Noch keine Entwarnung

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Prionen-Forscher Herbert Budka hält eine Epidemie beim Menschen, ausgelöst durch den Rinderwahnsinn, auch weiterhin für möglich.

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Prionen-Forscher Herbert Budka hält eine Epidemie beim Menschen, ausgelöst durch den Rinderwahnsinn, auch weiterhin für möglich.

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Nach dem Auftreten der Schafseuche "Scrapie" (Traberkrankheit) in Oberösterreich, sind auch der Rinderwahnsinn BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung beim Menschen wieder in die Schlagzeilen geraten. Denn alle diese Erkrankungen haben eines gemeinsam: sie gehören zu den geheimnisvollen Prionen-Erkrankungen, die schwammartige Veränderungen im Gehirn hervorrufen (siehe Kasten).

Allgemeine Aufregung verursachten diese Krankheiten vor vier Jahren, als Wissenschafter erstmals den Verdacht äußerten, daß der Rinderwahnsinn auf den Menschen übertragen werden kann. Diese Vermutung gilt heute als gesichert. Unklar ist aber weiterhin, wie und durch welchen Erreger sich die Seuche so großflächig ausbreiten konnte. Allein 1997 waren in Großbritannien 37.000 Rinder davon betroffen - die Bilder von den über die Weiden torkelnden Kühe sind noch gut in Erinnerung. Aber auch Portugal, Frankreich und die Schweiz kämpfen mit dem Rinderwahnsinn.

Der erste Fall von BSE wurde 1986 in Großbritannien diagnostiziert. Seitdem entwickelte sich eine Epidemie unerwarteten Ausmaßes. Schätzungen zufolge, haben sich zwischen 1977 und 1995 über 900.000 britische Rinder mit dem BSE-Erreger infiziert, die meisten wurden vor Ausbruch der Krankheit geschlachtet.

Wahrscheinlich wurde BSE durch Verfütterung großer Mengen Tiermehls ausgelöst. Tote Schafe und Kühe wurden zu Kraftfutter verarbeitet, um die Milch- und Fleischerträge zu steigern. Wissenschafter vermuteten in den achtziger Jahre, daß der Erreger von Scrapie auf Rinder übergesprungen ist. Eine fatale Annahme: "Man hat geglaubt, BSE sei Scrapie im Rind. Da Scrapie bekanntermaßen für den Menschen noch nie eine Gefahr darstellte, glaubten Wissenschafter, daß BSE für den Menschen wohl auch nicht gefährlich sei. Das war ein verhängnissvoller Trugschluß," erklärt Prionen-Forscher Universitätsprofessor Herbert Budka, Vorstand des Klinischen Instituts für Neurologie am AKH.

Kein Hirn essen Heute gibt es auch andere Theorien für die Entstehung von BSE. Bei fast jedem Tier und auch beim Menschen tritt die Prionen-Krankheit auch ohne Infektion auf, als sogenannte "sporadische" Krankheit. Diese besitzt jedoch andere Eigenschaften und auch der Krankheitsverlauf ist unterschiedlich. Im Gegensatz zu der neuen Variante befällt die sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (weltweit ist im Schnitt einer von einer Million Menschen betroffen) nur ältere Menschen. Auch bei den Rindern gab es ähnliche Beobachtungen. "Nun könnte man sich vorstellen, daß eine Kuh so eine sporadische BSE gehabt hat, diese dann zu Tiermehl verarbeitet wurde und so in die Nahrungskette der Rinder gelangt ist. Dadurch ist dann die Epidemie entstanden. Das halte ich sogar für recht plausibel," erklärt Budka.

Dennoch ist bisher nicht vom Tisch, ob nicht Scrapie für den Rinderwahnsinn verantwortlich ist. Besteht also eine Gefahr für den Menschen? Denn warum sollte BSE auf den Menschen übertragbar sein und Scrapie, das vielleicht BSE ausgelöst hat, nicht? Eine Bedrohung für den Menschen schließen Wissenschafter aber nach dem heutigen Wissensstand definitiv aus. "Nach allem was wir wissen gibt es für den Menschen keine Gefahr", beruhigt auch Budka. "Ich würde aber niemandem empfehlen, mit Scrapie infiziertes Hirn zu essen." Das Hirn, aber auch andere Organe wie die Milz gelten als besonders verseucht.

Gut zehn Jahre nachdem die ersten Rinder an BSE zugrunde gegangen waren, starb 1995 der 19jährige Brite Stephen Churchill an einer bisher unbekannten Variante von Creutzfeldt-Jakob (nCKD). Das Gehirn, stellten Ärzte verwundert fest, war durchlöchert wie bei einem an BSE verendeten Rind. Der erste Verdacht wurde geäußert. Der britische Experte Robert Will schrieb im März 1996 einen Brief an alle Neurologen in Großbritannien: "Wir vermuten, daß wir in den letzten Wochen eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung entdeckt haben ..." Bei den Patienten würden Vergeßlichkeit, Depressionen, Ängstlichkeit und seltsames Benehmen auftreten, die Betroffenen seien durchschnittlich erst knapp 28 Jahre jung und der Krankheitsverlauf ist mit rund 13 Monaten ungewöhnlich lang.

Streit in Brüssel Von 1995 bis 1998 stieg die Zahl der Opfer von drei auf 17 pro Jahr stetig an, eine Epidemie beim Menschen wurde befürchtet. Nach ersten Daten kam für 1999 dann ein Aufatmen: erstmals wurde ein Rückgang der Sterbefälle angenommen. Doch Experte Budka dämpft die Hoffnung: "Es gibt weiterhin Grund zur Besorgnis. Die endgültigen Zahlen für 1999 sind noch nicht veröffentlicht, da viele Fälle erst untersucht werden müssen. Es scheint derzeit eine geringe Zunahme zu geben."

Budka schließt eine Epidemie weiterhin nicht aus. Nach dem letzten Stand (Ende November 1999) sind bereits 49 Menschen in Großbritannien gestorben. Ein Fall wurde in Irland und einer in Frankreich registriert. Bekannt ist auch, daß vor kurzem ein Franzose erkrankt ist. "Entwarnung kann man auf keinen Fall geben", so Budka. Vermutlich leben auch in Großbritannien noch weitere Kranke.

Schätzungen gehen von rund 100 Menschen aus, die noch am Rinderwahnsinn sterben werden, andere Hochrechnungen nennen wiederum 500.000 Todesfälle. Wegen der langen Inkubationszeiten - rund zehn Jahre - hält Budka Schätzungen derzeit allerdings für unseriös.

Streit wegen BSE gibt es nun zwischen Brüssel und Frankreich, nachdem das Importverbot von britischen Rindfleisch im August des Vorjahres durch die EU aufgehoben wurde. Frankreich weigert sich ebenso wie Deutschland, das Einfuhrverbot aufzuheben. Der Europäische Gerichtshof soll nun entscheiden. Die Frage stellt sich zwangsläufig, ob die Befürchtungen der Franzosen berechtigt sind, oder ob hier rein wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Budka, auch als Berater für die EU tätig: "Die Politik verwendet sehr oft Pseudoargumenten, um eigene Interessen zu fördern. Es werden manchmal wissenschaftliche Argumente vorgeschoben, um handfeste wirtschaftliche Interessen zu vertreten." Andererseits gibt Budka zu bedenken, daß viele Dinge tatsächlich noch unklar sind. "Ich persönlich war gegen die Aufhebung des Exportverbotes. Wenn BSE nicht in dem erwarteten Maße abnimmt, könnte es vielleicht noch eine bisher unbekannte Übertragungsquelle geben. Ich persönlich bin nicht restlos davon überzeugt, daß alles so geht, wie es sich die Briten wünschen. Ich halte ein kleines Fragezeichen für angebracht." Außerdem, kritisiert der Prionen-Forscher, weigern sich die Briten bisher, ein Testverfahren zur Erkennung von BSE bei Schlachttieren einzuführen. "Natürlich behaupten Zyniker - ich gehöre nicht dazu -, daß manche gar nicht wissen wollen, wie groß das Ausmaß der Epidemie wirklich ist."

Das Argument der Briten gegen ein Testverfahren: Im heurigen Jahr werden nur noch ein bis zwei Tiere mit BSE in die menschliche Nahrungskette gelangen. Der Aufwand alle Tiere zu testen wäre zu hoch. "Ich muß aber sagen, daß ein oder zwei bereits zu viel sind", so Budka. "Man kann es heute nicht mehr vertreten, daß ein mit BSE infiziertes Rind in die Nahrungskette gelangt."

Österreich hat das Embargo zwar nicht aufgehoben, doch die Veterinärbehörde versichert, daß ohnehin kein britisches Rindfleisch nach Österreich importiert werde.

PRIONEN-KRANKHEITEN - THERAPIE IN SICHT Über die Erreger der Prionen-Krankheiten wissen Wissenschafter immer noch wenig. Das Prion, so die Hypothese, ist ein Eiweißmolekül und besitzt - im Gegensatz zu anderen infektiösen Krankheitserregern wie Viren und Bakterien - vermutlich keine Erbsubstanz. Doch nachweisen konnten Wissenschafter das Prion noch nie.

Dokumentieren konnte man bisher lediglich die Folgen dieser Krankheit: eine schwammartige Erweiterung des Gehirns. Von kleinen Löchern durchsetzt, erinnert das verseuchte Organ bei der Obduktion an Schweizer Käse. Ausgelöst wird diese Veränderung durch Prion-Proteine, die auch jeder gesunde Mensch auf der Oberfläche von Nerven- und Immunzellen besitzt. Durch das Prion kippen die gesunden Prion-Proteine in die krankmachende Form um.

Ein internationales Wissenschafterteam hat nun möglicherweise einen ersten Ansatz zur Behandlung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gefunden. Wie das britische Fachjournal "The Lancet" berichtet, haben Versuchen mit Mäusen erste Erfolge gezeigt. Ein speziell entwickeltes Eiweißmolekül bindet an das menschliche Prion-Protein und verhindert dadurch das "Umkippen" in die krankmachende Form. Dieselben Stoffe würden auch in der Alzheimer-Forschung eingesetzt. Der Beginn der Krankheit wurde bei den Mäusen erheblich verzögert. Obwohl ein vielversprechender Ansatz, hätte diese Theorie einen kleinen Schönheitsfehler, meint Herbert Budka: "Solange wir nicht genau wissen, welche Funktion das gesunde Prion-Protein hat, ist es ein bißchen problematisch, es aus den Verkehr zu ziehen." Hoffnung für die derzeit Erkrankten gibt es nicht, denn eine einsetzbare Therapie beim Menschen wird noch Jahre dauern. kun.

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