmelfahrtskommando, bedenkt man, dass Sie maßgeblich an der offiziellen Verteidigung Wiens mitwirkten.

szokoll: Im Generalkommando in meinem Büro hatte Ferdinand Käs eine Idee. Er wollte sich im Sinne der Moskauer Deklaration als Emissär des österreichischen Widerstands zwecks Beschleunigung der Befreiung Wiens freiwillig in das Hauptquartier der Roten Armee nach Hochwolkersdorf begeben. Ich hatte den Russen einen fertigen Vorschlag übermittelt.

n Erwirkung der sofortigen Einstellung der angloamerikanischen Luftangriffe auf Wien und seine Umgebung.

n Hilfestellung der Roten Armee für einen Aufstand, der in Wien ausbrechen sollte. Der Zeitpunkt zum Beginn des Aufstandes wird von der Roten Armee nach gelungener Umfassung der Stadt wahrgenommen.

die furche: Konnten Sie Pläne in die Tat umsetzen?

szokoll: Nein, das Sprengen der Floridsdorfer Brücke konnten wir beispielsweise nicht verhindern. Einige meiner Mitarbeiter wurden auch enttarnt, standrechtlich zum Tode verurteilt und Am Spitz in Floridsdorf gehenkt: Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke.

die furche: Ist Ihr Einsatz für Wien, der viele Opfer auf beiden Seiten ersparte, von den Sowjets gewürdigt worden?

szokoll: Anfänglich überhaupt nicht. Im Gegenteil, im Herbst l945 drohte mir Sibirien. Gott sei Dank konnte ich von einem Arbeitskommando fliehen. Erst im März l968 dankte man mir anlässlich einer Ausstellung des Widerstands in Moskau, ich erhielt auch eine "Memorial"-Auszeichnung - als Opfer von Stalin. Auch in Österreich hatte ich nicht nur Freunde: Viele haben mich als Verräter bezeichnet. Noch heute bekomme ich anonyme Drohbriefe. Ein besonderer "Intimfeind" bestellt mit gefälschter Unterschrift diverse Waren für mich, mit deren Rückgabe ich mich in der Folge herumstreiten kann.

die furche: Eine letzte Frage noch zum "Unternehmen Walküre": Dank Ihres Geschickes konnten sich ja die beteiligten Österreicher retten. Was wäre Ihrer Meinung geschehen, hätte das Attentat auf Hitler Erfolg gehabt?

szokoll: Es hätte sich nichts geändert, weil in Deutschland dank der großen Anhängerschaft für den Nationalsozialismus auch noch im Jahre l944 unter anderer Führung ein ähnlicher Weg weiterbeschritten worden wäre, der auf Seiten der Alliierten mit Sicherheit kein Entgegenkommen erwarten hätte lassen.

Das Gespräch führte Peter Soukup

Zur Person: Initiator der "Operation Radetzky"

Carl Szokoll wurde 1915 in Wien geboren. Er besuchte die Theresianische Militärakademie und wurde nach Ausmusterung als Leutnant in die Deutsche Wehrmacht übernommen. Ab 1942 war er im stellvertretenden Generalkommando XVII und 1944 Vorbereitender und Durchführender von "Operation Walküre" (Deckname des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler), in Österreich Vertrauter von Oberst Graf Stauffenberg. Noch im gleichen Jahr wird er zum Major befördert. Zum Kriegsende nimmt er 1945 aus Liebe zu seiner Heimatstadt Kontakt mit dem Oberkommando der Roten Armee zur Befreiung Wiens auf. Ab 1948 war er Filmproduzent und unter anderem an den österreichischen Welterfolgen "Die letzte Brücke" und "Der letzte Akt" maßgeblich beteiligt. Mitwirkung an der ORF-Produktion "Operation Radetzky". Carl Szokoll lebt in Wien.

Carl Szokoll, "Die Rettung Wiens 1945 - Mein Leben, mein Anteil an der Verschwörung gegen Hitler und an der Befreiung Österreichs", erschienen im Verlag Molden/Amalthea, Wien 2001. e 27,86.

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